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Denkfabrik Demokratie
Der Sportverein als Lernort

In Sportvereinen kann und soll man mitgestalten, mitentscheiden und mitstreiten. Sie sind somit wichtige Schulen für Demokratie. Eine Herausforderung für alle Vereine liegt darin, eine demokratische Vielfalt zwischen allen Geschlechtern zu fördern.

Von Jennifer Stange |
Bei der Jahreshauptversammlung des MSV Duisburg werden Stimmkarten hochgehalten.
In Sportvereinen sind demokratische Strukturen in manchen Fällen nur Fassade. (IMAGO / Funke Foto Services / IMAGO)
Was braucht eine starke Demokratie?  Eine Regierung, darüber herrscht weitgehend Konsens, noch mehr und zuallererst aber ein starkes demokratisches Gemeinwesen: Bürger_Innen, die mitmachen. Sie sind das Herz der Demokratie, resümiert eine Studie zur demokratischen Integration aus 2019.
"Und es ist klar rausgefunden worden, dass diejenigen ein sehr hohes Vertrauen haben, die ehrenamtlich engagiert sind und Verantwortung übernehmen, die Ämter übernehmen in Vereinen, die natürlich auch für unsere Demokratie enorm wichtig sind, die besonders häufig zu Wahlen gehen."
Nina Reip ist Leiterin der Geschäftsstelle Netzwerk Sport & Politik bei der Deutschen Sportjugend und überzeugt, dass deshalb Sportvereine Lernorte der Demokratie sind, weil sie erfahrbar machen, dass gemeinsame Entscheidungen möglich und umsetzbar sind. Wo Menschen, die erstmal nichts gemeinsam haben, außer Hobby und Leidenschaft... "dort dann eben Gemeinschaft aushandeln, nämlich die Fragen stellen, wie wollen wir gemeinsam den Verein organisieren und das ist das, was so spannend ist und auch eine Funktion hat für unsere Demokratie in Deutschland."

Amtsträger kleben oft an ihren Posten

In der Bundesrepublik wurden 2021 27 Millionen Mitgliedschaften in mehr als 86.000 Sportvereinen gezählt. In erster Linie geht es dabei natürlich um Sport und Zugang zu Sportstätten und - geräten, weniger darum demokratische Kultur zu leben.
"Das ist zäh, machen wir uns nichts vor," sagt Christian Gaum, Professor für Sportpädagogik an der Ruhr-Universität Bochum. "Das ist kompliziert, das erfordert immer wieder ein Reinhorchen, was will die andere Abteilung, was will die Jugend und das ist unglaublich anstrengend."

Denkfabrik: Demokratie im Sport

Statt demokratischer Kultur herrsche in Vereinen nicht selten eine "pro forma"-Demokratie, in der Amtsträger an ihren Posten kleben, und viele Mitglieder sich häufig auch nicht damit auseinandersetzen wollen, nur Tennis spielen, Kanu fahren oder turnen wollen. "Das Problem ist, ja dann gehen wir doch lieber den einfachen Weg und entscheiden durch, also auch so eine Art durch regieren. Das ist sehr problematisch für jeden demokratischen Verein."

Geschlechterdebatte auch im Sport

Formal demokratische Vereine würden mitunter despotisch und autokratisch geführt und könnten dabei immer noch als verschworene Gemeinschaft nach außen funktionieren. Der Sport gibt sich immer wieder ein Versprechen: Alle dürfen mitmachen. Nicht soziale, ethnische oder nationale Herkunft, Religionszugehörigkeit oder Geschlecht entscheiden über Teilnahme, nur Lust und Leistung. Ein Versprechen, das gegenüber manchen bereits beim Gang zur Toilette gebrochen wird.
"Würde ich jetzt in einen gemischtgeschlechtlichen Verein gehen, die meisten haben Männer, Frauen - weiß ich nicht, wo ich hingehen soll, weil beides trifft auf mich nicht zu." Ro ist nicht binär, ordnet sich also keinem der geläufigen Geschlechter zu. Das bringt im Alltag Probleme mit sich.
Im Leipziger Box-Verein Sidekick hat sich Ro eine sportliche Heimat geschaffen, hier wird einfach gefragt: "Wir machen am Anfang eine Runde. Wer will, Pronomen und wie es geht - und da wissen wir dann von den Leuten, haben sie ein Pronomen und können das dann auch anwenden. Das passiert in ganz vielen Vereinen nicht."

Sportvereine als "save spaces"

Debatten um Platzhalter und feminine Endungen zeigen, wieviel Groll und Gereiztheit an Debatten um eine faire Geschlechterdemokratie auch im Sport haften. Imke, wie Ro Vorstandsmitglied und Trainerin bei Sidekick: "Als Flinta-Personen im Kampfsport Fuß zu fassen und wirklich auch dabei zu bleiben, weil man gute Erfahrungen macht, ist nicht nur einfach."
Flinta bedeutet Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans- und agender- Personen – also all jene, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität potentiell diskriminiert werden. Sidekick in Leipzig will versuchen, einen anderen Weg als viele andere Verein zu gehen. In ihrem Gym gilt: Flinta only, also keine Männer.
"Das bedeutet, das Sportvereine durchaus save spaces sein dürfen, Orte die geschützt sind für bestimmte Gruppen. Dann darf er auch geschlossen sein", sagt Nina Reip von der Deutschen Sportjugend. Sie und auch Sportpädagoge Christian Gaum sind davon überzeugt, dass Geschlechterfragen ein zentrales Zukunftsfeld der Demokratisierung in Sportvereinen sein wird. Vor allem für diejenigen, die sich für diverse Menschen aktiv öffnen.

Sächsischer Sportbund verzeichnet offiziell Männer, Frauen und Diverse

"Und wir nicht überall partikulare Nischensektoren öffnen, wo wir vermeintlich wieder Merkmalshomogenität herstellen. Also ich sehe da durchaus Probleme, aber nicht das Problem, was dann manchmal so als Aufschrei kommen würde: Jetzt bin ja ich als Cis-Mann, als der Normale ausgeschlossen. Aber ich komme wieder zur Demokratie: darf sich nicht selbst vor dem Außen, vor dem Fremden, vor dem anderen dauerhaft schützen, sie muss es suchen."
Der Boxverein Sidekick versucht seinen Teil dazu beizutragen, eine neue demokratische Normalität zu schaffen. Die Mitglieder konnten beim Sächsischen Landessportbund erreichen, dass zumindest statistisch die symbolische Geschlechterordnung aufgebrochen wurde. In der Mitgliederstatistik sächsischer Sportvereine werden 2023 ausgewiesen: rund 400.000 Männer, 260.000 Frauen, und 23 Diverse, Personen, die sich weder dem einen noch dem anderen zurechnen wollen.