Erica Fischer ist im Januar 1943 in England geboren. Da waren ihre Eltern gerade wieder ein Jahr zusammen nach einer langen, unfreiwilligen Trennung. Erst nach dem Tod beider Eltern hat die österreichische Schriftstellerin angefangen zu recherchieren, wie es denn damals war, als jüdische und antifaschistische Flüchtlinge in England zu feindlichen Ausländern erklärt und teilweise sogar deportiert wurden. Von ihrem Vater selbst hat sie darüber wenig erfahren.
"Er hat über seine Lagererfahrung in Australien erzählt, und zwar immer nur in positiven Worten, das war einfach eine spannende Zeit für ihn. Aber - ich weiß nicht, er hat‘s wohl verdrängt oder vergessen? Bei meinen Recherchen bin ich erst draufgekommen, was für ein Inferno es auf diesem Schiff war. Das hat ja sechs Wochen gedauert, die Verpflegung war katastrophal. Es war wirklich ein Wunder, dass nur zwei Menschen gestorben sind auf dieser Überfahrt."
Als im Juni 1940 die deutsche Wehrmacht Frankreich eroberte, wuchs bei den Briten die Angst vor einem Angriff. Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich standen plötzlich unter dem Generalverdacht, Nazispione zu sein und wurden zu "enemy aliens" erklärt. Das betraf auch die Eltern von Erica Fischer, obwohl die Mutter Jüdin war und beide in Wien wegen antifaschistischer Aktionen im Gefängnis gesessen hatten. Als Erich Fischer interniert wurde, meldete er sich freiwillig zur Verschiffung nach Übersee unter der Bedingung, dass seine Frau nachkommen könnte. Das wurde sofort genehmigt, und so ging er am 10. Juli 1940 an Bord des Truppentransporters "Dunera". Auf diesem Schiff befanden sich 2500 Internierte, darunter auch deutsche Kriegsgefangene, die nachweislich besser behandelt wurden als die Flüchtlinge.
"Das Schlimme war, dass die Militäreskorte, angeführt von zwei schrecklichen Antisemiten, die deutschen und österreichischen Flüchtlinge, die zu 80 Prozent Juden waren, auf das Schlimmste behandelt haben. Die wurden sowohl als Deutsche misshandelt, als auch als Juden misshandelt. Sie haben also beides abgekriegt. Generell war die Situation an Bord eine Katastrophe. Das Schiff war überladen, es waren viel zu viel Menschen drauf, sie wurden in Unterdecks gehalten, wo es überhaupt kein Tageslicht gab, und im Fall einer Torpedierung wären da alle ertrunken, weil sie mit Stacheldraht daran gehindert wurden, überhaupt an Deck zu kommen."
Am 6. September 1940 erreichte die "Dunera" den Hafen von Sidney. Die Flüchtlinge wurden in einem Gefängniszug nach New South Wales in den kleinen Ort Hay gebracht, wo ein Lager aus dem Wüstenboden gestampft worden war. Hans Marcus war einer der 2000 Gefangenen, er erzählte Erica Fischer, wie er die Ankunft erlebt hatte.
"Wir waren auf der einen Seite von einer sehr breiten Straße, und auf der anderen Seite war ein Zaun, und hinter dem Zaun haben die Bewohner von der Stadt, wo das Lager war, alle gestanden und haben uns angeguckt. Ich kann mir vorstellen, wenn ein Tier im Zoo ist am Sonntagnachmittag, so muss das gewesen sein. Und dann habe ich hinten das Lager erblickt, und da hab ich den Stacheldraht gesehen und einen Wachturm auf einem Gestell mit oben einem Dings drauf. Da hab ich gedacht: So habe ich mir immer ein Konzentrationslager vorgestellt, genau so."
Unter den Flüchtlingen waren auch Männer, die schon die Realität deutscher KZs erfahren hatten und nun erneut vor einem Lager standen. Zum Glück stellte der Kommandant bald fest, dass er es nicht mit Nazis oder Kriminellen, sondern mit Antifaschisten und gebildeten Menschen zu tun hatte, und er tat alles, um den Internierten das Lagerleben zu erleichtern. Sie erhielten gutes Essen, Bücher, Schreibwaren, sogar Instrumente, und so entfaltete sich in diesem Camp im australischen Outback ein reiches kulturelles Leben mit Kursen und Vorträgen, Musik, Theater, Kabarett und politischen Debatten.
"Das Spannende war, dass diese Männer nach kurzer Zeit angefangen haben, sich zu organisieren, das waren ja sehr viele politisch aktive Menschen, also mein Vater war ein linker Sozialist, es gab viele Kommunisten dort, und es gab hoch ausgebildete Leute, Künstler, Musiker, Linguisten, Philosophieprofessoren, also alles, was die jüdische Intelligenzija auszeichnet, war dort versammelt auf engem Raum, und die jungen Leute, denk‘ ich, haben da profitiert. Also, die konnten sich vorbereiten aufs Abitur, die mussten nur nachher in Australien noch die Prüfung machen."
Während sich die Deportation für Erich Fischer überraschend angenehm gestaltete, ging es seiner Frau weniger gut. Irena wartete vergeblich auf die Erlaubnis, ihrem Mann nachfolgen zu dürfen. Und genau an dem Tag, als Erich in Australien von Bord ging, begann in London "The Blitz", also die Bombardierung der Stadt. Erst aus den Briefen ihrer Mutter erfuhr Erica Fischer von der Verzweiflung, in der sich die junge Frau damals befunden hatte.
London, 18. September 1940.
Mein Lieber, was für eine Freude, als ich erfuhr, dass Du angekommen bist. Die Überfahrt war sehr stürmisch, habe ich in der Zeitung gelesen. Wie lange wird es wohl dauern, bis Du diesen Brief lesen kannst? Vielleicht bin ich dann nicht mehr auf der Welt, denn unser Leben hängt jetzt an einem seidenen Faden. Es ist zu schrecklich, um es zu beschreiben. Wenn wir einmal zusammen sein sollten, werde ich es Dir erzählen. Du hast eine Zukunft vor Dir, darüber bin ich froh, Du wirst die Ideale, für die wir gekämpft haben, für uns beide umsetzen. Was mit mir sein wird, weiß der Himmel. Ich bin so grenzenlos einsam in dieser Welt, wo der Tod vom Himmel regnet.
Es sollte noch lange dauern, bis die beiden "Königskinder" wieder zueinanderfanden. Dabei wurde die britische Flüchtlingspolitik rasch korrigiert. Kaum war das Schiff ausgelaufen, begann im englischen Parlament eine heftige Debatte, und bald sahen die Politiker ein, dass es nicht nur humaner, sondern auch sinnvoller war, die Verfolgten des Naziregimes wieder freizulassen, schließlich brauchte man in England dringend männliche Arbeitskräfte.
"Aber es war eben schon zu spät, sie waren bereits auf hoher See, und die Australier waren einverstanden, diese Männer aufzunehmen, ein Lager zu bauen, und als die englische Position sich geändert hat, als England praktisch angedeutet hat, die könnten auch freigelassen werden, hat Australien sehr schroff reagiert. Erklären kann man sich das aus der wirtschaftlichen Situation Australiens. Es gab eine hohe Arbeitslosigkeit und die Lage war keineswegs gut, aber auch ganz sicher aus antisemitischen Strömungen in der Bevölkerung."
Der Roman "Königskinder" erzählt eindringlich vom Leid eines Emigrantenpaares. Zugleich ist er ein überaus spannendes Dokument dieses unbekannten Kapitels der Exilgeschichte. Die Autorin nahm in ihr Buch auch eine Liste aller nach Australien deportierten Flüchtlinge auf. Zweitausend Namen stehen da verzeichnet, eine Hommage an diese lange vergessenen Opfer von Nationalsozialismus und einer absurden englischen Flüchtlingspolitik. Es dauerte fast ein Jahr, bis die Internierten freigelassen wurden. Sie hatten die Wahl, nach England zurückzukehren oder in die australische Armee einzutreten, was die meisten der jüngeren Männer taten. Viele von ihnen blieben nach dem Krieg in Australien. Die Zeitzeugen, die Erica Fischer bei ihrer Recherche traf, äußerten sich durchgehend positiv über ihre neue Heimat.
"Ich war 1995 in Australien und habe da mit mehreren Überlebenden der "Dunera" gesprochen, die waren damals 16, 17 Jahre alt. Und diese Männer haben allesamt gesagt: Die Deportation nach Australien war das Beste, was in unserem Leben passieren konnte. Und es gibt eine Vereinigung, die "Dunera Boys", die sich jedes Jahr am 6. September, am Jahrestag ihrer Ankunft in Australien, treffen. Und mittlerweile gibt es in Hay, wo eben dieses Lager stand, ein kleines Museum, in dem man auch den Waggon sehen kann, mit dem die dort angekommen sind. Sowohl England wie auch Australien haben – aber relativ spät - begonnen, dieses dunkle Kapitel in ihrer Geschichte aufzuarbeiten."
Literaturhinweis: Erica Fischer "Königskinder". Roman. Rowohlt Berlin 2012, 304 Seiten, 19,95 €
"Er hat über seine Lagererfahrung in Australien erzählt, und zwar immer nur in positiven Worten, das war einfach eine spannende Zeit für ihn. Aber - ich weiß nicht, er hat‘s wohl verdrängt oder vergessen? Bei meinen Recherchen bin ich erst draufgekommen, was für ein Inferno es auf diesem Schiff war. Das hat ja sechs Wochen gedauert, die Verpflegung war katastrophal. Es war wirklich ein Wunder, dass nur zwei Menschen gestorben sind auf dieser Überfahrt."
Als im Juni 1940 die deutsche Wehrmacht Frankreich eroberte, wuchs bei den Briten die Angst vor einem Angriff. Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich standen plötzlich unter dem Generalverdacht, Nazispione zu sein und wurden zu "enemy aliens" erklärt. Das betraf auch die Eltern von Erica Fischer, obwohl die Mutter Jüdin war und beide in Wien wegen antifaschistischer Aktionen im Gefängnis gesessen hatten. Als Erich Fischer interniert wurde, meldete er sich freiwillig zur Verschiffung nach Übersee unter der Bedingung, dass seine Frau nachkommen könnte. Das wurde sofort genehmigt, und so ging er am 10. Juli 1940 an Bord des Truppentransporters "Dunera". Auf diesem Schiff befanden sich 2500 Internierte, darunter auch deutsche Kriegsgefangene, die nachweislich besser behandelt wurden als die Flüchtlinge.
"Das Schlimme war, dass die Militäreskorte, angeführt von zwei schrecklichen Antisemiten, die deutschen und österreichischen Flüchtlinge, die zu 80 Prozent Juden waren, auf das Schlimmste behandelt haben. Die wurden sowohl als Deutsche misshandelt, als auch als Juden misshandelt. Sie haben also beides abgekriegt. Generell war die Situation an Bord eine Katastrophe. Das Schiff war überladen, es waren viel zu viel Menschen drauf, sie wurden in Unterdecks gehalten, wo es überhaupt kein Tageslicht gab, und im Fall einer Torpedierung wären da alle ertrunken, weil sie mit Stacheldraht daran gehindert wurden, überhaupt an Deck zu kommen."
Am 6. September 1940 erreichte die "Dunera" den Hafen von Sidney. Die Flüchtlinge wurden in einem Gefängniszug nach New South Wales in den kleinen Ort Hay gebracht, wo ein Lager aus dem Wüstenboden gestampft worden war. Hans Marcus war einer der 2000 Gefangenen, er erzählte Erica Fischer, wie er die Ankunft erlebt hatte.
"Wir waren auf der einen Seite von einer sehr breiten Straße, und auf der anderen Seite war ein Zaun, und hinter dem Zaun haben die Bewohner von der Stadt, wo das Lager war, alle gestanden und haben uns angeguckt. Ich kann mir vorstellen, wenn ein Tier im Zoo ist am Sonntagnachmittag, so muss das gewesen sein. Und dann habe ich hinten das Lager erblickt, und da hab ich den Stacheldraht gesehen und einen Wachturm auf einem Gestell mit oben einem Dings drauf. Da hab ich gedacht: So habe ich mir immer ein Konzentrationslager vorgestellt, genau so."
Unter den Flüchtlingen waren auch Männer, die schon die Realität deutscher KZs erfahren hatten und nun erneut vor einem Lager standen. Zum Glück stellte der Kommandant bald fest, dass er es nicht mit Nazis oder Kriminellen, sondern mit Antifaschisten und gebildeten Menschen zu tun hatte, und er tat alles, um den Internierten das Lagerleben zu erleichtern. Sie erhielten gutes Essen, Bücher, Schreibwaren, sogar Instrumente, und so entfaltete sich in diesem Camp im australischen Outback ein reiches kulturelles Leben mit Kursen und Vorträgen, Musik, Theater, Kabarett und politischen Debatten.
"Das Spannende war, dass diese Männer nach kurzer Zeit angefangen haben, sich zu organisieren, das waren ja sehr viele politisch aktive Menschen, also mein Vater war ein linker Sozialist, es gab viele Kommunisten dort, und es gab hoch ausgebildete Leute, Künstler, Musiker, Linguisten, Philosophieprofessoren, also alles, was die jüdische Intelligenzija auszeichnet, war dort versammelt auf engem Raum, und die jungen Leute, denk‘ ich, haben da profitiert. Also, die konnten sich vorbereiten aufs Abitur, die mussten nur nachher in Australien noch die Prüfung machen."
Während sich die Deportation für Erich Fischer überraschend angenehm gestaltete, ging es seiner Frau weniger gut. Irena wartete vergeblich auf die Erlaubnis, ihrem Mann nachfolgen zu dürfen. Und genau an dem Tag, als Erich in Australien von Bord ging, begann in London "The Blitz", also die Bombardierung der Stadt. Erst aus den Briefen ihrer Mutter erfuhr Erica Fischer von der Verzweiflung, in der sich die junge Frau damals befunden hatte.
London, 18. September 1940.
Mein Lieber, was für eine Freude, als ich erfuhr, dass Du angekommen bist. Die Überfahrt war sehr stürmisch, habe ich in der Zeitung gelesen. Wie lange wird es wohl dauern, bis Du diesen Brief lesen kannst? Vielleicht bin ich dann nicht mehr auf der Welt, denn unser Leben hängt jetzt an einem seidenen Faden. Es ist zu schrecklich, um es zu beschreiben. Wenn wir einmal zusammen sein sollten, werde ich es Dir erzählen. Du hast eine Zukunft vor Dir, darüber bin ich froh, Du wirst die Ideale, für die wir gekämpft haben, für uns beide umsetzen. Was mit mir sein wird, weiß der Himmel. Ich bin so grenzenlos einsam in dieser Welt, wo der Tod vom Himmel regnet.
Es sollte noch lange dauern, bis die beiden "Königskinder" wieder zueinanderfanden. Dabei wurde die britische Flüchtlingspolitik rasch korrigiert. Kaum war das Schiff ausgelaufen, begann im englischen Parlament eine heftige Debatte, und bald sahen die Politiker ein, dass es nicht nur humaner, sondern auch sinnvoller war, die Verfolgten des Naziregimes wieder freizulassen, schließlich brauchte man in England dringend männliche Arbeitskräfte.
"Aber es war eben schon zu spät, sie waren bereits auf hoher See, und die Australier waren einverstanden, diese Männer aufzunehmen, ein Lager zu bauen, und als die englische Position sich geändert hat, als England praktisch angedeutet hat, die könnten auch freigelassen werden, hat Australien sehr schroff reagiert. Erklären kann man sich das aus der wirtschaftlichen Situation Australiens. Es gab eine hohe Arbeitslosigkeit und die Lage war keineswegs gut, aber auch ganz sicher aus antisemitischen Strömungen in der Bevölkerung."
Der Roman "Königskinder" erzählt eindringlich vom Leid eines Emigrantenpaares. Zugleich ist er ein überaus spannendes Dokument dieses unbekannten Kapitels der Exilgeschichte. Die Autorin nahm in ihr Buch auch eine Liste aller nach Australien deportierten Flüchtlinge auf. Zweitausend Namen stehen da verzeichnet, eine Hommage an diese lange vergessenen Opfer von Nationalsozialismus und einer absurden englischen Flüchtlingspolitik. Es dauerte fast ein Jahr, bis die Internierten freigelassen wurden. Sie hatten die Wahl, nach England zurückzukehren oder in die australische Armee einzutreten, was die meisten der jüngeren Männer taten. Viele von ihnen blieben nach dem Krieg in Australien. Die Zeitzeugen, die Erica Fischer bei ihrer Recherche traf, äußerten sich durchgehend positiv über ihre neue Heimat.
"Ich war 1995 in Australien und habe da mit mehreren Überlebenden der "Dunera" gesprochen, die waren damals 16, 17 Jahre alt. Und diese Männer haben allesamt gesagt: Die Deportation nach Australien war das Beste, was in unserem Leben passieren konnte. Und es gibt eine Vereinigung, die "Dunera Boys", die sich jedes Jahr am 6. September, am Jahrestag ihrer Ankunft in Australien, treffen. Und mittlerweile gibt es in Hay, wo eben dieses Lager stand, ein kleines Museum, in dem man auch den Waggon sehen kann, mit dem die dort angekommen sind. Sowohl England wie auch Australien haben – aber relativ spät - begonnen, dieses dunkle Kapitel in ihrer Geschichte aufzuarbeiten."
Literaturhinweis: Erica Fischer "Königskinder". Roman. Rowohlt Berlin 2012, 304 Seiten, 19,95 €