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Depressionen und Popmusik
Psychische Erkrankungen sind kein Tabu mehr

Depressionen, Alkoholismus, Selbstverletzungen: Lange galt Mental Health als Tabu in der Popmusik. Inzwischen aber gibt es eine wachsende Musikszene, die in ihren Songs über psychische Probleme textet und auch darüber direkt mit ihren Fans diskutiert. Ergebnis: Beide Seiten profitieren vom Austausch.

Von Matthias Roeckl |
    Der Nirvana-Sänger Kurt Cobain während eines Konzerts in Paris 1992
    Viele Musiker leiden unter psychischen Problemen, zehren aber auch davon: Ein Musterbeispiel ist Kurt Cobain von Nirvana (imago stock&people)
    Sie machen 90er, Retro-College-Rock, Punk und Hip-Hop. Musikalisch nicht auf einer Wellenlänge, doch all diese Bands sprechen in ihrer Musik über psychische Probleme, wie Musiker Shamir. Vor zwei Jahren wurde er noch als das neue Supertalent der Klubmusik gefeiert, dann kam der Absturz. Aufgrund musikalischer Differenzen feuerte ihn sein Label, Shamir fiel in eine Identitätskrise und erlitt eine Psychose. Diagnose: bipolare Störung.
    "Viele Leute in meinem Umfeld, wie mein altes Management, haben mir versichert, dass sie meine Krankheit vertuschen könnten. Für mich war das äußerst merkwürdig. Sollte das wirklich meiner Karriere schaden? Ich habe durch meine psychische Krankheit dazugelernt."
    Shamir entscheidet sich dazu, seine Krankheitsgeschichte in seinen Songs zum Thema zu machen. Damit trifft er den Nerv vieler Fans und Freunde. Viele bedanken sich persönlich bei ihm - teilen ihr eigenes Schicksal mit dem Musiker, sprechen über Schuld- und Schamgefühle, die auch sie in ihrer Depression erleben.
    "Ich wollte mich dazu ausführlicher äußern und hoffe, dass andere diesem Beispiel folgen. Vielleicht wäre mir es nicht so schlecht ergangen, hätten mehrere Leute darüber gesprochen, und das Stigma wäre geringer."
    Musiker thematisieren ihr Leid
    Der Kampf mit Depressionen, das Leben mit Angstzuständen, galt in der Popmusik lange als Tabu, sagt auch Tatiana Tenreyro:
    "Man könnte schon fast sagen, es ist trendy - es wurde zu einem Phänomen. Sogar in Liebesliedern gibt es Hinweise, wie Musiker mit Angstzuständen umgehen, wenn zum Beispiel jemand nicht auf eine Textnachricht eingeht oder es von den negativen Gefühlen handelt, die einen überkommen, wenn jemand mit uns Schluss macht."
    Tatiana Tenreyro hat Journalistik studiert und in ihrer Abschlussarbeit Bands untersucht, die sich in ihrer Musik mit Mental Health auseinandersetzen. Heute schreibt sie darüber als Musikjournalistin, wie auch über die Band Modern Baseball aus Philadelphia: Sänger Brendan Lukens thematisiert seinen Kampf mit dem Alkohol und selbstverletzendes Verhalten, wie sich mit scharfen Gegenständen die Unterarme zu ritzen. Der Titel "The Waterboy Returns" beginnt mit den Worten:
    "Hey du, eine Flasche oder ein Schnitt - das alles hilft dir nicht weiter."
    "Die Bands sind mit ihren Fans verbunden"
    Vor zwei Jahren mussten Modern Baseball aufgrund psychischer Probleme ihres Sängers Lukens ihre Tournee absagen. Statt sich zu beschweren, zeigten die Fans Mitgefühl. Bands suchen das direkte Gespräch in sozialen Netzwerken - im Fall von Modern Baseball via Twitter. Die Grenze zwischen Musikern und Fans scheint zu verschwimmen. Tatiana Tenreyro sagt:
    "Die Message der Band lautet: Wir sind alle gleich, wir haben ähnliche Probleme, lasst uns darüber reden. Auch wenn du meine Musik verehrst, bin ich ein normaler Mensch. Die Bands versuchen nicht, über ihren Fans zu stehen."
    EIn zweischneidiges Schwert
    Mentale Probleme waren für Musiker schon immer ein zweischneidiges Schwert. Sie leiden darunter, aber zehren auch davon, ein Musterbeispiel: Nirvana.
    Kurt Cobain die Stimme einer Generation, ein Superstar, der 1994 Suizid begang. Wie würde Cobain und seine Musik heute in die Musikszene passen, die sich mit Mental Health Problemen auseinandersetzt? Musikjournalistin Tatiana Tenreyro:
    "Bei Nirvana gab es offensichtlich eine Lücke zwischen den Fans und der Band. Die Fans konnten sich mit ihrer Musik identifizieren, aber sie konnten Kurt Cobain nicht wirklich erreichen und mit ihm darüber reden, wie sie sich fühlten. Aber die Bands von heute sind mit vielen ihrer Fans verbunden, sie inspirieren sich gegenseitig. Wenn ein Fan sich meldet und der Band zu verstehen gibt, wie wichtig ein bestimmtes Thema ist, fühlen sich die Musiker bestätigt und lernen, dass es richtig ist, über die eigenen Gefühle und psychische Probleme in ihrer Musik zu sprechen."