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Depressionen im Alter

Depressionen gehören nach den Demenzen zu den häufigsten psychischen Störungen im höheren Lebensalter. Trotzdem erkennen Ärzte sie oft nicht, weil viele Patienten zunächst über körperliche Beschwerden klagen. Bei richtiger Diagnose sind Depressionen aber auch im Alter gut behandelbar.

Von Anna-Lena Dohrmann |
    "Das innere Zittern – Sie glauben gar nicht, wie schlimm das ist. Das hat meinen ganzen Körper in Mitleidenschaft gezogen. Ich kann das nur so beschreiben, dass das wie so ein Hammer war, der immer so hin- und hergegangen ist. Das kam hier vorn. Da sagen sie immer, das ist der Platz der Seele. Man hat auch keinen Appetit, ich habe auch nicht viel gegessen, konnte nicht gut schlafen, habe Schlaftabletten genommen."

    Diese innere Unruhe hatte Gunda Batschik vor 15 Jahren schon einmal. Deshalb ahnte die 70-Jährige, dass es auch diesmal eine schwere Depression ist. Ihr Hausarzt hat die Diagnose dann tatsächlich sehr schnell gestellt.

    Doch genau das ist eher die Ausnahme, weiß Prof. Steffi Riedel-Heller vom Institut für Sozialmedizin der Universität Leipzig.

    "Ungefähr die Hälfte derjenigen, die in Allgemeinarztsettings sind, werden nicht als solche erkannt. Man muss dazu sagen, dass natürlich bei alten Menschen oft auch ein Zusammenspiel mit körperlichen Erkrankungen auftritt, wo oft der Blickpunkt zuerst auf das körperliche Leiden gerichtet wird."

    Dabei belegen Studien eindeutig, dass Depressionen und körperliche Beschwerden eng miteinander verknüpft sind. Oft entsteht so ein Teufelskreis. Doch der kann durchbrochen werden – vorausgesetzt die Depression wird erkannt. Und das ist gar nicht so einfach. Denn häufig berichten die Patienten nur über Kopfschmerzen oder Müdigkeit, erzählt Prof. Hubertus Himmerich von der Uniklinik für Psychiatrie in Leipzig:

    " Ältere Menschen haben das noch nicht verinnerlicht, dass Depression eine Erkrankung ist. Und in früheren Generationen war das auch noch nicht so üblich zu sagen, ich habe eine Depression oder ich fühle mich traurig. Da hat man sich einfach durchgebissen, und körperliche Beschwerden waren aber die Berechtigung zu einem Arzt zu gehen."

    Genau deshalb ist es so wichtig, gezielt nachzufragen: Ist die Stimmung gedrückt? Fehlt der Antrieb? Ist das Interesse an früheren Hobbys verschwunden? Das können erste Anzeichen einer Depression sein, die bis zu Suizidgedanken führen kann.

    "Die Wahrscheinlichkeit für den Suizid steigt im Alter an. Denn der Suizid ist häufig nicht der frei gewählte Tod, sondern eine Folge der Depression. Und bei fast allen Patienten, die behandelt wurden gegen Depression, ist es so, dass dann auch die Suizidgedanken verschwinden."

    Umso erschreckender ist es, dass Depressionen so oft nicht erkannt werden. Schließlich sind Depressionen eine behandelbare Krankheit.


    "Es gibt Medikamente, die auch für einen älteren Körper gut verträglich sind. In vielen Fällen ist auch gar kein Antidepressivum nötig, sondern Psychotherapie hat auch einen sehr guten Erfolg."

    Depressionen sind also auch im Alter behandelbar. Ein wichtiger Gesichtspunkt, da sie häufig auftreten. Eine Leipziger Langzeitstudie hat jetzt ergeben, dass 14 Prozent der über 75-Jährigen an depressiven Erkrankungen leiden. Und das ist ein Problem, das die gesamte Gesellschaft betrifft. Denn letztendlich wirkt es sich auch auf die Pflegekassen aus, so Riedel-Heller:

    "Wir konnten tatsächlich hier zeigen, dass die Kosten depressiver Senioren über ein Drittel von nicht-depressiven liegen. Und das Interessante dabei ist, dass diese erhöhten Kosten nicht durch depressionsspezifische Behandlungen zustande kommen ..","

    sondern schlichtweg dadurch, dass die Depression andere Erkrankungen verstärkt.
    Gunda Batschik hat es geschafft, diesen Teufelskreis zu durchbrechen – mithilfe von Medikamenten, Licht- und Ergotherapie sowie täglichen Spaziergängen. Noch wird die 70-Jährige stationär behandelt, aber sie ist optimistisch:

    ""Und nach drei Wochen, die ich hier war, merkte ich schon: Dir geht’s ja plötzlich besser. Das Zittern ist weg, die Unruhe ist weg. und das letzte bisschen, was noch fehlt: Das ist so, wie so eine Glocke einem über den Kopf hängt, wie eine Glasglocke so ungefähr, und die muss aber noch weg. Und das ist jetzt der letzte Schritt, dass ich auch als gesund wieder nach Hause entlassen werden kann."