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Den Haag
"Karadzic ist ein geltungsbedürftiger Schauspieler"

Der Journalist Malte Herwig hat ein persönliches Gespräch mit dem ehemaligen Serbenführer Radovan Karadzic geführt. Das Gericht in Den Haag biete Karadzic, der sich wegen Völkermord verantworten muss und sich selbst verteidigt, leider eine große Bühne. "Er provoziert dort Menschen, deren Angehörige gefoltert und ermordet wurden", sagte Herwig im Deutschlandfunk.

Malte Herwig im Gespräch mit Thielko Grieß | 09.05.2014
    Radovan Karadzic am 16 October 2012 vor dem Gericht in Den Haag
    Radovan Karadzic am 16. Oktober 2012 vor dem Gericht in Den Haag (dpa/picture-alliance/EPA/Robin van Lonkhuijsen)
    Der Journalist und Historiker Malte Herwig berichtete außerdem, dass Radovan Karadzic mit sehr großem Selbstbewusstsein an seiner Verteidigung arbeite. In Den Haag habe er eine Bürozelle und eine Schlafzelle. "Mir ist ein sehr selbstbewusster und sehr fitter Mensch begegnet", sagte Herwig. Karadzic trete nach wie vor sehr für "die serbische Sache" ein. Die Art, wie Karadzic die Zeugen der Anklage im Gericht angehe, habe ihn schockiert, erklärte Herwig im DLF.
    Malte Herwig, geboren am 2. Oktober 1972 in Kassel, studierte Literatur, Geschichte und Politikwissenschaften an den Universitäten Mainz, Oxford und Harvard. 2002 promovierte er mit einer Arbeit über Thomas Mann. Seit 2002 publiziert Herwig in zahlreichen deutschen und internationalen Medien.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Völkermord, das ist Kern der Anklage vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag. Angeklagt sind zwei mutmaßliche Völkermörder: Ratko Mladic einerseits und andererseits Radovan Karadzic, Führer der bosnischen Serben im Balkan-Krieg in den 90er-Jahren. Zur Last gelegt wird ihnen die Ermordung von rund 7000 Muslimen, vor allem Männer und Jungen, im Bosnien-Krieg 1995. Seitdem steht die Stadt Srebrenica symbolisch für das Grauen der Balkan-Kriege. Radovan Karadzic hatte sich bis 2008 versteckt halten können, bis seine Tarnung dann aufflog. Er hatte sich als Heilpraktiker unter anderem getarnt. Er sitzt nun in Den Haag in Untersuchungshaft. Äußerungen sind öffentlich von ihm seitdem nur aus dem Gerichtssaal bekannt. Das letzte Interview, das er einmal gegeben hat, das ist fast zwei Jahrzehnte her, bis Malte Herwig sich auf seine Spur gesetzt hat, und dem Journalisten ist es gelungen, mit Radovan Karadzic zu sprechen. Darüber schreibt er heute im Magazin der „Süddeutschen Zeitung" und er spricht darüber jetzt bei uns im Deutschlandfunk. Guten Morgen nach Hamburg.
    Der Autor Malte Herwig
    Der Autor Malte Herwig (dpa / picture-alliance / Arno Burgi)
    Malte Herwig: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Sie werden nicht alles erzählen können, weil Sie auch Ihre Quellen schützen möchten und müssen. Aber natürlich gehört diese Frage schon an den Anfang: Wie sind Sie an Radovan Karadzic herangekommen?

    Herwig:
    Ich habe begonnen, mich für Radovan Karadzic ernsthaft zu interessieren, als ich vor einigen Jahren eine Biographie über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke schrieb, und Peter Handke ist ja bekannt als jemand, der sich für die serbische Sache eingesetzt hat beziehungsweise die Medien, auch uns westliche Medien sehr kritisiert hat, die Berichterstattung über den Jugoslawien-Krieg. Ich habe Karadzic im Gefängnis kontaktiert. Das ging nur schriftlich. Das geht auch heute nur schriftlich. Das Gericht behält sich vor, den Kontakt zu Journalisten zu zensieren. Ich habe damals herausgefunden, dass Karadzic kurz bevor er untertauchte 1996 im Dezember Peter Handke in Pale traf. So kam der erste Kontakt zustande, das war vor vier Jahren, und seitdem habe ich mich bemüht, ein persönliches Interview mit ihm zu führen. Wir sind dabei durch mehrere Instanzen gegangen beim Haager Tribunal, aber leider wurde es immer wieder abgelehnt, zuletzt vom Gerichtspräsidenten unter, wie ich finde, fadenscheinigen Auskünften. Es heißt, Sie können Ihre Fragen nur schriftlich einreichen. Aber Sie sind auch Journalist. Ich finde, das ist kein Format für ein Interview, bei dem wirklich was herauskommen soll. Also habe ich andere Mittel und Wege gefunden, dieses persönliche Gespräch mit Karadzic zu führen, und es hat dann nach ein paar Jahren auch geklappt.
    Grieß: Was für ein Mensch ist Ihnen da begegnet in Radovan Karadzic? Ein alter Mann mit Reue, ein Schauspieler, ein gebeugter Angeklagter, oder jemand mit geradem Rücken?
    Herwig: Auf keinen Fall ein alter Mann, obwohl er ja nicht mehr der jüngste ist. Mir ist ein sehr selbstbewusster, ich möchte fast sagen, auch fitter Mensch begegnet, der sagt, er achtet auf seine Ernährung, er hält sich sportlich fit, er braucht viel Energie, um die 1,5 Millionen Seiten Gerichtsakten zu studieren. Er verteidigt sich ja selbst und er liest oft noch nachts in seiner Zelle. Er hat so eine Art Bürozelle und eine Schlafzelle in Scheveningen im Gefängnis. Das ist der Vorort von Den Haag, wo die Angeklagten untergebracht sind. Er arbeitet also sehr fleißig und sehr pflichtbewusst an seiner Verteidigung und auch selbstbewusst. Er schafft es, sich vor Gericht zu inszenieren für seine Sache, für die serbische Sache, so wie er sie sieht, und das Gericht bietet ihm, muss man leider sagen, dafür eine Bühne.
    Grieß: Entschuldigung, Herr Herwig! Aber ist das nicht auch sein gutes Recht als Angeklagter, sich und seine Position darzustellen vor Gericht?
    Herwig: Natürlich, das ist sein gutes Recht. Neben dem Gespräch, das ich mit Karadzic geführt habe, habe ich mich auch oft in den Prozess reingesetzt, und es ist erstaunlich, weil da meistens recht wenig Leute sitzen. Aber ich finde, das ist einer der wichtigsten Kriegsverbrecherprozesse, das ist der wichtigste Kriegsverbrecherprozess auf europäischem Boden seit Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg und man muss sich anschauen, was da vorgeht. Die Art, wie er die Zeugen der Anklage zum Beispiel behandelt, die er ja ins Kreuzverhör nehmen kann, weil er sich selbst verteidigt, ist teilweise so, das hat mich schon etwas schockiert. Er kann subtil drohend sein, er kann psychischen Druck ausüben. Er ist Psychiater. Man muss sagen, er spielt diese Fähigkeiten aus. Ich glaube, er hat eine sehr gute Menschenkenntnis. Karadzic ist ein geltungsbedürftiger Schauspieler, der es aber schafft, die Bühne an sich zu reißen, und das liegt meiner Meinung nach auch an der Prozessführung des vorsitzenden Richters, der ihn, so habe ich das empfunden, zu lange machen lässt. Er provoziert Menschen, die da sitzen, deren Angehörige gefoltert und ermordet wurden, und er wühlt in den Wunden.
    Grieß: Damit müssen wir zum Schluss kommen. Einschätzungen von Malte Herwig, er hat mit Radovan Karadzic, der in Den Hag vor Gericht steht, gesprochen. Danke, Herr Herwig, und noch einen schönen Tag.
    Herwig: Dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.