Inklusion im Breitensport
Wie Sportvereine Angebote für Menschen mit Behinderung schaffen können

Sport soll Menschen zusammenbringen, im besten Fall unabhängig von Alter, Geschlecht und Handicaps. Wie kann Inklusion in der Praxis funktionieren, kann es Angeboten geben, die wirklich für alle offen sind?

Von Thorsten Philipps |
Das Bild zeigt einen Jungen im Rollstuhl, der alleine auf einem Basketballfeld einen Ball in den Korb wirft.
Personalmangel, fehlende Barrierefreiheit und finanzielle Unterstützung erschweren Inklusion im Sportverein. (IMAGO / Pond5 Images / IMAGO / xafrica_imagesx)
Der 13 Jahre alte Pascal Stannull verwandelt sich in einen anderen Menschen, wenn er seinen weißen Kampfsportanzug anhat und mit den anderen Kindern zwei Mal pro Woche trainiert.
Er haut und schlägt in ein Polster-Schutzschild, das seine Trainerin vor ihren Körper hält. Seit einem halben Jahr gehört der 13-jährige zu der Ju-Jutsu Abteilung in Breitenfelde. Pascal lebt seit seiner Geburt mit einem Handicap.
Er ist durch ein fötales Alkoholsyndrom stark beeinträchtigt, erzählt seine Schwester Johanna Stannull, und ist auf dem Stand eines sechsjährigen. Ein Interview mit Pascal wäre gar nicht möglich. Seine Schwester ist froh, wie er hier beim Breitenfelder SV aufgenommen wurde.
„Ja, finde ich richtig gut. Auch, wenn die am Ende mal Merkball spielen, verstehen die total, dass Pascal  auch einfach zehn Schritte mehr machen darf und halt auch so ein bisschen seine eigenen Regeln hat, und die finde ich auch gar nicht gehemmt. Dann, wenn die mal mit ihm eine Übung machen sollen, sagen sie jetzt nicht, mit dem möchte ich nicht. Also ich finde, die sind total offen, auch die anderen Kinder.“
Zuhause erzähle Pascal viel vom Training. Er mache die gelernten Bewegungen vor und könne das nächste Training kaum erwarten, berichtet Johanna.

Inklusionsgruppen: gemeinsames Training wird zur Selbstverständlichkeit

Auch seine Trainer Petra Oesterreich und Rüdiger Merten sehen Fortschritte bei Pascal.
„Also der Pascal, der hat schon unglaubliche motorische Fortschritte erzielt, und auch sein Sozialverhalten hat sich unglaublich verbessert. Am Anfang war er sehr schüchtern und hatte, ich will nicht sagen, Probleme, aber es war für ihn nicht einfach, unbekannte Partner zuzulassen, an sich ranzulassen. Und jetzt ist es überhaupt gar kein Problem mehr für ihn. Und was ich auch sehr positiv finde in der Gruppe, dass bei einem Inklusionstraining vermeintlich gesunde Sportler eben auch wie selbstverständlich mit Jugendlichen mit Handicap zusammen trainieren.“
In den Gruppen beim Breitenfelder SV gibt es auch noch andere Kinder mit Handicaps – z.B. mit ADHS. Es gibt drei Altersgruppen: Bambinis, Anfänger und Fortgeschrittene. Bei den Bambinis und den Anfängern sind Kinder mit Handicap dabei. So eine Inklusionsgruppe ist für Trainerin Petra Oesterreich natürlich anspruchsvoller.
„Du erklärst es ihnen halt dreimal, viermal, fünfmal, machst es vor, und wichtig ist, dass du immer noch total entspannt bist, denen das Gefühl gibst, es wird immer einen Tick besser, dann behalten die auch die Motivation, und dann ist das ein Träumchen, und davon leben wir eigentlich. Also ich sage immer: Ich lebe vom Ergebnis, tatsächlich, weil das so schön ist, zu sehen, wie die sich entwickeln.“

Übungen werden angepasst

Petra Oesterreich passt das Training entsprechend an: Spiele zwischendurch, nicht nur kognitive Aufgaben und verschiedenen Techniken:
„Wir lernen also nicht nur eine Technik in einer Übungseinheit, sondern immer zwei, drei, die man am Ende als eine Kombination zeigen kann. Und oftmals machen wir es so, dass sie auch als Belohnung das mal vorzeigen dürfen, was für die wirklich noch eine Belohnung und was Tolles ist, und das motiviert halt, das lässt sie durchhalten.“
Der Vorsitzende des Breitenfelder SV, Hinnerk Bruhn, schaut gerne mal beim Training vorbei. Er würde gerne noch mehr für Inklusion in seinem Verein machen, aber er bräuchte dafür mehr finanzielle Unterstützung, mehr Qualifizierungsmaßnahmen und auch mehr Trainerinnen und Trainer.
„Wir sind mal vom Kreis angeschrieben worden, und da war es dann so, dass wir uns geäußert haben, was wir brauchen, was wir für Anforderungen haben. Es ist leider im Sande verlaufen. Wir haben nie eine Rückmeldung bekommen. Kein Feedback. Ist ein bisschen schade für den Aufwand, den ich da geleistet habe.“

Nachholbedarf in Deutschland

Ein Problem, das die Sportinklusionsmanagerin des badischen Behindertensports Kim Früh kennt: „Ja, da gibt es noch ein bisschen Nachholbedarf bei uns in Deutschland.“
Zum Beispiel fehle es vielerorts auch an barrierefreien Turnhallen:
„Ich sehe das immer wieder in so alten Sporthallen. Da hat noch keiner an Barrierefreiheit gedacht. Da gibt es noch nicht mal Behindertenparkplätze, geschweige denn behindertengerechte Zugänge zu Toiletten et cetera.“
Immerhin ist die UN-Behindertenrechtskonvention im Dezember 2006 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen von 150 Staaten verabschiedet worden und am 26. März 2009 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten, erklärt Kim Früh.
„Ganz wichtig ist: Es geht dabei nicht um eine Besserstellung von Menschen mit Behinderungen, sondern vielmehr darum, die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen.“

Inklusion kann im Sport noch weiter gedacht werden

Inklusion kann aber noch mehr: Es bedeutet nicht nur, dass Menschen mit und ohne Handicap zusammen Sportmachen, sondern auch verschiedene Altersgruppen und Geschlechter – so wie bei der Inklusiven Tanzgruppe Magdeburg: Ein Jahr lang bereitet sich die Gruppe gemeinsam auf einen Tanzauftritt vor – alters- und geschlechterunabhängig, ob mit oder ohne Behinderung.

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Das findet Kim Früh genau richtig, und auch der Breitenfelder SV sei ein Vorbild, findet sie:
„Genauso muss Inklusion funktionieren. Menschen oder Kinder mit Behinderung sollen einfach in die Vereine gehen, mitmachen, und die Regeln müssen so angepasst werden, dass sie die Teilhabemöglichkeiten haben.“   
Für Pascal Stannull ist Inklusion genauso eine tolle Sache wie für seine Ju-Jutsu-Freunde. Leider ist es immer noch nicht selbstverständlich. Gerade einmal 7 % der Vereine in Deutschland bieten Sportgruppen für Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen an:
 „Wenn das Thema Inklusion nicht mehr nötig ist, wenn im Prinzip meine Stelle gar nicht erforderlich ist, dann haben wir das Ziel erreicht, dann wird Inklusion gelebt, dann ist die Gesellschaft bunt, und jeder darf gleichberechtigt Sport treiben, Menschen mit und ohne Behinderung, es muss einfach zur Normalität werden.“