Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich auf einer Kundgebung vor mehr als einer Million Anhängern in Istanbul für die Einführung der Todesstrafe ausgesprochen. Er würde diese bestätigen, sollte das Parlament dafür stimmen, sagte Erdogan auf der Demonstration unter dem Motto "Demokratie und Märtyrer". Er setzte sich mit seinen Äußerungen über Kritik aus dem Westen hinweg. So hatte nur kurz zuvor der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel gesagt, sollte die Türkei die Todesstrafe einführen, würde es keinen Sinn mehr machen, über einen Beitritt des Landes in die Europäische Union zu verhandeln.
Erdogan hatte zu der Kundgebung aufgerufen. Von der Veranstaltung sollte ein Signal der Einheit nach dem gescheiterten Militärputsch Mitte Juli ausgehen und der nach Regierungsangaben mindestens 239 Opfer gedacht werden, die durch die Putschisten getötet wurden. Zur Zahl der getöteten Umstürzler macht die Regierung seit längerem keine Angaben mehr. Zuletzt war in dem Zusammenhang von 24 Toten die Rede gewesen.
Westen distanzierte sich laut Erdogan nicht vom Putschversuch
Der türkische Präsident erneuerte bei der Kundgebung auch seine Kritik am Westen, der sich seiner Meinung nach, nicht deutlich genug vom Putschversuch distanziert hat. An Deutschland richtete er die Frage: "Wo ist die Demokratie?". Das Bundesverfassungsgericht hatte den Veranstaltern einer Pro-Erdogan-Demonstration in Köln untersagt, Erdogan im Video hinzuzuschalten.
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte bei der Kundegebung, der im US-Exil lebende Prediger Fethullah Gülen werde zur Rechenschaft gezogen: "Ihr alle sollt wissen, dass der Anführer dieser terroristischen Gruppe in die Türkei kommen wird und dafür bezahlen wird, was er getan hat." Der Chef der türkischen Streitkräfte, Hulusi Akar, sagte, die "Verräter" hinter dem Umsturzversuch würden auf härteste Weise bestraft werden. Gülen hat Vorwürfe zurückgewiesen, er sei der Drahtzieher des gescheiterten Putsches.
Pro-kurdische HDP nicht eingeladen
Auf Erdogans Einladung hin haben auch Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP und der Vorsitzende der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, an der Demonstration teilgenommen. Zusammen repräsentieren die drei Parteien mehr als 85 Prozent des Wählerwillens.
Nicht eingeladen wurde die pro-kurdische HDP, die sich ebenfalls gegen den gescheiterten Militärputsch gestellt hatte. Der HDP wirft Erdogan Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor.
Seit dem Putschversuch sucht Erdogan den Schulterschluss mit der CHP und der MHP. Zugleich geht die Regierung hart gegen Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen vor, den Erdogan für den Umsturzversuch verantwortlich macht. Nach Regierungsangaben wurden mehr als 60.000 Staatsbedienstete suspendiert oder entlassen. Mehr als 13.000 Verdächtige sind in Untersuchungshaft.
Harsche Kritik an Erdogans Vorgehen
Für dieses Vorgehen wurde Erdogan aus dem Ausland teils harsch kritisiert. FDP-Chef Christian Lindner sagte in der "Bild am Sonntag": "Wir erleben einen Staatsputsch von oben wie 1933 nach dem Reichstagsbrand."
Erdogan seinerseits hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass er in Folge des Putschversuches in seinem Land nach Alleinherrschaft strebe. "Ich bin kein Despot oder Diktator", sagte der türkische Staatspräsident dem Sender Al-Dschasira. Er würde kein Recht ausüben, das ihm vom türkischen Volk nicht zuvor verliehen wurde. Der Staatschef übte erneut scharfe Kritik an westlichen Staaten. Der Westen habe nicht gezeigt, dass er gegen den Putsch ist.
In den vergangenen Wochen, auch im Nachgang zum Putsch, hatte es zwischen der EU und der Türkei Auseinandersetzungen über die Visafreiheit und den Flüchtlingsdeal gegeben - der türkische Außenminister Cavusoglu hatte gedroht, den Deal platzen zu lassen, sollte die Visafreiheit für Türken nicht zustande kommen. Außerdem hatte der österreichische Bundeskanzler Kern gefordert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden.
(vic/tzi)