Christoph Heinemann: Horst Hippler kritisiert Bologna. Horst Hippler ist der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, und Bologna ist das Studienverfahren mit den Abschlüssen Bachelor und Master. Jürgen König fasst die Kritik zusammen.
Jürgen König aus unserem Hauptstadtstudio, und am Telefon ist Prof. Gesine Schwan, die Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance. Guten Tag!
Gesine Schwan: Guten Tag!
Heinemann: Frau Prof. Schwan: Teilen Sie Horst Hipplers Kritik?
Schwan: Ja, ich teile sie ganz weitgehend. Es ist für mich allerdings verblüffend – und ich finde es schön, dass er sie ausspricht –, dass die Hochschulrektorenkonferenz selbst ja über Jahre, als ich noch daran teilnahm, nämlich von 1999 bis 2008, diese Kritik nicht ausgesprochen hat, und wenn einzelne in der Konferenz sie ausgesprochen haben, waren sie nicht im Zeitgeist. Ich glaube, das ist völlig richtig. Was mir nicht ganz gut gefällt, ist ein klarer Unterschied zwischen Fachhochschulen und Universitäten, der so wirkt, als würden Fachhochschulen einfach gleichsam fürs Praktische ausbilden können, und das originär Wissenschaftliche sollte bei den Universitäten sein. Das finde ich auch nicht richtig. Wir brauchen das originär Wissenschaftliche überall, auch an den Fachhochschulen, und das besteht in meiner Sicht darin, dass die jungen Leute sehr viel mehr Zeit haben, da hat er völlig recht, sich überhaupt methodologisch klar zu werden darüber, was sie wissen und was sie nicht wissen können, um später kreativ das weiterzuentwickeln, und dass sie ihre eigenständige Gedanken entfalten, und nicht einfach sozusagen nachahmend lernen. Das wird dann ein bisschen bei diesen verkürzten Studiengängen nahegelegt. Aber … Also das Lernprinzip, das Wissenschaftsprinzip, das, finde ich, muss in beiden stattfinden, aber er hat völlig recht in seiner Kritik an dem, was da passiert ist. Nur ist das dieser Zeitgeist, der flächendeckend geprägt hat und gerade auch die unendlich vielen Verhandlungen in der Rektorenkonferenz, wo grundsätzliche Fragen praktisch nie, auch wenn sie aufgetischt wurden, nie verfolgt wurden oder aufgenommen worden sind.
Heinemann: Ich möchte eins herausgreifen: Ist der Zeitplan sechs Semester für Bachelor zu straff?
Schwan: Erstens hat dieser Zeitplan praktisch überall verhindert, dass die jungen Leute wirklich während des Bachelors ins Ausland gehen, also entgegen dem, was eigentlich gewollt wurde, weil es ist zu wenig. Und es hat aber auch das Ganze in einer Zeit stattgefunden, wo praktisch das Nachdenken, die Zeit, die Umwege verpönt waren, wo man ganz schnell fertig werden sollte, und dies nach bestimmten vorgefassten Schemata, sodass die jungen Leute auch gar nicht mehr angehalten worden sind, sich zu fragen: Ist das eigentlich sinnvoll, was ich hier mache? Das war aber ein Zeitgeist, der sehr stark von der Wirtschaft kam. Die Wirtschaft hat immer wieder gefordert, sie will junge Leute haben, und hat dann später, manchmal hinter vorgehaltener Hand, zugegeben, dass das eigentlich war, damit die ganz früh vom Geiste eines Unternehmens so geprägt wurden, dass sie praktisch gut und wie geschliffene Kieselsteine da mitliefen, während jetzt allmählich deutlich wird, dass die Wirtschaft das gar nicht brauchen kann. Aber da war ein Wirtschaftsdruck dahinter.
Heinemann: Schauen wir uns die Mobilität an: Wenn das Studium jetzt schon so verschult ist – das ist ja einer der Kritikpunkte –, sollte dann ein Auslandssemester nicht verpflichtend ins Kurrikulum mit aufgenommen werden?
Schwan: Ausgesprochen. Wir haben das an der Viadrina School in Frankfurt/Oder auch in den Lehrplänen gehabt und mussten dann ganz komische Kompromisse machen, damit die jungen Leute das überhaupt schaffen. Die sind dann zum Teil beurlaubt worden und das gab dann Probleme mit dem BAföG. Denn ein Semester ist sehr kurz. Die Eingewöhnungszeit und die Beendigungszeit, das ist knapp, ein Jahr wäre natürlich noch viel besser. Und generell müssen zwei Dinge beachtet werden: Wir sollten den jungen Leuten etwas mehr Zeit lassen, ihre Bildung, und zwar ihre grundsätzliche, auch ihre kritischen Kategorien zu entwickeln, und wir sollen ihnen ermöglichen, auf jeden Fall – auch da hat Herr Hippler recht – den Master zu machen, wenn sie das machen wollen. Die Nadelöhre, die da fabriziert worden sind, einfach aus Geldmangel, die waren furchtbar. Sie haben einen Druck ausgeübt, sie haben die Stromlinienförmigkeit begünstigt, und das ist schlecht. Und dabei komme ich dann auf den Punkt, der am allerwichtigsten ist: Man hat nach den 60er-Jahren die Zahl der Studierenden enorm erhöht und das Geld nicht erhöht, sondern zum Teil reduziert. Und Bildung ist nun mal ein Vorgang zwischen Personen, da brauchen wir viele Lehren, da brauchen wir die Kommunikation, und das findet bisher nicht statt, nach wie vor nicht.
Heinemann: Welches ist das Ziel von Bildung oder, mit Herrn Hippler gefragt: Bilden die deutschen Hochschulen – in Anführungszeichen – "nur" Absolventen aus?
Schwan: Sie haben ja im Grunde ganz lange den Begriff Bildung zu einem Munde geführt, aber letztlich nicht ernstgenommen, sondern es im Grunde als eine Art Ausbildungsverfahren hantiert. Bildung, das Ziel von Bildung ist in meiner Sicht, dass sich junge Menschen selbst zu Personen heranbilden können in Auseinandersetzung mit ihrem Fach, mit ihrer Welt, mit ihrer Umgebung, mit ihren Erfahrungen, dass sie Urteilskraft entwickeln, dass sie weitere Gedanken entwickeln und dass sie dann an die Stelle, wo sie irgendwo in der Gesellschaft arbeiten müssen, eingesetzt sind, eigene Wege gehen können, eigene Verantwortung und Verantwortung für das, was um sie herum geschieht, … Diese Verantwortung um das, was über den Tellerrand hinaus – auch da hat der Präsident recht – geschieht, diese Verantwortung ist systematisch abtrainiert worden, weil es immer nur darum ging, in einem völlig manischen Wettbewerb der Beste oder der Zweitbeste zu sein.
Heinemann: Frau Prof. Schwan, wenn Sie Ihr eigenes Studium Revue passieren lassen – was vermissen Sie bei dem jetzigen, bei dem Studium Bolognese am meisten?
Schwan: Die Fähigkeit, die Interessen, die bei jungen Leuten sowieso vorhanden sind, weiterzuentwickeln und zu unterstützen, dass sie Wege verfolgen, die nicht genau vorgesehen sind, sondern die individuelle Wege sind. Das konnten wir in meiner – ich habe in den 60er-Jahren studiert –, … ganz anders machen, wir konnten Seminare und Vorlesungen aus anderen Fächern verfolgen und wir konnten das auch wieder rückkoppeln zu unseren eigenen studierten Fächern. Also diese Individualisierung, die wir damals hatten – allerdings eben nur für einen kleinen Prozentsatz –, die muss man auch für die angestrebten 30, 40 Prozent ermöglichen und es ist nicht so, dass die jungen Leute das Potenzial dazu nicht hätten, sie haben es, aber mit diesen Massenveranstaltungen können sie es gar nicht entwickeln.
Heinemann: Ist Bologna reformierbar, oder gehört die ganze Reform in die Tonne?
Schwan: Nein, in die Tonne – so was kann man nicht in die Tonne packen, da sind ja auch wirklich viele positive Wege gegangen worden in dem Sinne, dass man doch sehr viel mehr Kontakte zwischen den Universitäten geschaffen hat, allerdings dann eben oft an der Oberfläche. Es muss renoviert werden, im Wesentlichen: Es muss mehr Zeit gelassen werden und es darf nicht festgelegt werden aus finanziellen Gründen wie bisher, dass zum Beispiel nur 40 Prozent eines Jahrgangs in den Master gehen werden. Nein, sie müssen … sie sollen durchaus zwischendurch einen Abschluss machen, das ist vernünftig, sie wollen dann auch in die Praxis gehen, aber sie müssen dann wieder studieren können, sodass dann die Studienzeit nicht insgesamt drei plus zwei bloß sind, sondern dann ist das eben, dann ist die Studienzeit eben sechs oder sieben Jahre. Das rentiert sich auf Dauer sowohl für die jungen Menschen als auch für die Produktivität der Wirtschaft.
Heinemann: Prof. Gesine Schwan, die Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Schwan: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jürgen König aus unserem Hauptstadtstudio, und am Telefon ist Prof. Gesine Schwan, die Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance. Guten Tag!
Gesine Schwan: Guten Tag!
Heinemann: Frau Prof. Schwan: Teilen Sie Horst Hipplers Kritik?
Schwan: Ja, ich teile sie ganz weitgehend. Es ist für mich allerdings verblüffend – und ich finde es schön, dass er sie ausspricht –, dass die Hochschulrektorenkonferenz selbst ja über Jahre, als ich noch daran teilnahm, nämlich von 1999 bis 2008, diese Kritik nicht ausgesprochen hat, und wenn einzelne in der Konferenz sie ausgesprochen haben, waren sie nicht im Zeitgeist. Ich glaube, das ist völlig richtig. Was mir nicht ganz gut gefällt, ist ein klarer Unterschied zwischen Fachhochschulen und Universitäten, der so wirkt, als würden Fachhochschulen einfach gleichsam fürs Praktische ausbilden können, und das originär Wissenschaftliche sollte bei den Universitäten sein. Das finde ich auch nicht richtig. Wir brauchen das originär Wissenschaftliche überall, auch an den Fachhochschulen, und das besteht in meiner Sicht darin, dass die jungen Leute sehr viel mehr Zeit haben, da hat er völlig recht, sich überhaupt methodologisch klar zu werden darüber, was sie wissen und was sie nicht wissen können, um später kreativ das weiterzuentwickeln, und dass sie ihre eigenständige Gedanken entfalten, und nicht einfach sozusagen nachahmend lernen. Das wird dann ein bisschen bei diesen verkürzten Studiengängen nahegelegt. Aber … Also das Lernprinzip, das Wissenschaftsprinzip, das, finde ich, muss in beiden stattfinden, aber er hat völlig recht in seiner Kritik an dem, was da passiert ist. Nur ist das dieser Zeitgeist, der flächendeckend geprägt hat und gerade auch die unendlich vielen Verhandlungen in der Rektorenkonferenz, wo grundsätzliche Fragen praktisch nie, auch wenn sie aufgetischt wurden, nie verfolgt wurden oder aufgenommen worden sind.
Heinemann: Ich möchte eins herausgreifen: Ist der Zeitplan sechs Semester für Bachelor zu straff?
Schwan: Erstens hat dieser Zeitplan praktisch überall verhindert, dass die jungen Leute wirklich während des Bachelors ins Ausland gehen, also entgegen dem, was eigentlich gewollt wurde, weil es ist zu wenig. Und es hat aber auch das Ganze in einer Zeit stattgefunden, wo praktisch das Nachdenken, die Zeit, die Umwege verpönt waren, wo man ganz schnell fertig werden sollte, und dies nach bestimmten vorgefassten Schemata, sodass die jungen Leute auch gar nicht mehr angehalten worden sind, sich zu fragen: Ist das eigentlich sinnvoll, was ich hier mache? Das war aber ein Zeitgeist, der sehr stark von der Wirtschaft kam. Die Wirtschaft hat immer wieder gefordert, sie will junge Leute haben, und hat dann später, manchmal hinter vorgehaltener Hand, zugegeben, dass das eigentlich war, damit die ganz früh vom Geiste eines Unternehmens so geprägt wurden, dass sie praktisch gut und wie geschliffene Kieselsteine da mitliefen, während jetzt allmählich deutlich wird, dass die Wirtschaft das gar nicht brauchen kann. Aber da war ein Wirtschaftsdruck dahinter.
Heinemann: Schauen wir uns die Mobilität an: Wenn das Studium jetzt schon so verschult ist – das ist ja einer der Kritikpunkte –, sollte dann ein Auslandssemester nicht verpflichtend ins Kurrikulum mit aufgenommen werden?
Schwan: Ausgesprochen. Wir haben das an der Viadrina School in Frankfurt/Oder auch in den Lehrplänen gehabt und mussten dann ganz komische Kompromisse machen, damit die jungen Leute das überhaupt schaffen. Die sind dann zum Teil beurlaubt worden und das gab dann Probleme mit dem BAföG. Denn ein Semester ist sehr kurz. Die Eingewöhnungszeit und die Beendigungszeit, das ist knapp, ein Jahr wäre natürlich noch viel besser. Und generell müssen zwei Dinge beachtet werden: Wir sollten den jungen Leuten etwas mehr Zeit lassen, ihre Bildung, und zwar ihre grundsätzliche, auch ihre kritischen Kategorien zu entwickeln, und wir sollen ihnen ermöglichen, auf jeden Fall – auch da hat Herr Hippler recht – den Master zu machen, wenn sie das machen wollen. Die Nadelöhre, die da fabriziert worden sind, einfach aus Geldmangel, die waren furchtbar. Sie haben einen Druck ausgeübt, sie haben die Stromlinienförmigkeit begünstigt, und das ist schlecht. Und dabei komme ich dann auf den Punkt, der am allerwichtigsten ist: Man hat nach den 60er-Jahren die Zahl der Studierenden enorm erhöht und das Geld nicht erhöht, sondern zum Teil reduziert. Und Bildung ist nun mal ein Vorgang zwischen Personen, da brauchen wir viele Lehren, da brauchen wir die Kommunikation, und das findet bisher nicht statt, nach wie vor nicht.
Heinemann: Welches ist das Ziel von Bildung oder, mit Herrn Hippler gefragt: Bilden die deutschen Hochschulen – in Anführungszeichen – "nur" Absolventen aus?
Schwan: Sie haben ja im Grunde ganz lange den Begriff Bildung zu einem Munde geführt, aber letztlich nicht ernstgenommen, sondern es im Grunde als eine Art Ausbildungsverfahren hantiert. Bildung, das Ziel von Bildung ist in meiner Sicht, dass sich junge Menschen selbst zu Personen heranbilden können in Auseinandersetzung mit ihrem Fach, mit ihrer Welt, mit ihrer Umgebung, mit ihren Erfahrungen, dass sie Urteilskraft entwickeln, dass sie weitere Gedanken entwickeln und dass sie dann an die Stelle, wo sie irgendwo in der Gesellschaft arbeiten müssen, eingesetzt sind, eigene Wege gehen können, eigene Verantwortung und Verantwortung für das, was um sie herum geschieht, … Diese Verantwortung um das, was über den Tellerrand hinaus – auch da hat der Präsident recht – geschieht, diese Verantwortung ist systematisch abtrainiert worden, weil es immer nur darum ging, in einem völlig manischen Wettbewerb der Beste oder der Zweitbeste zu sein.
Heinemann: Frau Prof. Schwan, wenn Sie Ihr eigenes Studium Revue passieren lassen – was vermissen Sie bei dem jetzigen, bei dem Studium Bolognese am meisten?
Schwan: Die Fähigkeit, die Interessen, die bei jungen Leuten sowieso vorhanden sind, weiterzuentwickeln und zu unterstützen, dass sie Wege verfolgen, die nicht genau vorgesehen sind, sondern die individuelle Wege sind. Das konnten wir in meiner – ich habe in den 60er-Jahren studiert –, … ganz anders machen, wir konnten Seminare und Vorlesungen aus anderen Fächern verfolgen und wir konnten das auch wieder rückkoppeln zu unseren eigenen studierten Fächern. Also diese Individualisierung, die wir damals hatten – allerdings eben nur für einen kleinen Prozentsatz –, die muss man auch für die angestrebten 30, 40 Prozent ermöglichen und es ist nicht so, dass die jungen Leute das Potenzial dazu nicht hätten, sie haben es, aber mit diesen Massenveranstaltungen können sie es gar nicht entwickeln.
Heinemann: Ist Bologna reformierbar, oder gehört die ganze Reform in die Tonne?
Schwan: Nein, in die Tonne – so was kann man nicht in die Tonne packen, da sind ja auch wirklich viele positive Wege gegangen worden in dem Sinne, dass man doch sehr viel mehr Kontakte zwischen den Universitäten geschaffen hat, allerdings dann eben oft an der Oberfläche. Es muss renoviert werden, im Wesentlichen: Es muss mehr Zeit gelassen werden und es darf nicht festgelegt werden aus finanziellen Gründen wie bisher, dass zum Beispiel nur 40 Prozent eines Jahrgangs in den Master gehen werden. Nein, sie müssen … sie sollen durchaus zwischendurch einen Abschluss machen, das ist vernünftig, sie wollen dann auch in die Praxis gehen, aber sie müssen dann wieder studieren können, sodass dann die Studienzeit nicht insgesamt drei plus zwei bloß sind, sondern dann ist das eben, dann ist die Studienzeit eben sechs oder sieben Jahre. Das rentiert sich auf Dauer sowohl für die jungen Menschen als auch für die Produktivität der Wirtschaft.
Heinemann: Prof. Gesine Schwan, die Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Schwan: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.