1935 wurde das Lied "Faccetta nera" im Radio gesendet, das auf das kleine schwarze Gesicht einer Abessinierin anspielt, die scheinbar sehnsüchtig auf die italienischen Soldaten wartete. Als Gegenstück zum Partisanenlied "Bella Ciao" machten es die Faschisten zu ihrer Hymne, bis heute gilt es als Symbol der italienischen Kolonialpolitik in Ostafrika zwischen 1935 und 1941.
2014 realisierte der Journalist und Aktivist Vittorio Longhi eine Reportage über die noch nicht anerkannten Nachfahren italienischer Kolonialisten in Eritrea, die sogenannten "Mischlinge", die zwischen 1890 und 1941, dem Ende der brutalen italienischen Besetzung, geboren wurden. Er selbst ist der Enkel eines Italo-Eritreers. Seine Reportagen und Artikel stellen eine große Ausnahme im Panorama der italienischen Medien dar. Wer spricht sonst von unseren kriminellen Taten in Eritrea, Äthiopien, Somalia und Libyen?
"Man wollte das verdrängen."
"Niemand. Die Medien erzählen von unserer Kolonialgeschichte gar nichts. Man wollte das verdrängen. Nach dem 2. Weltkrieg hat man lieber den Mythos der "Italiener als Gutmensch" verbreitet. Es ist aber eine Geschichte, die mit uns noch zu tun hat. Die Flüchtlinge, die zu uns übers Meer kommen, stammen meistens aus unseren ehemaligen Kolonien. Aber niemand redet darüber."
"Niemand ist in Italien für die kriminellen Taten verurteilt worden, für die Mädchen, die vergewaltigt worden sind, für die Jungs, die im Schlachtfeld für Italien kämpfen mussten. Für die Anwendung verbotener Waffen wie Giftgas. Niemand will das erzählen. Darüber zu berichten und eine öffentliche Debatte zu führen, würde bedeuten, eine Verantwortung zu übernehmen und für die Konsequenzen einzustehen."
Italienische Schuhe und Lasagne sind aus Italien übrig geblieben
Mussie Zerai, der 45jährige eritreische Priester und Aktivist, weiß, wovon er redet. Sein Großvater wurde gezwungen, im Krieg Italiens zur Eroberung Libyens mitzukämpfen.
In seiner Kindheit erfuhr Mussie nur durch die katholischen Publikationen "Avvenire" und "Famiglia cristiana" seiner Gemeinde in Asmara etwas von Italien. Die Präsenz der Italiener wurde ab 1975 von der Militärdiktatur ausgelöscht. Nur die Architektur in Asmara, eine italienische Schule, ein Paar Gerichte wie Lasagne und einige Begriffe für Foltermethoden sind von Italien übrig geblieben. Im Fernsehen der 80er Jahre fiel nur selten das Wort "Italien", höchstens beim Gedenktag einer brutalen Schlacht. Nur eine Minderheit besitzt heute in Eritrea einen Fernseher, und Internet ist nur für 2% der Bevölkerung zugänglich. Informieren kann man sich über Verwandte im Ausland oder erst, wenn man aus dem Land geflüchtet ist. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Eritrea Platz 178 von 180.
"Die eritreische Regierung verbreitet ein Bild von Italien als befreundetes Land. Es gibt immer noch einige Unternehmen, die dort investieren – klar aufgrund der billigen Arbeitskräfte. Es wird aber verheimlicht, dass ein Eritreer in Italien Asyl bekommt, weil in Eritrea die Menschenrechte nicht respektiert werden."
Tief verwurzelte Fremdenfeindlichkeit in den Medien
Meine Recherche für diesen Beitrag könnte den Titel "Was die Medien alles nicht erzählen" tragen, da sowohl in der früheren Kolonie Eritrea als auch bei den ehemaligen italienischen Kolonisatoren die Fakten der Geschichte wie der Gegenwart vertuscht werden. Haben wir wenigstens eine Hoffnung in Italien?
"In einem Interview erzählte der Journalist Indro Montanelli im Jahre 1982 locker und fröhlich von seinen Abenteuern in Eritrea und wie er als Offizier dort ein 12jähriges Mädchen gekauft hatte. Er beschreibt es als zahmes Tierchen, das ihm überallhin folgte. Montanelli wird noch heute in Italien als "Leuchte des Journalismus" betrachtet. Es ist schwierig, diese tief verwurzelte Fremdenfeindlichkeit auszurotten, wenn solche kulturellen Referenzen noch in der Öffentlichkeit existieren."
Warnungungen vor dem Schwarzen Mann, der Frauen vergewaltigt
"Die Schlagzeilen rechtsorientierter Zeitungen heute erinnern an die Parolen der Faschisten, die vor dem schwarzen Mann warnten, der Frauen vergewaltigt. Aber als die Italiener in Eritrea und in Somalien Mädchen vergewaltigten, war alles in Ordnung."
Heute müssten wir Italiener uns fragen, warum wir unsere dunkle Kolonialgeschichte immer noch verdrängen. Warum haben wir ein Problem damit, unsere Schuld anzuerkennen? Wenn in Italien keine öffentliche Debatte darüber geführt wird, wenn die Medien diese Debatte nicht anregen und im richtigen historischen Kontext beleuchten, verspassen wir die Chance, auch unsere von der Migrationsproblematik geprägte Gegenwart zu verstehen.