Richard Wadani ist 92 und einer der letzten noch lebenden österreichischen Wehrmachts-Deserteure. 1944 lief er in Frankreich mit einem weißen Tuch in der Hand durch Minenfelder über die Frontlinie:
"Ich hab für dieses Regime nichts übrig gehabt. Und so war für mich also die Frage der Fahnenflucht oder der Desertion an und für sich etwas Selbstverständliches."
Zeit seines Lebens hat Wadani für die Rehabilitierung gekämpft, weg vom Image des Feiglings und Vaterlandsverräters, das gerade in Österreich die Nachkriegsjahrzehnte beherrschte. Dass jetzt ein "Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz", wie es offiziell heißt, enthüllt wird, ist für den Wiener Politikwissenschaftler Walter Manoschek ein großer Erfolg:
"Wenn ich daran denke, wie wir 1998 dieses Thema erstmals in einem Seminar an der Uni behandelt haben - und es hätte uns damals jemand gesagt, dass einmal ein Deserteursdenkmal am wohl prominentesten Platz in Wien, am Ballhausplatz, vom Bundespräsidenten, Ministern, enthüllt werden würde, hätte ich gesagt, das ist völlig jenseitig. Also insofern ist es ein riesiger Erfolg."
Was in Wien steht ist Bundessache
Erst 2009 hat das österreichische Parlament ein Rehabilitationsgesetz verabschiedet, gegen die Stimmen der rechtspopulistischen FPÖ. 2010 schrieb die rot-grüne Wiener Landesregierung das Ziel eines Denkmals in ihren Koalitionsvertrag. Ein bundespolitisches Signal, sagt Manoschek:
"Also Wien hat so einen Sonderstatus. Wenn es in Wien steht, ist es auch Bundessache. Wenn es in Wien steht, dann ist es auch für ganz Österreich."
Umstritten blieb das Denkmal dennoch bis zuletzt, auch die konkrete Umsetzung. Der deutsche Künstler Olaf Nicolai hat die dreistufige begehbare Treppenskulptur in Form eines liegenden X gestaltet. Auf der Oberfläche sind die Worte "all alone", ganz allein eingraviert. Zur Einweihung wird ein Solo-Tanzstück des Choreografen Laurent Chétouane gezeigt. Der Intendant des Tanzquartiers Wien, Walter Heun, erklärt die Grundidee:
"Der Tanz wirft die Fragen an den Betrachter zurück. Genau diese Fragilität, die sich vielleicht in einem Deserteur abspielen mag, dieses Hin und Her gerissen sein, zwischen Erfüllen des Auftrags, Erfüllen der Order, und gleichzeitig sein Gewissen zu befragen, gleichzeitig im inneren Konflikt zu sein, dass man vielleicht im Idealfall mit so einer Performance zur Eröffnung dem Betrachter der Performance in eine ähnliche Situation bringt, dass er eben nicht raus geht und sagt: Aha, so ist das, das hab ich verstanden, damit ist alles klar, sondern dass er sagt: oh, darüber muss ich jetzt noch mal nachdenken."
Vergangenheitsbewältigung noch zu gering
Für den Politologen Walter Manoschek schließt das Denkmal die Debatte in Österreich keineswegs ab, sondern stößt sie auf lokaler Ebene, vor allem auf dem Land erst an. Noch immer, sagt Manoschek, ist die Politik, einschließlich der Volksparteien SPÖ und ÖVP, in puncto Vergangenheitsbewältigung viel zu selten aktiv:
"Ich würde sagen, das ist eine Phantomangst der Parteien, immer zu glauben, das könnte die FPÖ stärken, oder das könnte ihnen Wähler wegnehmen, die im Kameradschaftsbund organisiert sind, ehemalige Wehrmachtsangehörige, die spielen jetzt aber kaum mehr eine Rolle, der überwiegende Teil ist Nachkriegsgeneration. Die sind gerade im ländlichen Raum natürlich ein Machtfaktor. Von einer wirklichen aktiven Vergangenheitspolitik kann man auf überregionaler Ebene sicher nicht sprechen."
Für den 92-jährigen NS-Deserteur Richard Wadani ist der Tag der Denkmalsenthüllung in Wien dennoch hochsymbolisch:
"Dass die letzten Überlebenden, die wir sind – dass wir das noch erleben."