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Depressiv und krankgeschrieben
Psychiater: "Arbeitsatmosphäre spielt eine große Rolle"

Permanent erreichbar, Leistungsdruck und keine Anerkennung - hohe Arbeitsbelastung kann krank machen. Viele Beschäftigte in Deutschland fühlten sich im Job permanent gehetzt, sagte der Psychiater Joachim Bauer im Dlf. Besonders hoch sei der Druck in Pflege- und Erzieherberufen.

Joachim Bauer im Gespräch mit Britta Fecke |
Ein Mann sitzt abends in einem Büro an einem vollen Schreibtisch und arbeitet in Berlin.
"Die Arbeitsatmosphäre oder der Führungsstil am Arbeitsplatz spielt eine große Rolle und da stehen die Dinge in vielen Arbeitsstätten in Deutschland nicht zum Besten", sagte der Psychiater Joachim Bauer (picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
Der Internist und Psychiater Joachim Bauer beschäftigt sich mit depressiven Erkrankungsformen und Angststörungen. Im Dlf wies er darauf hin, dass der Burn-out eine Vorstufe für eine depressive Erkrankung sein könne. Beides - sowohl Burn-out als auch depressive Erkrankungen - seien Folgen von psychischen Stressbelastungen.
Bauer nannte drei wichtige Punkte, die kritisch seien für den Erhalt oder die Bewahrung der Gesundheit am Arbeitsplatz:
1. Anerkennung und Wertschätzung
"Wir wissen aus wissenschaftlichen Studien, dass die Balance zwischen Verausgabung und Anerkennung eine ganz kritische Balance ist, weil das menschliche Gehirn sehr sensibel reagiert, wenn wir Verausgabung zwar leisten müssen, aber keine Wertschätzung zurückbekommen. Das heißt: Die Arbeitsatmosphäre oder der Führungsstil am Arbeitplatz spielt eine große Rolle und da stehe die Dinge in vielen Arbeitsstätten in Deutschland nicht zum Besten."
2. Zeit und Leistungsdruck verdichten sich
Nach Angaben des Psychiaters fühlen sich etwa die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland permanent gehetzt.
3. Ständige Erreichbarkeit
Joachim Bauer wies auf die fehlende Trennung zwischen Berufswelt und Privatleben hin. "Das hat natürlich mit den digitalen Endgeräten und dem Internet zu tun, die uns ständig erreichbar machen, auch wenn wir zu Hause sind", sagte Bauer im Dlf. Das versetze in Stress und habe auch Auswirkungen auf die Gesundheit.
Nach Angaben des Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse sind Arbeitnehmer noch nie so häufig wegen psychischer Leiden krankgeschrieben worden wie im vergangenen Jahr. Psychische Erkrankung sind für rund 19 Prozent aller Fehlzeiten verantwortlich, so ein Sprecher der Techniker Krankenkasse.
Betroffenen Berufsgruppen
Während früher die körperliche Arbeit und damit der Verschleiß im Vordergrund gestanden hätten, würde sich die Belastungen heute vor allem im psychischen und mentalen Bereich abspielen. Für Burn-out und Depression besonders gefährdet seien Berufe, in denen Menschen anderen Menschen helfen. Bauer nannte Pflegekräfte in Kliniken und Seniorenheimen, Lehrkräfte in Schulen. "Wir haben hohe Belastungen aber auch mittlerweile bei den Erzieherinnen und Erziehern", unterstrich der Mediziner.
Abschalten von der Arbeit zur Regeneration
Es sei wichtig, das man abends abschalten könne. Studien hätten gezeigt, dass Menschen, die sich einerseits voll engagierten, aber abends abschalten können weniger betroffen wären. Ein deutlich höheres Risiko wiesen Menschen auf, die sich sehr stark engagierten, aber dann nicht abschalten könnten. "Die quasi im Kopf die Arbeit überall hin mitnehmen, in den Feierabend, ins Wochenende und manchmal sogar in die Ferien. Diese Überidentifikation, also diese Unfähigkeit zur Distanzierung von der Arbeit, die ist mit einem deutlichen Risiko für psychisch beziehungsweise mentale Störungen verbunden", sagte Bauer.
Selbstfürsorge zur Stressvermeidung
Zur Vermeidung von arbeitsbedingtem Stress seien eine angenehme Arbeitsatmosphäre und ein guter Führungsstil bedeutend. Auf Seiten der Beschäftigten sei eine gute Selbstfürsorge wichtig.