Provins, gut 12.000 Einwohner, dank der mittelalterlichen Oberstadt viel Tourismus, kaum Industrie oder sonstige Jobs. Hinter der adretten Geschäftszeile liegt die kleine Markthalle: Gedrängel herrscht hier nicht, die meisten Kunden sind im Rentenalter. Zu den Wahlen am Sonntag äußern sich diese Frauen nur knapp.
Ja, sie wisse, wen sie wähle, aber mehr gebe sie nicht preis, sagt die eine. Die andere erklärt: sie werde für eine Partei stimmen, nicht für deren Kandidaten, denn die kenne sie nicht. Dann eilt sie von dannen.
Den konservativen Kandidaten kennt in Provins jeder: Seit vielen Jahren ist er die rechte Hand von Bürgermeister Christian Jacob - der auch der UMP-Fraktion in der Pariser Nationalversammlung vorsteht. Die hiesigen FN-Kandidaten jedoch sind hier Unbekannte - und wurden beim Wahlkampf auf dem Terrain nicht gesichtet. Zu den wenigen Hinweisen auf ihre Existenz zählt die achtseitige Broschüre, die an alle Haushalte verteilt wurde. Die Kandidaten zieren das Titelblatt - auf den restlichen Seiten jedoch präsentiert Partei-Chefin Marine Le Pen die nationalen Leitlinien: Einwanderung stoppen, neue Jobs schaffen, Steuerbelastung senken.
Viele Franzosen verzichten auf Gespräche über Politik
Dass der Front National im Kanton Provins in der ersten Runde fast genauso viele Stimmen wie die Konservativen bekam, sorgt bei diesem Marktkunden für Unbehagen.
"Vor allem bedauere ich ungemein, dass die traditionellen bürgerlichen Parteien nicht mehr fähig scheinen, ein starkes politisches Lager auf die Beine zu stellen. In Deutschland läuft das anders, da nähert sich Merkel im Dienste der Sache der Opposition an. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen."
Dass er politisch links stehe, sagt der Mann, verrate er normalerweise nicht: Um Grabenkämpfe zu vermeiden, verzichte er wie viele Franzosen darauf, über Politik zu reden. Doch den Aufstieg des FN beobachtet er mit Sorge:
"Sollte der FN am Sonntag hier gewinnen, wäre das sehr beunruhigend - für die bürgerliche Freiheit, für die französischen Traditionen. Denn der FN entspricht nicht dem, was wir Franzosen im tiefsten Inneren denken."
Vom Höhenflug der FN-Kandidaten im Kanton ist auch ein weiterer Marktbesucher überrascht - angenehm überrascht.
"Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht - ich denke, dass sich dem FN nun ein wahrer Königsweg eröffnet. Auch wenn die Partei in ihrer Wirtschaftspolitik völlig falsch liegt - für die Wähler steht ihr eigener desolater Alltag im Vordergrund und dass die Regierung in den vergangenen Jahren nichts getan hat, um die Lage zu verbessern. Nun probieren die Leute halt was anderes aus."
"Muslime als Sündenböcke im Wahlkampf"
Am Stadtrand von Provins bittet Rachid Badi in das Büro der Moschee. Der Leiter des Kultstätten-Trägervereins trommelt unablässig für eine hohe Wahlbeteiligung der muslimischen Gemeinde am Sonntag. Dass ein Sieg der Rechtsextremen im Kanton möglich ist, macht Badi keine Angst, da die Rechtspopulisten im Départements-Rat keine Aussicht auf eine Mehrheit haben. Dass sich UMP-Chef Nicolas Sarkozy vor einigen Tagen für ein Verbot von Alternativmenüs zu Schweinefleisch in Schulkantinen aussprach, ärgert Rachid Badi.
"Wir Muslime wissen aus leidvoller Erfahrung, dass wir in Wahlkämpfen immer wieder Sündenbock-artig herhalten müssen. Wir dienen dazu, die Geister zu scheiden. Bei den letzten Wahlen wurde das Thema Halal, des muslimischen Verbots von Schweinefleisch, hochgespielt. Gerade sagte Nicolas Sarkozy erneut, die Hauptsorge der Franzosen sei die Halal-Frage. Zur Rekord-Arbeitslosigkeit hingegen hat er kein Wort verloren. Ich kann Ihnen versichern: Bei meinen tägliche Gesprächen mit Arbeitskollegen geht es nie um das Thema Halal."