Am vergangenen Wochenende ist es in Russland landesweit zu Protesten und Demonstrationen gegen die Verhaftung des Oppositionellen Alexej Nawalny gekommen. Zehntausende gingen auf die Straße. Eine von ihnen war die in Moskau lebende Evgeniya. Aus Sorge um ihre Anstellung möchte die studierte Kommuniktionswissenschaftlerin nur beim Vornamen genannt werden. Im Deutschlandfunk berichtet sie von ihren Erlebnissen und Eindrücken der Demo auf dem Moskauer Puschkin-Platz.
Sie habe gegen die allgemeine politische Ausrichtung des Kremls protestiert, aber auch gegen die Vergiftung und Verhaftung Nawalnys, so Evgeniya. "Ich war überrascht, wie viele Leute kamen", erklärt sie, "es waren unerwartet viele Menschen." Das sei bemerkenswert, zumal die Demonstration nicht genehmigt gewesen sein. Angst habe sie nicht gehabt, auch wenn man immer ein Risiko eingehe, wenn man zu so einer großen Demonstration gehe.
"Ich bin kein Nawalny-Fan"
Auf die Frage, warum genau sie auf die Straße gegangen ist, nennt Evgeniya drei Gründe. Erstens sei sie mit der jetzigen politischen Ausrichtung unzufrieden, was sich sowohl auf einzelne Gesetze als auch auf die Unterdrückung Oppositioneller beziehe. Zweitens sei es konkret die Vergiftung Nawalnys, der Umgang damit und seine anschließende Verhaftung nach der Rückkehr nach Russland gewesen. Drittens sei die Demonstration ein wichtiges zivilgesellschaftliches Ereignis, um Solidarität zu zeigen und um friedliche seine Meinung zu sagen.
"Nawalny spielt eine große Rolle, aber ich sehe ihn eher als Trigger des Ganzen", sagt Evgeniya: "Das, was mit ihm geschehen ist, ist ein Präzedenzfall. Ich persönlich bin kein großer Fan von Nawalny als Politiker. Aber ich bin zur Demonstration gegangen, weil ich das Geschehene als eine große Ungerechtigkeit empfinde. Seine Figur spielt eine große Rolle in diesen Protesten, aber eher als Symbol." Nawalny selbst sei sehr hart in seinen Forderungen. "Für mich persönlich ist das keine gute Herangehensweise," sagt sie, "er ist zu radikal".
Kritiker Nawalnys werfen ihm auch seine Rethorik vor. Kaukasier bezeichnete er beispielsweise als Kakerlaken, Gastarbeiter aus Zentralasien als Kriminelle. Auch Evgeniya sieht Nawalny deswegen kritisch. Viele der Demonstranten seien keine Nawalny-Unterstützer, wollten aber laut Evgeniya ein Zeichen der Solidarität gegen die Ungerechtigkeit setzen. Der Grad der Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen wachse.