Morgen vor 30 Jahren, am 7. März 1988, war der glücklichste Tag im Leben Tausender DDR-Jugendlicher – da spielte nämlich ihre Band endlich auch in Ost-Berlin: Depeche Mode. "Diese 90 Minuten waren das Größte, was wir bisher je gesehen haben", schrieb ein Fan danach. Das Konzert wurde möglich im Zuge des kulturpolitischen Tauwetters, das in der DDR eingesetzt hatte, weil die Jugend auch nach solchen Events verlangte. Die Tickets reichten natürlich nicht und wurden dann mitunter gefälscht, erzählt man sich.
"Melancholisch, aber auch lebensbejahend"
Sigrid Fischer: Und Sascha Lange war auch auf dem Konzert – woher hatten Sie denn Ihr Ticket?
Sascha Lange: Ja, also, ich hatte das große Glück – man muss dazu sagen, das Konzert von Depeche Mode in Ost-Berlin war seitens der Veranstalter, nämlich der FDJ, einzig und allein nur für die Ost-Berliner FDJler gedacht. Also, es gab für alle anderen FDJ-Mitglieder beziehungsweise Jugendlichen in der DDR nicht eine einzige legale Möglichkeit, ein Ticket käuflich zu erwerben. Nun hatte ich das große Glück, dass ich Freunde in Ost-Berlin hatte, und die waren Zwillinge und hatten aber nur auf dem Schwarzmarkt ein Ticket gekriegt. Und das haben sie mir freundlicherweise überlassen…
Fischer: …Das war aber nett!
Lange: …weil ich der größere Fan von uns Dreien war.
Fischer: Erst mal herzlich willkommen bei Corso, Sascha Lange.
Lange: Ja, hallo.
Fischer: Mit Ihrem Buch "Behind The Wall: Depeche Mode-Fankultur in der DDR", darum geht es. Sie sind ja Historiker mit Schwerpunkt Jugendkulturen. Und in dem Buch schreiben Sie, dass es eben sehr, sehr viele Depeche Mode-Fanclubs gab. Warum eigentlich gerade für diese Band so viele?
Lange: Ja, das ist so ein Phänomen, das kann man bis heute nicht lückenlos aufklären. Das hat zum einen etwas mit der Limitiertheit westlicher Musik in der DDR zu tun, das heißt, man kam nicht an jede Band sofort ran. Und Depeche Mode war so eine Band, die bekam man über die West-Medien mit – denn wir haben ja in der DDR auch West-Radio gehört und West-Fernsehen gesehen. Sodass man gerade das, was in den westdeutschen Charts lief, das hörte man natürlich auch im Osten. Und die Band war halt durch ihr Outfit so anders als die anderen. Die waren nicht so beliebig wie Duran Duran, die waren aber auch nicht so depressiv wie The Cure, sondern sie waren melancholisch, aber auch lebensbejahend und hatten so einen interessanten Dresscode: So ein bisschen punkig, ein bisschen waveig, nicht ganz so ausgeflippt – aber man konnte sich gut von den anderen unterscheiden, man war auf der Straße schnell erkennbar. Und nicht zuletzt natürlich auch diese eingängigen Popsongs, die Depeche Mode gemacht haben, haben natürlich dazu geführt, dass eben immer mehr Leute diese Band in der DDR geliebt haben.
"Es gab Fanclubs, die das sehr intensiv gemacht haben"
Fischer: Was machte denn so ein Fanclub im Osten damals? Was machte man?
Lange: Die Depeche Mode-Fanclubs in der DDR entstanden so ab Anfang 1988. Und gerade im Osten war es eben wichtig, dass man sich vernetzte, dass man sich austauschte, weil man ja nicht an jede Platte rankam. Man kam nicht an jede Maxisingle ran und schon gar nicht an die illegalen Live-Bootlegs, man kam nicht an die Poster ran und man wusste auch nicht, wann die nächste Platte veröffentlicht wurde. Und all diese Informationen gab es aber bruchstückhaft irgendwo in der DDR und deshalb musste man sich vernetzen und musste diese Informationen austauschen – oder die neuen Platten sich gegenseitig überspielen.
Fischer: Aber es gab 70... Also, Sie schreiben, '89/'90 waren es 70 solcher Depeche Mode-Fanclubs.
Lange: Ja.
Wir haben noch länger mit Sascha Lange gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Fischer: Unterschieden die sich, oder war das einfach auch diese große Vernetzung dann?
Lange: Ja. Man muss sich das so vorstellen: Es gab so seit Mitte der 80er-Jahre solche Depeche Mode-Fancliquen. Die gab es in den Wohngebieten, die gab es auf den Discos, in den Schulen, überall in der DDR gab es solche Fancliquen. Das hatte auch was damit zu tun, dass man sich versuchte so anzuziehen wie die Band und das war so eine interessante Gang-Mentalität, die man da auslebte. Und dann kam es so in dem nächsten Schritt eben dazu, dass man die Sache noch ein bisschen verbindlicher machen wollte. Deswegen gab man dieser Depeche Mode-Fan-Gang einen Namen – man gründete einen Fanclub. Und das taten unabhängig voneinander überall Jugendliche in der DDR. Und da gab es also Fanclubs, die das sehr intensiv gemacht haben, sehr ernsthaft. Zum Beispiel der Fanclub "New Life" aus Dresden ist da zu nennen, die haben also dann ab Anfang '89 quasi illegal gedruckt einen Newsletter herausgegeben, sie haben Fanpartys organisiert, sie haben Kassetten für andere Fans überspielt – und es gab natürlich auch Fanclub-Ausweise. Und es gab aber auch Fanclubs, die haben sich nur so einen Namen gegeben quasi für ihre Gang. Also das war eine sehr unterschiedliche Arbeitsweise.
"Es ging um das Ausleben von Popkultur"
Fischer: Hatte diese Fanclub-Kultur in der DDR eigentlich vielleicht ansatzweise auch was mit Protest und Protest-Kultur schon zu tun? Oder war es einfach nur super Musik und "Wir sind Fans" und "Wir wollen einfach irgendwie nah bei der Band sein"?
Lange: Eher letzteres. Also, gerade diese Depeche Mode-Fanclubs hatten nicht den Ansatz einer politischen Subversivität, sondern es ging den Jugendlichen letztlich einfach nur um das Ausleben von Popkultur. Und das haben die natürlich damals nicht bewusst gemacht, aber jetzt im Nachgang weiß man das, die haben natürlich auch versucht, zum Beispiel Normalitäten einzufordern. Also, wenn in Westdeutschland sich Fanclubs gegründet haben von einer Band, die auch im DDR-Radio gespielt wird – warum sollen wir das dann hier nicht auch machen? Oder wenn westdeutsche Fanclubs Newsletter herausgeben, kleine Infozettel kopieren – warum sollen wir das hier nicht auch machen? Oder warum sollen wir nicht eine Depeche Mode-Party veranstalten, wo den ganzen Abend Depeche Mode läuft? Und man hat da nicht extra die FDJ um Erlaubnis gefragt oder gesagt: Hier, FDJ, organisiert mal für uns – Ihr seid doch unser Jugendverband. Sondern man wollte das einfach selber in die Hand nehmen, so dieses DIY, dieses "Do it yourself"-Prinzip, was ja so aus dem Punk und aus dem New Wave kommt.
Fischer: Ja, und als systemschädigend hat der Staat offenbar diese Fanclubs auch nicht angesehen?
Lange: Ja, das hatte auch was damit zu tun: Natürlich war dem Staat – und gerade in Person der Staatssicherheit natürlich – jede außerschulische Aktivität von Jugendlichen oder auch alles, was jenseits der Norm war, alles, was irgendwie unkontrollierbar erschien, suspekt. Aber nichtsdestotrotz war es so, dass gerade in den 80er-Jahren die Vielfalt der Jugendkulturen noch mal um ein Vielfaches sich vergrößerte in der DDR. Es gab ja schon die Depeche Mode-Fans, es gab die The Cure-Fans, die Waver, die Gothics, die Skinheads, Hooligans, es gab Heavy Metaler, Hip-Hopper – das ganze bunte Programm. Und die Staatssicherheit war natürlich völlig überfordert mit diesen vielen Jugendlichen, mit diesen vielen Jugendkulturen, wo man die Unterscheidungen manchmal nur an der Farbe der Schnürsenkel treffen konnte. Und das führte natürlich dann auch dazu, dass auf der anderen Seite auch im DDR-Kulturbetrieb man feststellte: Ja, die Jugendlichen wollen das eben gerne. Deswegen ist ja auch zum Beispiel so ein Sender wie Jugendradio DT64 entstanden, weil man einfach merkte: man kann die Jugend mit den Puhdys und Karat nicht bei der Stange halten, man muss ihnen das geben, was sie wollen. Und das ist nun mal internationale Popmusik.
Mit der Freiheit kam das Ende
Fischer: Ein gutes Jahr nach diesem erwähnten Konzert '88 in Ost-Berlin fiel dann die Mauer. Was wurde aus den Fanclubs danach? Gab es noch einen Grund, dass die existierten?
Lange: Ein Hauptgrund fiel natürlich schon weg, weil man nun jetzt dann mit dem Ende der DDR in jeden Plattenladen gehen konnte. Man konnte fragen: Wann kommt die nächste Depeche Mode-Platte? Oder man konnte sich den Back-Katalog bestellen, was im übrigen sehr viele DDR-Fans gemacht haben. Das hat die westdeutsche Plattenfirma richtig festgestellt, dass die Verkäufe dann nach dem Mauerfall sprunghaft in den Neuen Bundesländern anstiegen. Und es gab schon noch so bis, sagen wir mal, 1993, gab es schon noch einige der aktiveren Fanclubs, die also auch Fanpartys organisiert haben. Und dann hat sich das ein bisschen aufgelöst.
Fischer: Ja, spannende Geschichten, die Sascha Lange und Dennis Burmeister da erzählen über die Fankultur – auch ihre eigene – in der DDR mit Blick auf Depeche Mode in dem Buch "Behind the Wall". Vielen Dank, Herr Lange.
Dennis Burmeister / Sascha Lange: "Behind the Wall - DEPECHE MODE-Fankultur in der DDR"
Ventil Verlag 2018, 240 Seiten, Klappbroschur mit farbigen Abbildungen, 30 Euro
Ventil Verlag 2018, 240 Seiten, Klappbroschur mit farbigen Abbildungen, 30 Euro
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