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"Den Behörden hier ist relativ egal, was das Ausland darüber denkt"

Der chinesische Künstler Ai Weiwei ist mit seiner Klage gegen den Vorwurf der Steuerhinterziehung gescheitert. Das zuständige chinesische Gericht habe für die Ablehnung des Einspruchs keinerlei Begründung geliefert, berichtet China-Korrespondentin Ruth Kirchner aus Peking.

Ruth Kirchner im Gespräch mit Michael Köhler | 20.07.2012
    Michael Köhler: Zwei Millionen Euro an Steuern soll er nicht entrichtet haben, so lautet der Vorwurf. Im April letzten Jahres war er von Sicherheitskräften entführt worden, im Juni wurde er entlassen mit der Auflage, Peking nicht zu verlassen. Und von dem Regime, das er kritisiert, wird ihm Steuerhinterziehung in Millionenhöhe vorgeworfen: Die chinesische Justiz hat in einem Prozess nun gegen den Künstler Ai Weiwei entschieden. Ich habe meine Kollegin Ruth Kirchner in Peking gefragt: Ai Weiwei hatte Einspruch in einem Berufungsprozess wegen angeblicher Steuervergehen eingelegt. Wie ist das Ganze ausgegangen?

    Ruth Kirchner: Nun, das Gericht hier im Pekinger Chaoyang-Bezirk hat diesen Einspruch heute abgelehnt, hat aber nach Auskunft von Ai Weiweis Anwälten dazu keinerlei Begründung nachgeliefert, sondern hat einfach diesen Einspruch abgelehnt, und ich glaube, das hat sowohl die Anwälte als auch Ai Weiwei selbst ziemlich schockiert. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie mit ihrer Klage tatsächlich durchkommen, aber dass es jetzt sozusagen ohne Begründung einfach abgeschmettert wird, damit hatte hier so niemand gerechnet. In seiner ersten Stellungnahme war Ai Weiwei die Enttäuschung über diese Entscheidung auch tatsächlich anzuhören.

    O-Ton Ai Weiwei: "Es ist, was wir erwartet hatten. Trotzdem wollte ich nicht, dass dieses Land so eine dumme Entscheidung fällt. Es ist total absurd, dass ein Land mit so viel Aufwand so etwas Dämliches macht. Es ist unglaublich."

    Köhler: Wir haben diese Enttäuschung schon herausgehört, Ruth Kirchner. Teilnehmen durfte der Regimekritiker an dem Verfahren selber nicht. Was sagt er zu dem Ergebnis?

    Kirchner: Ja, das stimmt: Er durfte nicht teilnehmen. Ihm war von den Sicherheitsbehörden verboten worden, zum Gericht zu kommen. Das war auch schon bei der ersten Anhörung im Juni so gewesen und auch heute wieder, und das sieht dann in der Regel so aus, dass dann ein Dutzend Polizeifahrzeuge sowohl vor seinem Atelier standen als auch hier vor dem Gerichtsgebäude. Wir sind daran heute Morgen entlanggefahren, um uns das anzugucken, und da war doch ein sehr, sehr großes Polizeiaufgebot, mit dem man auch verhindern wollte, dass natürlich dort sich eine Reihe von Unterstützern sammeln könnten. Die wurden alle dann vertrieben, bevor diese Gerichtsverhandlung losging. Ai Weiwei selbst sagte in seinen ersten Reaktionen auf das Urteil des Gerichts, dass es ihm noch einmal deutlich zeige, dass es in China eben keine wirkliche Rechtsstaatlichkeit gebe, dass es in diesem Land kein Recht und keine Gerechtigkeit gibt.

    O-Ton Ai Weiwei: "Die heutige Entscheidung zeigt, dass dieses Land auch 60 Jahre nach seiner Gründung noch nicht einmal grundlegende rechtliche Verfahren hat. Es hat keinen Respekt vor der Wahrheit. Es gibt seinen Steuerzahlern und Bürgern noch immer nicht die Möglichkeit, sich selbst zu verteidigen. Die gesamte Justiz operiert im Dunkeln."

    Köhler: Man reibt sich ja im Westen ein bisschen die Augen, weil das die ganze Sache doch eigentlich nur noch schlimmer macht. Inzwischen gibt es bei uns auch einen Dokumentarfilm, der gesehen wird. Was bezwecken denn die Behörden mit dieser anhaltenden Drangsalierung?

    Kirchner: Ich denke, den Behörden hier ist relativ egal, was das Ausland darüber denkt, denn dieses Urteil heute, das ganze Verfahren ist sehr deutlich, denke ich, nach innen, nach China, auf die innenpolitische Situation gerichtet, denn man will hier nicht so dastehen, als habe man nun über ein Jahr lang den bekanntesten Künstler des Landes drangsaliert – er war ja im letzten Jahr für fast drei Monate verschwunden gewesen, man hatte ihm dann diese Steuervergehen vorgehalten -, da möchte man jetzt nicht so aussehen, als würde man auf einmal einknicken und das alles zurücknehmen. Das ist sozusagen aus der chinesischen Argumentation, aus chinesischer Sicht hier relativ schwer vorstellbar, dass man sich auf einmal hinstellt und sagt, na ja, war alles nicht so schlimm und wir stellen das Verfahren jetzt ein.

    Das ist das eine und das andere ist, dass China ja vor einem Machtwechsel steht, jetzt im kommenden Herbst, und dass man auch da noch mal sehr deutlich zeigen will, dass man es mit Andersdenkenden hier sehr ernst meint – in dem Sinne, dass man sie tatsächlich zum Schweigen bringen will, dass man auch nicht will, dass solche Fälle hier große Wellen schlagen, dass es zu großen Diskussionen dazu kommt, und dazu passt ja, dass auch hier in China selbst über diesen Fall weiterhin nicht berichtet werden darf, weder über diese Verhandlung, noch über die ganze Diskussion, die das Ganze ausgelöst hat, und das ist ja auch etwas, was Ai Weiwei selbst immer wieder beklagt. Er sagt immer wieder, was ist das für ein Land, das sich nach außen so stark hinstellt und das immer behauptet, es sei so stabil, aber das nach innen im eigenen Land nicht einmal zulassen kann, dass es eine öffentliche Diskussion über diesen Steuerfall geben darf.

    Köhler: ... , sagt Ruth Kirchner zum gescheiterten Einspruch des chinesischen Künstlers Ai Weiwei im Berufungsverfahren heute in Peking.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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