Im Fall von Theresa May könne man zwar sagen, sie habe hoch gepokert und bei der Abstimmung auch verloren, "aber nicht jede Niederlage - weder im Krieg noch in politischen Situationen - ist eine Demütigung für die Person, die dort gekämpft hat". Mays Umgang mit dieser Niederlage sei nicht der Umgang einer Person, die vorher in Grund und Boden gedemütigt und erniedrigt worden sei. "Aber, die Tatsache, dass man mit diesem Begriff operiert, zeigt, dass die politische Kultur - nicht nur in Großbritannien oder den USA - empfindlich ist und man diesen Kampf um Macht und Durchsetzung auch als Kampf um Würde und Unwürde begreift", sagte die Leiterin des Bereichs "Geschichte der Gefühle" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin-Dahlem.
Sie geht aber davon aus, dass sich die Situation für einen Mann, wäre er in Theresa Mays Lage gewesen, vermutlich anders dargestellt hätte. "Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, hat ihr gewissermaßen zur Macht verholfen." Alle Männer seien damals eingeknickt, als klar gewesen sei, dass das Referendum anders ausgehen werde als vermutet. "Weder David Cameron noch Boris Johnson, die damals gezündelt haben, hatten die Chuzpe oder das Rückgrat, sich dazu zu verhalten und diese Sache durchzusetzen." Das sei in der Geschichte schon mehrfach vorgekommen: "Wenn Männer irgendetwas einziehen, ist das die Stunde der Frauen. Und zwar in der Regel von Frauen, die im politischen Geschäft noch nicht so viel Erfahrung haben." Manche Frauen würden daran wachsen, so wie Angela Merkel oder Margret Thatcher. Manche nicht.
"Doppelte Genugtuung"
"Die Lust daran, jemand Anderes scheitern zu sehen, die ist unverhohlen. Und zwar auf allen Seiten. Nicht nur in der Labour-Partei, sondern auch in den eigenen Reihen von May", sagt Frevert.
In Deutschland zum Beispiel sei die Situation von Frauen in der aktiven Politik auch immer noch prekär - trotz 100 Jahre Frauenwahlrecht. "100 Jahre Frauenwahlrecht klingen so altehrwürdig. Das suggeriert, dass Frauen seit 100 Jahren mitbestimmen dürften, dabei saßen bis in die 1970-80er Jahr nur sieben, acht Prozent Frauen in den Parlamenten." Erst durch die Grünen habe es dann ein gutes Drittel Frauen in Parlamenten gegeben. "Jetzt, mit der AfD, ist der Frauenquote schon wieder abgesunken - auf 30 Prozent, weil die AfD nur 11 Prozent weibliche Abgeordnete hat.
"Frauen dürfen nur in Krisensituationen ran. Ansonsten teilen sich Männer das wichtige Politik gestaltende Feld gerne unter sich auf", sagt sie. Wenn man Frauen dann mit zusammengebissenen Zähnen ranlassen müsse, weil die männlichen Kandiaten alle weggedriftet sein, und man sie dann beim Scheitern beobachten könne, "dann ist das eine doppelte Genugtuung".