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Denkmuster
Antisemitismus als ältestes Ressentiment der Menschheit

Der Hass auf Juden und alles Jüdische hat heute die längste Geschichte aller gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten. Wolfgang Benz hat sich ein ganzes Wissenschaftlerleben lang damit auseinandergesetzt, unter anderem als langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismus-Forschung. Jetzt hat er seine Forschungsergebnisse in dem Kompentium "Antisemitismus – Präsenz und Tradition eines Ressentiments" zusammengefasst.

Von Blanka Weber |
    Szene von der Demonstration "Steh Auf! Nie wieder Judenhass!" vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 14. September 2014.
    Szene von der Demonstration "Steh Auf! Nie wieder Judenhass!" vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 14. September 2014. (imago stock & people)
    "Der Terminus Antisemitismus ist einerseits Oberbegriff für jede Art von Judenfeindschaft, andererseits charakterisiert er im engeren Sinne als Bildung des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts eine neue, pseudowissenschaftlich und nicht religiös, sondern mit Rasseneigenschaften und -merkmalen argumentierende Form des antijüdischen Vorbehalts. Von diesem modernen Antisemitismus ist der religiös motivierte, ältere Antijudaismus zu unterscheiden."
    Wolfgang Benz beleuchtet in seinem Buch nicht nur das "politische Instrumentarium" Antisemitismus, sondern vor allem die Frage nach den Ursachen. Wie hat sich die Feindschaft gegen Juden im Laufe der Jahrhunderte ausbreiten und gesellschaftlich konform werden können? Die Vorbehalte begannen im 3. und 4. Jahrhundert, als sich das Christentum als Staatsreligion im Römischen Reich durchgesetzt hatte – so der Autor:
    "Die Basis des Irrtums über die Juden liegt in der Religion, liegt in der Enttäuschung, im Zorn der Christen, dass die Juden die Heilsbotschaft, wie es im Testament steht, die Erlösung durch Jesu Christus, ablehnen und an ihrer Religion festhalten, das hat sie ausgegrenzt seit den ersten Jahren des Christentums."
    Es waren die Denkmuster Einzelner, die sich über Jahrhunderte halten konnte. Jene Begründungen, die den Boden schufen für Legenden, Hass, Ausgrenzung und Verfolgung.
    "Nach christlicher Lehrmeinung (Abt Hieronymus von Bethlehem 347-420) galten die Juden als Gottesmörder, in frühchristlichem Eifer schrieb auch Bischof Johannes Chrysostomos von Antiochia, die Synagoge sei eine 'Sammelstätte der Christusmörder' und damit war eine der dauerhaftesten Stereotypen der Judenfeindschaft etabliert. Der Missionsauftrag des Christentums richtete sich an die Juden und verschärfte infolge der jüdischen Verweigerung der christlichen Heilsbotschaft die Gegensätze."
    "Das hat sie an den Rand der Gesellschaft gebracht und dort gehalten und das wurde dann spät im 19. Jahrhundert. scheinbar wissenschaftlich untermauert durch den neuen Rassenantisemitismus, der jetzt nicht nur die Religion als Ausscheidungs- und Abgrenzungsmerkmal verwendet, sondern das Blut, also die Gene. Und der große Unterschied ist: von dem Antijudaismus kann man sich retten, indem man sich taufen lässt, dann ist man kein Jude mehr, sondern Christ. Von dem Rassenantisemitismus kann man sich nicht erretten, da hilft nur Vertreibung oder Vernichtung und das führte dann schnurstracks mit Adolf Hitler nach Auschwitz."
    Auf 281 Seiten erklärt der Autor die plakativen Irrtümer, die vermeintlichen Gründe für ein immer wiederkehrendes Vertreiben, Lynchen und Morden an Juden. Er erläutert die Darstellung des sogenannten Hostienfrevels – des vermeintlichen Schändens christlicher Hostien durch Juden, beschreibt die Legenden von angeblichen Ritualmorden an christlichen Jungen – manche wurden erst vor wenigen Jahrzehnten offiziell von Kirchenvertretern widerlegt.
    Vorurteilsbelegte Ausgrenzung einer Minderheit
    "Ritualmordlegenden gehören seit dem Mittelalter zum Ritualmordlegenden-Instrumentarium der Judenfeindschaft. Rainer Erb nennt sie 'Wahnvorstellung mit mörderischer Konsequenz' und verweist auf die weite Verbreitung, auch in anderen Religionen als der christlichen, und die lange Tradition der Vorstellung, dass andersgläubige Minderheiten die Kinder von Gastvölkern ermorden, um ihr Blut für rituelle oder magische Zwecke zu gewinnen."
    Antisemitismus, so der Autor, ist das älteste, soziale, kulturelle und politische Ressentiment. Das Buch will genau darüber aufklären:
    "Es ist ein Versuch, zu verstehen und zum Verständnis zu helfen, und es ist selbstverständlich auch ein Versuch den Antisemitismus als sozusagen 'Leitmotiv der vorurteilsbehafteten Ausgrenzung des Umgangs von Mehrheit und Minderheit' zu verstehen, um Ähnliches zu verhindern, um Wiederholungen zu verhindern, um aus der leidvollen Geschichte der Juden durch Ausgrenzung, Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung zu lernen und zwar wir als Mehrheit zu lernen.
    Wolfgang Benz hat mehr als zwei Jahrzehnte das Zentrum zur Erforschung des Antisemitismus an der TU Berlin geleitet. Er selbst gehört nicht der jüdischen Religion an, genau deshalb musste und muss er oft Kritik einstecken, wenn er sich – auch wissenschaftlich – zu Antijudaismus, Antisemitismus und Antizionismus – als Nichtjude - positioniert und um wissenschaftliche Differenzierungen bemüht ist – denn – so schreibt er:
    "Fest steht leider, dass die Stimmung gegenüber Israel erodiert. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit Antisemitismus."
    Kritik am Regierungsstil Israels müsse – mit Blick auf die Palästinenser im Land – auch erlaubt sein, mahnte der Autor immer wieder.
    Die Stärke des Buches besteht darin, dass historische Ursachen detailliert gezeigt, aber auch gegenwärtige Verhaltensmuster erklärt werden, ohne das Problem des Antisemitismus kleinzureden. 15 - 20 Prozent der Bevölkerung hätten konstant eine negative Einstellung gegenüber Juden, sagt die empirische Sozialforschung.
    "Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft geprägt ist davon, aber es schwingt mit und es ist im Bodensatz der Gesellschaft - da gibt es auch Ressentiments gegen Österreicher, gegen Amerikaner, gegen Homosexuelle, gegen Frauen mit roten Haaren, gegen Juden. Und das sind Einstellungen."
    Genau da setzt das Buch an - mit fachkundigem Blick in die Geschichte des Antisemitismus. Wer es noch detaillierter möchte, greife in öffentlichen Bibliotheken zu den acht Bänden des nun vollendeten Handbuchs des Antisemitismus - herausgegeben von Wolfgang Benz.