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Départementswahlen in Frankreich
"Ins Klein-Klein zurückgestolpert"

Die Départementswahlen in Frankreich haben das Drei-Parteien-Sytem in dem Land gefestigt. Davon ist die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner überzeugt. Der rechtsextreme Front National sei keine Protestpartei mehr, sagte sie im Deutschlandfunk.

Franziska Brantner im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) im Bundestag
    Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner (imago / Metodi Popow)
    Die Wiederbelebung des Front National habe bereits zur Amtszeit von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy begonnen, sagte Brantner, die Mitglied der deutsch-französischen Parlamentariergruppe ist. Damals habe er stark die Themen bespielt, mit denen der Front National heute punktet. Parteichefin Marie Le Pen versuche die Partei salonfähig zu machen. Dazu würde sie andere Töne anschlagen als ihr Vater. "Damit hat sie offenbar Erfolg." Die Frage werde sein, wie sich das Drei-Parteien-System aus UMP, Front National und den Sozialisten weiterentwickele.
    Die Anti-Euro-Stimmung habe in den vergangenen Wochen zugenommen und sei ein starkes Wahlkampfthema gewesen. "Darauf haben die Sozialisten keine Antwort gefunden." Die Sozialisten seien ins Klein-Klein zurückgestolpert.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es hat den regierenden Sozialisten in Frankreich nichts genützt, obwohl sich sogar Premierminister Valls im Wahlkampf vor den sonst eher nicht so bedeutenden Regionalwahlen ins Zeug gelegt hat. Dass die Abstimmung einen hohen symbolischen Wert haben wird, das war spätestens dann klar, als Umfragen den rechtsextremen Front National als stärkste Kraft sahen. Gewonnen hat schließlich nun die konservative UMP von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy mit rund 30 Prozent. Der Front National liegt mit etwa 25 Prozent aber noch vor den regierenden Sozialisten auf dem zweiten Platz.
    Mitgehört am Telefon hat Franziska Brantner. Sie ist Abgeordnete der Grünen im Bundestag und dort unter anderem Mitglied der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen.
    Franziska Brantner: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Der ganz große Sieg für den Front National ist also ausgeblieben, aber dennoch zweitstärkste Kraft, vor den regierenden Sozialisten. Nach den Terroranschlägen in Paris im Januar, da gab es ja so etwas wie eine nationale Einheit und hohe Zustimmungswerte für die Sozialisten. Warum hat sich das so schnell abgenutzt?
    Brantner: Ich glaube, es war eben nur ein Moment und danach kamen auch wieder die Kämpfe zu Tage, die sich ja auch schon alle auf 2017 richten. Es war klar, dass auch die Konservativen, durch Sarkozy angeführt, der ja auch eigene Interessen hat, nicht lange an dieser Einheit festhalten wollen, Marine Le Pen genauso wenig, die wittert, dass sie auch Präsidentin werden kann. Von daher war das, glaube ich, wirklich nur ein Moment und die Sozialisten haben es auch nicht geschafft, daraus einen langfristigen Trend zu schaffen, sondern sind wieder in ihr Klein-Klein zurück gestolpert. Von daher glaube ich, einerseits haben die Sozialisten es nicht geschafft, das zu nutzen, und die anderen hatten eigentlich auch kein Interesse daran, es länger währen zu lassen.
    Kaess: Zeigt dieses Ergebnis jetzt aber auch, dass die Wähler letztendlich doch nicht dem Front National die Lösung der Probleme zutrauen, sondern eben dem bürgerlich-konservativen Lager?
    Brantner: Ich glaube, was wichtig war, dass in den letzten Wochen noch mal stark mobilisiert wurde und die Wahlbeteiligung doch etwas höher ist, als ursprünglich vermutet wurde, und ich glaube, das hat eher den nicht rechtsradikalen Wählern geholfen. Da hatte sich ja auch Premierminister Valls sehr stark persönlich dafür engagiert, hat gesagt, es geht hier um etwas, auch wenn es Wahlen sind, wo normalerweise die Beteiligung eher gering ist, und hat gesagt, das ist hier ein wichtiges Zeichen. Ich glaube, das war nicht ganz unwichtig, und natürlich auch, dass die teilweise wieder starken Worte von Marine Le Pen dann vielleicht auch einige abgeschreckt haben. Und was ich auch noch für wichtig halte, dass es eben nicht nur die UMP ist, die gewonnen hat, sondern auch das Bündnis mit der UDI von Borloo, eher eine Zentrumspartei, und ich glaube, das hat auch einige noch mal zu den Wahlurnen gebracht.
    Marine Le Pen versucht Front National salonfähig zu machen
    Die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, beim Wahlkampf auf einem Bauernhof im Département Manche
    Die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, beim Wahlkampf auf einem Bauernhof im Département Manche (AFP / Charly Triballeau)
    Kaess: Schauen wir noch mal auf den Front National. Dass viele enttäuscht sind von den großen Parteien, das wissen wir ja seit langem. Dennoch gab es auch lange Zeit Hemmungen, den Front National zu wählen. Das ist heute ganz anders. Heute bekennen sich viele Wähler auch ganz offen zum Front National. Warum ist diese Partei so salonfähig geworden?
    Brantner: Ja, das ist sie mittlerweile. Selbst Valls sprach gestern vom Drei-Parteien-System. Da spricht keiner mehr von Protest oder von einer gelegentlich zu wählenden Partei, sondern einfach von einem Drei-Parteien-System. Ich glaube, dass die Wiederbelebung vom Front National mit Marine Le Pen auch angefangen hatte zur Zeit von Sarkozy, als er ja stark diese Themen bespielte. Sie erinnern sich vielleicht noch an den nationalen Diskurs zur Identität. Da war schon dieses Thema, was eigentlich bespielt wurde und dann klassischerweise von den ganz rechten dann doch immer noch besser gemacht wird, oder zumindest glauben das dann einige. Und, dass Marine Le Pen natürlich auch im Gegensatz zu ihrem Vater andere Töne anschlägt. Das muss man auch sagen, dass sie hier versucht, die Partei salonfähig zu machen und damit offensichtlich auch Erfolg hat. Sie haben bei den Kommunalwahlen sehr viele Erfolge gehabt. Die Leute haben jetzt vor Ort gesehen, das sind vielleicht doch nicht die schlimmsten. Das hat auch, sagt zumindest eines der Wahlforscher-Teams, die Ängste genommen. Das sind mehrere Faktoren, aber ja, die Frage ist eindeutig: Wie entwickelt sich so ein Drei-Parteien-System weiter.
    Kaess: Und der Front National nach wie vor erfolgreich, obwohl er immer noch sagt, raus aus dem Euro, raus aus Europa. Gibt Ihnen das zu denken?
    Brantner: Das ist eindeutig einer der Punkte, der einem zu denken gibt. Vor allen Dingen war der Front National ja auch nicht die einzige Partei, die diesen Diskurs gefahren ist, sondern ja auch die extrem Linken. Sarkozy hat gestern Abend übrigens als Strategie ausgegeben, fand ich auch interessant: Liebe Front National Wähler, wählt jetzt lieber mich, weil eigentlich macht der Front National die gleiche Wirtschaftspolitik wie die extrem Linken. Also nach dem Motto: Wenn Sie wirklich nicht die ganz Rechten wollen, dann wählen Sie mich, sonst kriegen Sie die extrem Linken. Das heißt, da gibt es auch bei der Wirtschaftspolitik Überschneidungen. Aber es macht mir große Sorgen, dass in den letzten Wochen und Monaten diese Stimmung, diese Anti-Euro-Stimmung eher noch wieder zugenommen hat und auch ein starkes Wahlkampfthema war. Manche sagen, fast genauso stark auch wie in den Europawahlen, und da auch die Sozialisten bis jetzt keine wirkliche Antwort drauf gefunden haben und in der UMP der Streit ja wirklich auch war, wie antieuropäisch oder kritisch ist man, und Sarkozy ja eher da zu den sehr Kritischen gehört.
    Kaess: Aber das ist ja genau die Frage, Frau Brantner. Sie waren Mitglied im Europäischen Parlament. Wie viel Abstrafung für die europäische Politik steckt denn in diesem Wahlergebnis?
    Brantner: Ich glaube, es ist natürlich auch häufig viel, was man Europa zuschreibt, was vielleicht auch gar nicht von Europa kommt.
    Kaess: Die Sparpolitik wird eindeutig Europa zugeschrieben.
    Brantner: Die Sparpolitik wird eindeutig zugeschrieben, genau. Es ist die Sparpolitik. Übrigens noch ein weiteres Thema, was wichtig war, ist die Ukraine-Krise. Auch dort wird Europa und den USA zugeschrieben, dass Frankreich jetzt da eigentlich keine richtige Rolle mehr spielt gegenüber Deutschland. Das heißt, es ist ganz viel bei der wirtschaftlichen Sache, bei der Außenpolitik. Da sieht Marine Le Pen Frankreich auf den Knien, so sagt sie es wortwörtlich, und das System an sich muss bekämpft werden.
    "Sozialisten schwach in der Vermittlung und Durchführung"
    Frankreichs Premierminister Manuel Valls am 16.09.2014 in der Nationalversammlung.
    Premierminister Manuel Valls (AFP / Patrick Kovarik)
    Kaess: Wenn ich da noch mal kurz unterbrechen darf? Sie sieht da auch ganz stark Deutschland in der Verantwortung. Also man könnte auch sagen, eine Abstrafung für die deutsche Politik. Auf der anderen Seite, Frau Brantner, sind sich ja die meisten Experten einig: Es gibt keine Alternative. Frankreich ist eigentlich noch weit entfernt von den Reformen, die dem Land tatsächlich etwas bringen würden. Warum ist das nicht vermittelbar, die Frage an Sie als Politikerin?
    Brantner: Ja. Es ist immer die Frage, ob das jetzt eine Frage der Vermittlung ist, oder des Inhaltes, und ich glaube, dass es bei den Sozialisten zu beidem kommt, dass die Regierungsführung nicht besonders erfolgreich ist in der Vermittlung, vielleicht auch teilweise in der Durchführung. Ich erinnere an die Reformen im Bildungssystem, die waren wirklich extrem unbeliebt vor Ort. Das war nicht nur eine Frage der Kommunikation. Da wurde ja Nachmittags zum Beispiel eine Stunde eingespart. Das hat es für viele Frauen schwieriger gemacht, ihr Berufsleben mit Kindern zu organisieren. Das heißt, es gibt inhaltliche Sachen, aber viel auch der Vermittlung. Ich glaube, dass eine Ehrlichkeit da auch notwendiger ist, und ich finde es schwierig, dass Sarkozy da teilweise mitschwingt, obwohl er genau weiß, er käme auch nicht raus, wenn er jetzt an der Regierung wäre, er müsste auch Reformen durchführen. Er hat sie nicht durchgeführt, als er an der Regierung war, und das ist so eine Debatte in Frankreich, wo jeder, sobald er in der Opposition ist, so tut, als hätte er eigentlich damit nichts zu tun. In Deutschland steht Rot-Grün immer noch zu Hartz IV, auch wenn es die Wahlen einen gekostet hat, oder zu Teilen. Aber grundlegend weiß man, dass man Reformen eingehen musste, und diese Notwendigkeit sehen in Frankreich immer noch nicht alle und das ist es, was es, glaube ich, sehr, sehr schwierig macht.
    Kaess: …, sagt Franziska Brantner, Abgeordnete der Grünen im Bundestag und Mitglied der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Danke für dieses Gespräch heute Morgen.
    Brantner: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.