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Demonstrationsverbot in Dresden
"Triumph für die Gegner der Demokratie"

Der Linken-Politiker André Hahn hat das Verbot der Pegida-Demonstration und der Gegenveranstaltungen in Dresden kritisiert. "Das ist ein schwerer Grundrechtseingriff," sagte er im DLF. Mit einer "Aushebelung" der Grundrechte beschneide man seine eigenen Freiheiten. Er forderte Aufklärung über die Hintergründe des Verbots.

André Hahn im Gespräch mit Jasper Barenberg |
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    Linken-Politiker André Hahn (picture alliance / ZB / Matthias Hiekel)
    Jasper Barenberg: Zum ersten Mal seit Wochen keine Deutschland-Flaggen vor der Semperoper in Dresden und keine Trillerpfeifen auf der Gegenseite. Überall in Deutschland sind gestern Abend trotzdem wieder Menschen auf der Straße unterwegs gewesen - wenige für die Anliegen der Islam-Kritiker und Politik-Enttäuschten, viele für eine offene und tolerante Gesellschaft. In Dresden aber hatte die Polizei alle Kundgebungen unter freiem Himmel untersagt. Über Pegida geredet und diskutiert wird trotzdem.
    Auch in Berlin wird weiter über die Absage der Kundgebungen in Dresden diskutiert. Wenn sich so etwas wie ein Konsens herausschält, dann wohl der, dass ein Verbot, eine Absage von Demonstrationen die Ausnahme bleiben muss. Manche verteidigen die Entscheidung, weil der Schutz der Demonstranten eben über allem stehen sollte. Andere dagegen haben die Entscheidung überstürzt genannt. Wir haben es schon gehört. Jedenfalls haben sich offenbar auch im Kreis der Innenminister der Länder Irritationen angesammelt.
    Am Telefon ist André Hahn von der Linkspartei, Mitglied unter anderem im Innenausschuss des Bundestages. Schönen guten Tag, Herr Hahn.
    André Hahn: Ja, schönen guten Tag.
    Barenberg: Wir haben jetzt einige Bewertungen der Entscheidung gehört. Wie ist Ihre? War das Demonstrationsverbot überzogen, voreilig, problematisch?
    Hahn: Mich haben die Argumente bislang nicht überzeugen können, dass dieses Demonstrationsverbot nötig war, schon gar nicht, dass man alle Veranstaltungen untersagt hat. Wenn ein Einzelner bedroht wird, dann gibt es entsprechende Schutzmaßnahmen, die man ergreifen kann. Da hat die Polizei Instrumentarien. Es ist immer schwierig, wenn es um Leib und Leben geht, dort auch Entscheidungen zu treffen. Aber es ist ein schwerer Grundrechtseingriff und es ist aus meiner Sicht auch ein unnötiger Triumph für die Gegner der Demokratie, wenn wir nun ein solches Grundrecht hier infrage stellen und wenn man sagt, das war ein Einzelfall. Was wird dann morgen in Leipzig, wo Pegida aufgerufen hat, dass die Leute, die jetzt nicht in Dresden waren, nach Leipzig kommen sollen? Soll denn dort die Veranstaltung auch verboten werden? Ich glaube, so kommt man nicht weiter, und die Behörden müssen darüber Auskunft geben, was denn nun tatsächlich die Bedrohungslage gewesen ist. Darauf ist man Antworten schuldig geblieben, auch gestern im Innenausschuss des sächsischen Landtages.
    "Nicht eine Twitter-Meldung zur Grundlage für Grundrechts-Aushebelung nehmen"
    Barenberg: Und glauben Sie, dass Sie da noch Anhaltspunkte in Ihrer Funktion als Bundestagsabgeordneter - Sie sind ja auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste -, glauben Sie, dass sie da noch Auskünfte erhalten werden, Aufschluss erhalten werden?
    Hahn: Ja, ich werde sicherlich dieses Thema in der nächsten Sitzung des Kontrollgremiums, dessen Vorsitzender ich ja im Moment bin, auf die Tagesordnung setzen, und da müssen dann auch mal die Karten auf den Tisch gelegt werden. Man kann ja nicht eine einzelne Twitter-Meldung nehmen und das zur Grundlage machen, das Grundrecht auszuhebeln, und aus dem Grund müssen dort nähere Dinge geliefert werden, nähere Informationen, und ich gehe schon davon aus, dass wir die auch bekommen.
    Barenberg: Wenn Sie uns vielleicht sagen, was wäre denn in Ihrer Abwägung die richtige Entscheidung? Unter welchen Umständen würden Sie den Schutz von Menschenleben - und um den ging es ja immerhin in der Begründung, was das Verbot angeht -, wann würde das für Sie den Ausschlag geben?
    Hahn: Wenn es ganz konkrete Tatvorbereitungen gibt, wenn man dort Leute im Blick hat und weiß, dort reisen schon Leute mit entsprechenden Bomben oder mit Waffen, wenn es da konkrete Erkenntnisse gibt, ist ein solcher Schritt nachvollziehbar. Aber wenn tatsächlich - und so stellt es sich ja im Moment dar - eine einzelne Person, nämlich einer der Organisatoren von Pegida, dort bedroht worden ist, über eine Twitter-Nachricht, dann gibt es Schutzmöglichkeiten für diese einzelnen Personen. Es sind ja auch Bundesminister, es sind andere hochrangige Personen, Staatsgäste, die geschützt werden. Die Möglichkeit besteht dann auch und dann hätte die Veranstaltung stattfinden können, möglicherweise auch ohne die Teilnahme des Organisators.
    Es ist natürlich eine schwierige Abwägung. Das will ich gerne einräumen. Aber im Zweifel muss die Demonstrationsfreiheit gewährleistet sein, weil ansonsten man sich selbst Grundrechte zurücknimmt, sich selbst beschneidet, und das ist etwas, wo dann die demokratiefeindlichen Kräfte sagen können, seht ihr, wir haben es denen gezeigt, und wir dürfen nicht unsere eigenen Möglichkeiten beschneiden. Und ich sage auch mal: Bei "Charlie Hebdo" in Frankreich hat es fünf Todesopfer gegeben und die Redaktion hat gesagt, wir bringen selbstverständlich eine neue Auflage der Satirezeitschrift heraus, wir lassen uns nicht einschüchtern und wir lassen uns die Pressefreiheit nicht nehmen. Das muss für die Demonstrationsfreiheit auch gelten.
    Barenberg: Unsere offene Gesellschaft darf vor Gewaltdrohungen nicht zurückweichen. Das hat die Grünen-Chefin, hat Simone Peter heute gesagt. Das würden Sie auch unterschreiben?
    Hahn: Ja, das teile ich ausdrücklich.
    "Ich brauche diese Demonstrationen von Pegida nicht"
    Barenberg: Ich habe so ein bisschen durchgehört bei Ihnen, dass Sie auch der Meinung sein könnten, dass die Polizei, dass die Sicherheitsbehörden in Dresden, in Sachsen ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind, ein sicheres Umfeld zu gewährleisten, auch für solche Demonstrationen unter den etwas heiklen Bedingungen.
    Hahn: Die Polizei hat bis jetzt ja die Demonstrationen abgesichert. Das ist auch weitgehend friedlich geblieben. Da hat sie ihre Aufgabe schon wahrgenommen. Das jetzige Aussetzen der Demonstration war eine politische Entscheidung. Da braucht man ja nicht drum herumzureden. Wenn die Innenminister eine Telefonkonferenz gemacht haben, der Ministerpräsident hat das gestern vorgetragen, dann war das keine rein polizeiliche Entscheidung. Und das macht es natürlich eigentlich noch problematischer, wenn die Politik dann entscheidet, welche Demonstrationen stattfinden und welche möglicherweise auch nicht.
    Barenberg: Gehen Sie denn davon aus, dass das ein Einzelfall ist und dass beispielsweise nächsten Montag wieder Kundgebungen in Dresden auch von Pegida stattfinden werden?
    Hahn: Das kann ich nicht beurteilen. Ich brauche diese Demonstrationen von Pegida nicht, um das ganz klar zu sagen. Aber auch für diese Gruppierung gilt natürlich das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit und deshalb wäre es sicherlich auch jetzt angezeigt, dass man die Hintergründe aufdeckt. Denn was passiert denn, wenn nächste Woche wieder eine Twitter-Meldung kommt im gleichen Umfang? Sagt man dann, wir haben es letzte Woche abgesagt, jetzt müssen wir es diesmal auch absagen? Das ist in sich nicht schlüssig und deshalb hoffe ich sehr, dass die Demonstrationen, die jetzt angemeldet werden, oder die durchgeführt werden sollen, auch ordnungsgemäß stattfinden können und die Polizei dann auch hier den notwendigen Schutz gewährleistet. Eine absolute Sicherheit gibt es leider nie. Aber bevor man selbst Grundrechte einschränkt, müssen alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sein, und ob das hier der Fall gewesen ist, das stelle ich zumindest infrage.
    Barenberg: Herr Hahn, es gibt auch eine Diskussion darüber, wie man jetzt weiter mit Pegida selbst umgeht. Es gab gestern diese Pressekonferenz, die beispielsweise "Spiegel Online" die Lügenpressekonferenz genannt hat, weil Pegida oder Teilnehmer dieser Kundgebung diesen Vorwurf immer wieder gegen die Medien erheben. Auf welcher Seite stehen Sie da, auf der Seite derjenigen, die sagen, lasst uns den Dialog, das Gespräch suchen mit den Anhängern, mit den Sympathisanten dieser Bewegung, oder auf der Seite der SPD, die das kategorisch ablehnt?
    Hahn: Ich glaube nicht, dass das eine Entweder-oder-Frage ist, weil man natürlich mit unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern sprechen muss. Und ich glaube, dass es in den Pegida-Demonstrationen viele gibt, die auch begründete Sorge haben, was ihre soziale Sicherheit angeht, was Arbeitsplätze angeht, was die Frage von Altersarmut und Ähnliches angeht. Da muss man mit Menschen im Gespräch sein, auch wenn sie an solchen Demonstrationen teilnehmen. Aber mit den Organisatoren, mit den führenden Köpfen haben auch wir als Linke nichts zu besprechen. Wir nehmen die Sorgen der Leute ernst. Deshalb darf man das auch nicht abtun und alle in eine Ecke stellen, wie es ja anfangs geschehen ist, alles Nazis, die dort marschieren. Das stimmt natürlich nicht. Mit den Bürgern, die ehrlich Sorge haben, reden wir ja immer als Linke. Wir haben Sprechstunden, wir machen Veranstaltungen, wo auch Fragen gestellt und Probleme artikuliert werden können. Aber mit den Organisatoren sehe ich keine Gesprächsgrundlage. Das will ich auch ganz klar sagen.
    "Mit den Bürgern, die Sorgen haben, müssen wir uns befassen"
    Barenberg: Wenn die Landeszentrale für politische Bildung in Dresden jetzt Gespräche anbietet, ein Forum bietet, Veranstaltungen ins Leben ruft, dann würden Sie eine Einladung annehmen?
    Hahn: Ich bin schon ganz oft bei Veranstaltungen der Landeszentrale für politische Bildung gewesen. Man muss sich dann die genaue Zusammensetzung angucken. Aber wenn es um die Probleme geht, die die Menschen bewegen, dann ist es Aufgabe der Politik, mit ihnen auch zu sprechen. Aber ich sage ganz ausdrücklich: Natürlich nicht mit jenen Leuten, die sich von der NPD dort versuchen, hinter dieser Demonstration zu verstecken, oder führende Köpfe der rechten Szene. Das sind für mich keine Gesprächspartner. Aber mit den Bürgern, die Sorgen haben, müssen wir uns befassen. Das ist unsere Aufgabe.
    Barenberg: Sie haben vorhin ja gesagt, dass viele Menschen darunter sind, die sich Sorgen um ihre materielle Zukunft machen. So will ich es mal zusammenfassen. Nun gibt es ja erste Studien, die sagen, dass Abstiegsängste gerade nicht die Triebfeder sind, sondern so ein etwas vages Gefühl, von "der Politik" nicht ernst genommen zu werden, und in Gestalt der Veranstalterin, die jetzt auch im Fernsehen erstmals aufgetreten ist, so ein diffuser Wunsch, die sollen jetzt mal machen, was wir wollen.
    Hahn: Ja dann muss natürlich auch artikuliert werden, was denn genau gewünscht ist. Wenn man beispielsweise sagt, mehr Volksgesetzgebung, dann fordern wir das als Linke schon seit Langem. Die Frage ist ja nur, was damit bezweckt wird und welche Dinge zur Abstimmung gestellt werden sollen. Und die Wahlbeteiligung, die ja in Sachsen zum Teil unter 50 Prozent lag bei den Landtagswahlen, die ist natürlich besorgniserregend und zeigt auch, dass es Unzufriedenheit gibt, und das muss die Politik wirklich ernst nehmen. Da verstehe ich bestimmte Sorgen, die artikuliert werden. Das ist völlig klar. Aber ich muss auch sagen, dass ich Zweifel habe, dass dies mit einer Reihe von Gesprächsrunden alles zu klären ist. Die Politik muss sich handlungsfähig zeigen und es muss natürlich auch klare Positionen geben, über die man sich austauschen kann. Ich glaube, dass die Pegida-Demonstrationen sehr heterogen zusammengesetzt sind, und was die Studien angeht, da gibt es ja unterschiedliche, was die Beweggründe betrifft. Ich kenne da auch die Angst vor sozialem Abstieg und das sind auch Zahlen, die wir erhalten haben, die dafür sprechen. Von daher ist das wirklich eine schwierige Gemengelage, wo auch die Politik keine einfachen Antworten geben darf.
    Barenberg: Heute Mittag hier live im Deutschlandfunk André Hahn von der Linkspartei. Vielen Dank für das Interview heute Mittag.
    Hahn: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.