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Demonstration in Erfurt
AfD und NPD gemeinsam gegen die Asylpolitik

In Erfurt kommen zur Kundgebung der AfD gegen die Asylpolitik auch viele NPD-Mitglieder mit Transparenten und alten Wahlplakaten, aus denen die NPD-Logos entfernt wurden. Dass sie mitmarschieren, liegt auch am AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke, der in Thüringen zur Integrationsfigur des rechten Rands wird.

Von Henry Bernhard |
    Thüringens AfD-Fraktionsvorsitzender Björn Höcke spricht am 07.10.2015 in Erfurt (Thüringen) auf einer Demonstration gegen die Asylpolitik.
    Thüringens AfD-Fraktionsvorsitzender Björn Höcke spricht auf einer Demonstration gegen die Asylpolitik. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen! Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!" Die Demonstration der AfD Thüringen gestern Abend beginnt eine halbe Stunde verspätet. So viele sind gekommen, dass die Veranstalter noch mehr Ordner verpflichten müssen. Auflage vom Ordnungsamt. Gerhard Siebold, Organisator und persönlicher Mitarbeiter von AfD-Landeschef Björn Höcke, rätselt derweil, wer in der vergangenen Woche die rechtsextremen Provokateure eingeschleust haben könnte, als Gegendemonstranten gejagt, angegriffen und geschlagen wurden.
    "Diese Leute, in wessen Auftrag sie auch hier waren, bringen alle Vernunftbürger in Misskredit. Deshalb auch heute die Aufforderung an die Ordner, darauf zu achten, dass keine Banner oder Fahnen oder andere Zeichen extremistischer Parteien oder Organisationen benutzt werden."
    Zur gleichen Zeit stehen ganz vorn im Demonstrationszug junge Männer mit schwarzen Fahnen, darauf eine gelbe Faust, die entschlossen einen Blitz packt. Es ist das Logo einer Neonazi-Fernsehproduktion. Die AfD-Organisatoren bitten die jungen Männer, sich doch weiter hinten einzureihen. Vorn möchte man AfD-Plakate sehen. Die Fahnenträger fügen sich und trollen sich nach hinten, dorthin, wo auch die NPD mit ihren Plakaten steht - es sind die Wahlplakate aus dem vergangenen Jahr, nur das NPD-Logo ist abgeschnitten. Egal, dem AfD-Abgeordneten im Thüringer Landtag, Stephan Brandner, ist jeder Mitdemonstrant willkommen: "Ja, mal sehen, wenn die mitlaufen, ist das ja in Ordnung! Da kann man nichts gegen machen!"
    Bei einem Kamerateam wird die Stimmung aggressiv
    Der Zug setzt sich in Bewegung. Noch durch unbewohntes Gebiet am Stadtrand. Erst meldet die Polizei 5.000, später 8.000 Teilnehmer. Es sind viele dabei, die bürgerlich aussehen, die diskutieren, dass es so nicht weiterginge mit der Flüchtlingspolitik. Aber auch Hooligans, rechte Kameradschaften, die NPD-Landesspitze. Spätestens in ihren Sprechchören sind alle vereint. "Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! – AfD! Mut zur Wahrheit! - AfD"
    Der Demonstrationszug zieht vorbei am Stadion, an einem Altersheim. Als ein Kamerateam auftaucht, wird die Stimmung erstmals aggressiv. "Lügenpresse! Lügenpresse! Lügenpresse! Lügenpresse!" Die Ordner haben zu tun, Männer zurückzuhalten, die auf das Fernsehteam losstürmen wollen. "Schämt ihr euch nicht? Volksverräter! Ihr kriegt noch ein paar auf die Fresse! Das dauert nicht mehr lange. Wartet mal ab!" Die Drohungen werden leise, aber verständlich ausgesprochen. Gegendemonstranten, die in der vergangenen Woche protestierten, hörten noch Deutlicheres: "Geht doch ins Gas!" oder "Ihr seid die ersten, die an die Wand gehören!" "Deutschland den Deutschen!" Es gab Kühnen-Grüße und Hitler-Rufe, "Ausländer raus!"-Rufe. "Judenpack!"-Rufe, "Kinderschänder!"
    "Stehenbleiben, stehenbleiben, stehenbleiben!" – "Die heutigen Kommunisten sind die wahren Faschisten!"
    Als der AfD-Marschzug gestern Abend die Gegendemonstration von Linken, Sozialdemokraten, Grünen, Autonomen passiert, haben die Ordner wieder alle Hände voll zu tun, junge Männer mit Tattoos bis zum Kopf, aber auch eine hysterische Frau um die 60 zurückzuhalten. "Keine Provokation geht von uns aus!" – "Ihr Schweine! Ihr Schweine! Lumpenpack!"
    Ein Ordner grabscht nach meinem Mikrofon, versucht die Aufnahme zu verhindern. Ein anderer Ordner rempelt und beschuldigt mich, ihm in die Nieren geschlagen zu haben. Kurze Zeit später tritt Björn Höcke auf die Tribüne: "Ich betone noch mal: Unsere Stärke ist unsere Friedlichkeit." Höcke ist der Landesvorsitzende der AfD in Thüringen und ihr Fraktionsvorsitzender im Landtag. Die Mittwochsdemonstrationen in Erfurt sind seine neue Plattform. Landtagsabgeordnete anderer Parteien, die gegen die AfD-Demonstration demonstrieren, bezeichnet er als "Grundrechtsschänder". Aufrecht steht er vorn, umflort von Deutschland-Fahnen. Die Fahnen der rechtsextremen Gruppierungen wehen im Hintergrund. "Liebe Erfurter! Liebe Thüringer! Liebe Deutsche! Wir stehen für Ordnung und Sauberkeit. Wir leben nicht auf Kosten der Gemeinschaft, sondern wir leben für die Gemeinschaft."
    NPD-Spitze marschiert mit
    "Gemeinschaft", "Deutsche", "Front", "Volksempfinden" - Höcke liebt die Worte, die auch im Dritten Reich zu hören waren. Den Fehler, zu deutlich zu werden, macht er nie. Stattdessen schwärmt er von der großen Zeit, die Deutschland im Kaiserreich hatte und von Bismarck. "Thüringer! Deutsche! 3000 Jahre Europa! 1000 Jahre Deutschland! Ich gebe euch nicht her! Und ich weiß: Ihr gebt sie auch nicht her!"
    Beobachter sehen Höckes Auftritte mit Schrecken. Der Deutsche Beamtenbund Thüringen hat seine Mitglieder aufgerufen, sich nicht an AfD-Demonstrationen zu beteiligen. Astrid Rothe-Beinlich, Parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Fraktion, analysiert: "Höcke hat sich da stilisiert schon als eine Art Führer, hat gemerkt, er kommt da ganz gut an. Er knüpft ja in seiner Rhetorik auch immer ganz klar an Goebbels an."
    "Erfurt, liebe Freunde, ist schön! Erfurt ist … schön … deutsch! Und schön deutsch soll Erfurt bleiben!" Katharina König, Linke Abgeordnete und genaue Kennerin der rechten Szene, ergänzt: "Herr Höcke ist eine Führungsperson, der es gelingt das komplette rechtskonservative bis militante Spektrum zu einen."
    Auch die NPD scheint den Führungsanspruch Höckes anerkannt zu haben. Geschlossen marschierte die Thüringer Spitze der NPD vergangene Woche hinter einem Transparent – ohne NPD-Logo.
    In Erfurt läuft sich einer warm, den äußersten rechten Rand zu einen.