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Dennis Cooper: "Die Schlampen"
Die Wahrheit als Spielball sensationslüsterner Akteure

Ein homosexueller Escortboy in Los Angeles wird von seinen Kunden im Internet bewertet. Aus den „Rezensionen“ entwickelt sich ein monströs pornografisches Verwirrspiel um die Identität des jungen Mannes. Ein schmerzhafter Roman, der den Irrsinn digitaler Kommunikation perfekt parodiert.

Von Bettina Baltschev |
Dennis Cooper und Buchcover "Die Schlampen"
Dennis Cooper gilt als "enfant terrible" der Gay Fiction (Foto: privat, Buchcover: Luftschacht Verlag)
Als das Berliner Popduo Rosenstolz 1997 seinen Song „Die Schlampen sind müde“ veröffentlichte, ließen die Zeilen noch ausreichend Raum für Interpretationen. Da hieß es unter anderem:
„Gestern Nacht war ich noch Sieger / Gestern Nacht war ich noch schön
/ Ich wollt‘ dich und nahm sie alle / Ich wollt‘ nie nach Hause geh'n“.

Es sind wahrlich harmlose Verse, die sich aus irgendeiner Ecke der Erinnerung melden, während man dabei ist, die Lektüre des Romans „Die Schlampen“ von Dennis Cooper zu verdauen. Denn hier ist ganz und gar nichts harmlos. Brad, ein junger homosexueller Escortboy wird auf einer Website von seinen Kunden bewertet. Unter Pseudonym breiten sie genüsslich alle erdenklichen sexuellen Handlungen aus und sind angetan von Brads Jugend, seinem schmalen Körper und seiner Bereitschaft, sich ihnen ganz und gar zu ergeben. Doch erzählen diese sogenannten Rezensionen vor allem etwas über deren Verfasser, die ihren Trieben und Aggressionen freien Lauf lassen. So schreibt ein gewisser Secretlifer34:
„ Es war ungefähr fünf Uhr morgens und ich war bereit zu gehen. Wenn ich einen Typen benutzt habe, bin ich gelangweilt und voller Verachtung und Brad ging mir wirklich auf die Nerven mit seiner Bettelei, dass ich bleiben und weitermachen oder ihn mit zu mir nehmen sollte. Ich gebe zu, dass ich durchdrehte und ihn ins Gesicht schlug, aber sogar als er auf dem Boden lag, Blut aus seiner Nase lief und seine Lippe aufgerissen war, wollte er noch mehr Misshandlungen. Das war mir in dem Moment zu viel und ich musste dort weg. Am nächsten Tag aber habe ich ihn nicht mehr aus dem Kopf bekommen und ich denke daran, es so einzurichten, dass er heute Nacht zu mir kommt und sich in meinem Playroom hingibt.“

Obszöne Fantasien einer vom Sex besessenen Community

Nachdem sich ein Freier meldet, der die Identität Brads anzweifelt, entspinnt sich zwischen den Rezensenten eine Diskussion darüber, wer den echten Brad getroffen habe. Ob er überhaupt schon volljährig sei, ob er in einem Obdachlosenheim lebe oder doch in einem teuren Apartment. Ein gewisser Brian behauptet, er habe Brad bei sich aufgenommen, weil der an einem Hirntumor leide und nicht mehr lange leben würde. Das allerdings käme ihm entgegen, da er das Verlangen habe, einen Jungen während des Geschlechtsaktes zu töten und sich dabei zu filmen.

Was folgt, ist ein irres Verwirrspiel aus Spekulationen, Behauptungen und pornografischen Hardcore-Fantasien, die man aus Gründen des Jugendschutzes an dieser Stelle nicht zitieren kann. Sie zeichnen das Bild einer vom Sex besessenen Community, die im Schutz der digitalen Anonymität alle Hemmungen ablegt. Als Leserin ist man Dennis Cooper wirklich dankbar, dass er hin und wieder die Perspektive zurechtrückt, so wenn er BoybandluvXXX schreiben lässt:
„Wir sind von Brad und Brian besessen, weil wir von der Mord-Sache einen Steifen bekommen, und weil Brad und Brian oder welches Genie auch immer hinter diesem lächerlichen Schwindel steckt, einfach weiß, wie man uns ins Hirn fickt. Diese ganze Sache ist einfach nur kranker Porno und wir alle sind darin verwickelt. Brad ist vermutlich eine reale Person, aber der Brad, von dem wir alle besessen sind, ist eine Fantasie. Lasst uns das zugeben und offen über unser tiefes dunkles Geheimnis reden. Ich fange gerne damit an.“
Dennis Coopers Roman verbleibt komplett in der digitalen Welt, den Rezensionen folgen Chats und Einträge in einem Internetforum. Es ermöglicht dem Schriftsteller ein grenzenloses Spiel mit Identitäten und das beherrscht er grandios. So macht er nicht nur seine Protagonisten zu nach immer heftigeren Storys lechzenden Voyeuren, sondern auch seine Leserinnen und Leser.

Bitterböse Parodie auf digitale Kommunikation

Wie gern würde man dieses Buch angewidert zur Seite legen, wenn es einen nur loslassen würde! Und wenn sich nicht durch die Beschreibungen obszönster sexueller Handlungen immer eine zweite Erzählung andeuten würde. Die ist ganz und gar nicht obszön, sondern reibt sich an den Begriffen Wahrheit, Realität und Authentizität, lotet die Grenzen der Körperlichkeit aus und diskutiert das Selbstverständnis der homosexuellen Community in Zeiten von Aids. Und vielleicht ist da ja sogar ein Rest Gefühl. Denn am Ende lesen wir E-Mails, die ein vermeintlicher Brad an einen vermeintlichen Brian schreibt und die hinter dem geilen Theater die Verlorenheit eines zarten Jungen aufzeigen.
„Du willst mir also sagen, dass es bei dem ganzen Scheiß, über den wir geschrieben habe bleibt, nur dass du nicht Brian bist? Ich will ehrlich zu dir sein. Brian ist mir scheißegal. Ich war der Meinung, er war ein verkorkstes Arschloch, aber im Moment bin ich verzweifelt, also habe ich einfach gesagt, was er hören wollte, damit ich etwas Geld bekomme und für eine Weile einen Platz zum Leben. Wenn du wie er bist, dann gilt das, was ich gesagt habe, auch für dich. Wenn du willst, dass ich ‚ich liebe dich‘ sage, cool. Wenn du mir hilfst, liebe ich dich, okay?“
Dennis Coopers Roman „Die Schlampen” ist wahrlich keine leichte Kost. Aber lässt man sich auf diesen abstoßenden wie faszinierenden Text ein, bleibt der Eindruck einer bitterbösen Parodie auf die digitale Kommunikation, die ihren eigenen monströsen Gesetzen folgt. Cooper führt sie uns hier beispielhaft anhand schwuler Obsessionen vor und erweist sich dabei zugleich als überaus weitsichtiger Autor. Denn als er den Roman im Jahr 2004 verfasst, wird andernorts gerade Facebook erfunden und geht von den sogenannten sozialen Netzwerken tatsächlich noch ein naives Heilsversprechen aus. Seitdem mag die digitale Welt in Sachen expliziter Sex in Wort und Bild um einiges puritanischer und verklemmter geworden sein. Doch die Wahrheit ist wie in Coopers Roman nicht mehr als ein Spielball ihrer sensationslüsternen Akteure.
Dennis Cooper: „Die Schlampen
Aus dem amerikanischen Englisch von Raimund Varga.
Luftschacht Verlag, Wien.
240 Seiten 24,00 Euro.