"Wir müssen Vertrauen in die Polizei- und Sicherheitsbehörden haben, aber das kann nur eine einmalige Entscheidung sein. Im Grundsatz gilt die Versammlungsfreiheit, das wird niemand in Zweifel ziehen." Deutschland habe in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, dass man demonstrieren könne und Meinungsfreiheit gelte. "Die Kritik an der Entscheidung ist wohlfeil, bei einem Vorfall wären es die gleichen Leute gewesen, die mit dem Finger auf die Sicherheitsbehörden gezeigt hätten."
Dass auch die Gegendemonstrationen verboten wurden, die von den Morddrohungen nicht betroffen waren, nannte Kretschmer "vor dem Hintergrund der Bedrohungslage unvermeidlich". Der Begründung von Sachsens Innenminister Markus Ulbig, dass mögliche Attentäter beide Lager nicht hätten unterscheiden können, sei nachvollziehbar, wenn man die "Parolen und die Anzugsordnung" betrachtet. "Das war sehr ähnlich."
Dialog mit Demonstranten wichtig
Kretschmer fordert nun eine inhaltliche Auseinandersetzung. "Man kann die vielen Themen nicht auf der Straße klären, sondern nur im Gespräch miteinander." Das sei von den Protagonisten lange ausgeschlossen worden, jetzt gebe es einen Schwenk Richtung Dialog. "Das ist eine erste Veränderung", sagte Kretschmer. Diese basiere auf der Erkenntnis, dass man die Probleme nicht mit gegenseitigen Beschimpfungen lösen könne.
Dass sich SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi gegen einen Dialog mit Pegida ausgesprochen hat, nannte Kretschmer "überheblich". Die Politik könne nicht entscheiden, welche Ängste zulässig und welche unzulässig sind. Dabei verglich er die Furcht vor Atomkraft oder Gentechnik mit der vor einem gewaltbereiten Islam. Man müsse Fragen auf Antworten finden, sonst würde man die Antworten Kräften "jenseits des demokratischen Spektrums" überlassen.
Kretschmer verteidigt "Sondereinheiten" gegen straffällige Asylbewerber
Den Vorstoß des sächsischen Innenministers Ulbig, eine "Sondereinheit" zur Verfolgung straffällig gewordener Asylbewerber einzusetzen, verteidigte Kretschmer. "Es hat einige Fälle gegeben, die die Bereitschaft zu Solidarität torpedieren." Wer das Asylrecht und Sozialleistungen missbrauche, müsse davon ausgeschlossen werden - und zwar konsequenter und schneller. Er stehe trotzdem "mit Begeisterung" zum Recht auf Asyl, sagte Kretschmer.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Seit Wochen bereits rufen die Organisatoren der sogenannten Pegida-Bewegung in Dresden jeden Montag zum sogenannten Abendspaziergang auf. Gestern ist die Demo zum ersten Mal ausgefallen. Der Grund: Eine Morddrohung, die offenbar gegen einen Organisator der Protestmärsche gerichtet war, gegen den vorbestraften Lutz Bachmann. Daraufhin sagten die Pegida-Protagonisten die Veranstaltung ab. Auch die Polizeibehörde verbot diese wie auch die geplanten Gegendemonstrationen. - Am Telefon ist jetzt Michael Kretschmer, stellvertretender Chef der Unions-Bundestagsfraktion, Generalsekretär der CDU in Sachsen. Guten Morgen, Herr Kretschmer.
Grundsätzlich gilt das Versammlungsrecht"
Michael Kretschmer: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Kretschmer, vor 25 Jahren sind die Menschen massenweise auf die Straße gegangen, trotz der Gefahr, dass die Nationale Volksarmee schießen könnte. Jetzt sagt man ganze Demonstrationen wegen einer Morddrohung ab. Sind wir mittlerweile zu feige, um uns der Gefahr entgegenzustellen?
Kretschmer: Nein, das glaube ich nicht. Seit vielen Wochen werden in Dresden Demonstrationen von der Polizei abgesichert mit einem unglaublichen Aufgebot an Personal und an Technik. Dass es jetzt zu dieser Entscheidung gekommen ist, hat uns alle erstaunt und auch ein Stück weit betroffen gemacht. Aber ich finde, wir müssen bei denen, die jetzt diese Entscheidung getroffen haben und die sie auch alleine verantworten müssen, nämlich die Polizei und die Sicherheitsbehörden, einfach auch ein Stück Vertrauen haben und ihnen den Rücken stärken, denn die Kritik daran ist im Zweifel wohlfeil, weil wir niemandem die Verantwortung abnehmen können. Das können nur diejenigen, die alle Fakten wissen. Klar ist aber auch: Das kann nur eine einmalige Entscheidung gewesen sein. Grundsätzlich gilt überall in Deutschland die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht.
Heckmann: In Paris aber, da demonstrierten ja Millionen auf den Straßen, darunter auch Dutzende Staats- und Regierungschefs, trotz der Gefahr eines neuerlichen Terroranschlags. Die „Tageszeitung“ beispielsweise, die kommentiert heute und spricht von einem Siegeszug der Islamisten, der damit bereits errungen worden sei.
Kretschmer: Paris war ein ganz starkes Symbol, ein auch wichtiges, und ich glaube, das war genau das, was wir da gebraucht haben. In Dresden kann man sehen, auch wenn uns das nicht gefällt, was da über Wochen zum Teil auch an Argumenten und an Tönen zu hören war, dass die Demonstrationsfreiheit gilt. Wir können bei weitem nicht von einem Siegeszug sprechen. Im Gegenteil!
Heckmann: Aber gestern zum Beispiel, da hat sie offenbar nicht gegolten, diese Demonstrationsfreiheit.
Kretschmer: Aber das wird es immer wieder einmal geben, dass eine besondere Situation uns dazu zwingt. Noch einmal: Ich glaube, die Diskussion auch von den politischen Parteien hat gezeigt, dass das jetzt eine einmalige Situation ist, auf die man sich einstellen muss. So was kann es geben. Aber im Grundsatz gilt das in Deutschland, das wird auch niemand in Zweifel ziehen.
Heckmann: Auf der einen Seite sprechen Sie von einem Einzelfall. Das muss ein Einzelfall bleiben. Auf der anderen Seite sagen Sie, das kann es immer wieder geben. Das ist ja auch naheliegend. Das könnte ja mittlerweile auch praktisch das Ende der Pegida-Demonstrationen in Dresden bedeuten, denn diese Morddrohung, die wird ja auch in der kommenden Woche noch Bestand haben.
Kretschmer: Das Entscheidende haben wir, glaube ich, gestern Vormittag erlebt. Wir haben ja über Wochen immer wieder auch als Sachsen gesagt, man kann die vielen Themen, die da bei diesen Demonstrationen vorgebracht werden, nicht auf der Straße mit Demonstrationen klären, auch nicht mit einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft, mit Für- und Gegendemonstrationen, sondern nur im Gespräch miteinander. Ich erinnere mich an Demonstrationen, wo das kategorisch ausgeschlossen wurde von den Protagonisten von Pegida. Jetzt gibt es da einen Schwenk, das ist richtig so. Wir wollen das auch als sächsische Union machen. Wir wollen das Gespräch mit den Demonstrierenden, die da Anliegen haben, die wir zum Teil berechtigt, auch nicht berechtigt finden. Aber das ist schon eine erste Veränderung. Die hat aber nichts mit diesen Terrordrohungen zu tun, sondern einfach mit der Erkenntnis, dass man diese Themen nicht auf der Straße klären kann, zumindest nicht mit den gegenwärtigen Beschimpfungen.
"Ein unglaubliches Polizeiaufgebot notwendig"
Heckmann: Zu dem Punkt kommen wir gleich noch mal, Dialog mit den Pegida-Anhängern ja oder nein. Trotzdem aber noch mal meine Frage: Was sollen denn die Behörden machen, wenn am kommenden Montag oder in den nächsten Wochen immer wieder solche Morddrohungen auftauchen? Da könnte man dann ja jedes Mal die Demonstrationen und auch die Gegendemonstrationen verbieten.
Kretschmer: Das ist aber nicht die Realität in Deutschland, sondern die Realität ist, dass die Polizei sich darauf einrichtet, die Sicherheitsbehörden mit einem größeren Aufgebot, mit einer besseren Vorbereitung, und das ist das, was wir in Zukunft erleben werden, wenngleich wir uns dann irgendwann auch fragen müssen, alle miteinander, ob das der richtige Weg ist. Wir haben gestern Abend 30.000 Polizisten in Dresden gehabt, oder eine Polizeistärke gehabt, die 30.000 Demonstranten hätte beschützen können, und das ist ein unglaublicher Aufwand. Polizisten aus allen Bundesländern waren in Dresden. Ob das der richtige Weg ist, ist eine andere Frage, aber wir haben in den vergangenen Jahren in Deutschland, glaube ich, deutlich gezeigt, dass man bei uns demonstrieren kann, dass Meinungsfreiheit gilt.
Heckmann: Aus Regierungskreisen in Berlin ist zu hören - das jedenfalls berichtet unter anderem die "Süddeutsche Zeitung", der "Westdeutsche Rundfunk" auch -, da ist von einer unglücklichen Entscheidung die Rede. Die Bedrohung, die sei von sächsischer Seite so ein bisschen hochgejazzt worden. Was sagen Sie zu so einer Kritik?
Kretschmer: Das kann ich nicht einschätzen. Ich, noch einmal, finde sie zum großen Teil wohlfeil, weil wenn es einen Vorfall gegeben hätte, wären es die gleichen Leute gewesen, die dann mit dem Finger gezeigt hätten. Es sind wenige Menschen, die diese Entscheidung treffen müssen in Polizei und Versammlungsbehörde, die das sich mit Sicherheit nicht leicht machen und die genau diese Diskussion auch erahnt haben, und der Innenausschuss hat sich gestern in Sachsen damit beschäftigt und ist, glaube ich, zu dem Ergebnis gekommen, dass man diese Entscheidung auch mitträgt vor dem Hintergrund der genannten Fakten, und dabei sollte man es im Grunde belassen, weil die Kritik daran ist sehr schnell wohlfeil. Das sage ich noch einmal. Wir können diese Verantwortung nicht übernehmen. Die können nur diejenigen tragen, die am Ende den Kopf hinhalten müssen.
Heckmann: Die Kritik ist wohlfeil, sagen Sie jetzt zum wiederholten Male, Herr Kretschmer. Wie wohlfeil ist denn die Kritik daran, dass auch die Gegendemonstrationen verboten worden sind, denn die waren doch von den Morddrohungen überhaupt nicht betroffen?
Kretschmer: Wie die Entscheidung genau zustande gekommen ist, kann ich nicht sagen.
Heckmann: War sie denn richtig aus Ihrer Sicht?
Kretschmer: Ja. Sie ist vor dem Hintergrund der Bedrohungslage, wie sie uns geschildert worden ist und wie sie auch diskutiert worden ist, unvermeidlich gewesen. Dass sie nicht glücklich ist, dass man so etwas nicht gut finden kann, dass Demonstrationsfreiheit in Deutschland immer möglich sein muss und dass so etwas immer ein Ausnahmezustand sein muss, ist ja klar und, glaube ich, wird auch von niemand bestritten.
Heckmann: Das wurde ja jetzt von Seiten des sächsischen Innenministers damit begründet, dass die möglichen Attentäter nicht so richtig hätten unterscheiden können zwischen der Pegida-Demonstration und den Gegendemonstrationen. Finden Sie das nachvollziehbar?
Kretschmer: Ja, ich finde das nachvollziehbar, und wenn man Dresden kennt und die Demonstrationen der vergangenen Woche, dann konnte man in der Tat zum großen Teil nicht unterscheiden, wer da demonstriert. Die Parolen, auch die Anzugsordnung, das war zum Teil sehr ähnlich. Noch einmal: Diese Sache ist eine einmalige Entscheidung gewesen. Es wird mit ganzer Kraft daran gearbeitet, dass auch bei einer schwierigen Bedrohungslage Demonstrationen möglich sind. Wir wollen uns aber viel mehr jetzt darauf konzentrieren auf das Gespräch miteinander, weil das gegenseitige Hochschaukeln für die Fragen, die dort gestellt worden sind, keinen Nutzen bringt. Das kann man nur im persönlichen Gespräch miteinander und das ist die Aufgabe der nächsten Wochen.
"Natürlich muss ich mich mit diesen Fragen auseinandersetzen"
Heckmann: Jens Spahn von der CDU, der will ja an diesem Dialog auch teilnehmen. Das hat er im ARD-Fernsehen am Sonntag angekündigt. Die SPD-Generalsekretärin Fahimi, die hat das abgelehnt. "Wir werden nicht in den Dialog mit Pegida und auch mit den Anhängern treten." Denn damit - so kann man ihre Aussage zusammenfassen - würde man ausländerfeindliche Ressentiments nur salonfähig machen.
Kretschmer: Ich halte das für im höchsten Maße überheblich. Natürlich muss man sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und ich muss mich nicht mit einem Organisator an den Tisch setzen, aber ich muss mich doch mit denjenigen, die da auf der Straße Ängste äußern, auseinandersetzen. Und da will ich ganz deutlich sagen: Es kann nicht sein, dass die Politik und die politischen Parteien entscheiden, welche Ängste zulässig sind, welche man unterstützt, meinetwegen die Angst vor Atomkraft oder Gentechnik, und welche man für unzulässig und rechtsextremistisch hält, beispielsweise die Angst vor einem gewaltbereiten Islam. So geht es nicht.
Heckmann: Und die Angst vor Ausländern, die muss man auch ernst nehmen, und mit diesen Leuten, die im Prinzip durch die Blume sagen, Ausländer raus, mit denen muss man sich an einen Tisch setzen?
Kretschmer: Man muss sich mit denen an den Tisch setzen, die sagen, Integration in Deutschland ist in vielen Fällen nicht richtig organisiert gewesen. Wir haben Fragen, wie es zu Neukölln oder Kreuzberg gekommen ist, oder wie die Situation in manchen westdeutschen Großstädten ist. Das sind berechtigte Anliegen. Und es ist besser, wenn wir als etablierte Parteien Antworten finden darauf, uns möglicherweise auch korrigieren, als dass man diese Menschen, die diese Fragen haben und diese Kritik haben, anderen überlässt, die vielleicht jenseits des demokratischen Spektrums stehen.
Heckmann: Markus Ulbig, der Innenminister in Sachsen, der hat vor einigen Wochen Sondereinheiten für straffällig gewordene Asylbewerber ins Spiel gebracht und angekündigt. Ist das die richtige Methode, um Ängsten zu begegnen?
Kretschmer: Wir haben einige Fälle in Sachsen gehabt, die sehr ärgerlich sind, die die Bereitschaft zu Solidarität und Aufnahme und Integration behindert haben, und deswegen hat der Minister gesagt, ich möchte, dass wir diese Fälle, die wirklich unser Asylrecht und unsere Bereitschaft zur Solidarität torpedieren, möglichst schnell aufgeklärt haben. Möchte schnell zu dem Punkt kommen, dass diese Leute dann auch aus Deutschland wieder ausgewiesen werden. Es gibt ja immer nur zwei Seiten einer Medaille. Das eine ist unser Grundrecht auf Asyl, zu dem wir stehen, mit Begeisterung und mit tiefer innerer Überzeugung, und die zweite Frage, die zweite Seite der Medaille ist Integration von denen, die bei uns dauerhaft bleiben, und auch die Rückkehr derjenigen möglichst schnell und konsequent, die keinen Status hier in der Bundesrepublik Deutschland erlangen werden.
Heckmann: Aber, Herr Kretschmer, noch ganz kurz. Die Strafverfolgung von straffällig gewordenen Asylbewerbern ist das eine. Das kann man ja machen. Aber wenn man sich öffentlich hinstellt und regelrechte Sondereinheiten ankündigt, das heizt doch die Stimmung erst recht an, oder?
Kretschmer: Nein, das ist doch nur konsequent. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein so umfassendes Asylrecht, wie in kaum einem anderen Land. Wir haben ein so hohes Maß auch an Sozialleistungen, zu denen wir stehen und die ich auch für richtig halte, die ich auch mit tiefer Überzeugung verteidige. Das bedeutet aber auf der anderen Seite, dass diejenigen, die einen Missbrauch begehen, konsequent dann auch ausgeschlossen werden von diesem umfangreichen Asylrecht und den Sozialleistungen, und das wollen wir schneller als bisher machen und konsequenter machen. Ich glaube, dass wir dafür sehr viel Zustimmung in der Bevölkerung erhalten.
Heckmann: Und Sie glauben nicht, dass Sie damit die Stimmung der Pegida-Anhänger auch noch anheizen?
Kretschmer: Noch einmal: Ist die Sache in sich richtig oder ist sie falsch? Darf man hier einen Missbrauch begehen ja oder nein? Und dann muss man das richtige tun. Und diese Vorwürfe, die halte ich für an den Haaren herbeigezogen. Noch einmal: Wir müssen als Politik durchsetzen, dass deutsches Recht gilt, und das konsequent. Dann werden wir die meiste Zustimmung erhalten.
Heckmann: Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Kretschmer, war das, Generalsekretär der CDU in Sachsen. Herr Kretschmer, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Kretschmer: Auf Wiederhören! Tschüss!