Sein neues Buch hat den 74-jährigen Goethe zum Helden, der sich nicht, wie in korrekten Seniorenratgebern vorgesehen und im Fernsehen oft genug vorgeführt, in eine wohlerhaltene Frühpensionärin, sondern in einen Backfisch unsterblich verliebt, in Ulrike von Levetzow, die mit ihren Schwestern und ihrer verwitweten Mutter ganz genauso wie Goethe in den Jahren 1821,22, und 23 in Marienbad Ferien machte.1823, da war Ulrike von Levetzow neunzehn, hielt Goethe sogar um ihre Hand an. Als Brautwerber hatte sich Karl August von Sachsen-Weimar zur Verfügung gestellt, Goethes Chef, aber auch Freund - erfolglos. Ulrike von Levetzow hat auch später nie geheiratet und starb, immer wieder heimgesucht von Goethe-Verehrern, denen sie als "letzte Liebe" ihres Helden kostbar war, 95-jährig auf einem böhmischen Gut. Vorher hatte sie aber auf wenigen Seiten ihre Erinnerungen an Goethe zu Papier gebracht und dort bekräftigt: "Keine Liebschaft war es nicht." Jedenfalls nicht von ihrer Seite.
Diese und einige andere Informationen hat der Autor in einen Prolog und einen Epilog verbannt, um sich dann ausschließlich Goethe zuzuwenden und bis ins Feinste zu zergliedern und zu beschreiben, wie der in den Monaten nach Marienbad mit seiner hoffnungslosen Liebe fertig wurde. Schon auf der Reise von den böhmischen Bädern zurück nach Weimar begann er ja eine Elegie zu verfassen, die den Verehrern des Dichterfürsten als tragisches Lebens-Dokument nicht weniger teuer ist denn als ästhetisch-philosophische Leistung. Aus einem vor fünfundzwanzig Jahren wieder aufgetauchten "Schreibheft" kann Friedemann Bedürftig, ergänzt durch andere Aufzeichnungen von und über Goethe, praktisch die Entstehung jedes Verses der Marienbader Elegie nachzeichnen. Wann und wo dies geschrieben, wie das verändert wurde und warum- der Text liefert eine Einführung in die lyrische Kunst des alten Goethe genauso wie in ihre psycho-sozialen Voraussetzungen.
Das Buch ist, mit anderen Worten, eine interessante hybride Bildung aus präziser Literaturwissenschaft, quellengestützter historischer Nacherzählung einer Episode im langen Leben Goethes und psychologischer Fiktion. Erzählt, und ganz und gar nicht schlecht in einer dem klassizistischen Deutsch der Goethezeit nachempfundenen, aber wunderbar klaren Sprache, kann der Leser wählen. Will er wissen, wie die berühmte Elegie entstand und was jede Zeile bedeutet? Fasziniert es ihn, die kreative Umsetzung einer äußerst schmerzlichen Begegnung des alten Dichters mit der Jugend und der Liebe und den Abschied von ihr nachzuvollziehen? Oder hat er psychologische Interessen an der Ausleuchtung der Probleme des alten Menschen, seiner Resignation und seinen Todesgedanken, aber auch den lebenslang angesammelten Hilfsmitteln, imstande, dem Dasein jene ätzende Schärfe zu nehmen, die Werther seinerzeit in den Selbstmord getrieben hatte?
Ins zeitliche Umfeld von Goethes letzter Liebe und der Marienbader Elegie gehört ja auch das Gedicht, zum fünfzigjährigen Jubiläum dieses Skandalbuches, das er im Alter von 23 Jahren 1773 verfasst hatte. Auch damals gab es eine gefährliche Liebesgeschichte - aber es galt wohl auch schon damals für Goethe, was als Motto fünfzig Jahre später die Marienbader Elegie eröffnet : "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, - gab mir ein Gott, zu sagen, was ich leide." Goethe zitiert sich hier selber, in leichter Variation, aus seinem "Tasso"...Man liest das heute vielleicht anders, als 1823 und auch anders als Friedemann Bedürftig möchte. Goethe hatte Kontakt zu Gott? Kann er dank Gottes Beistand Leiden in Sprache verwandeln? Ist Ulrike von Levetzow in der Elegie, aber auch sonst in den Aufzeichnungen Goethes so wenig präsent, so vollständig nur Hintergrund, Zeichen und nicht von Bedeutung, weil es Goethe eben immer nur darauf ankam: Ich zu sagen. Ich fühle, ich leide, ich weiß- und je älter Goethe wurde- desto mehr trat ja neben der Egozentrik das Wissen in den Vordergrund und unterstützte die Autorität des Dichters.
Offen gesagt, habe ich die Goethe-Verehrung, ja den Kult um diesen Dichterfürsten, den guten deutschen Menschen, larger than life, nie verstanden. Ich kann auch nicht sagen, dass Friedemann Bedürftigs hybrider Text mir den Mann sympathischer gemacht hat. Auch ist mir der Ruf, den die Marienbader Elegie genießt, selbst nach seinen fachlich-sachlich untermauerten, sympathetischen Auslassungen unerfindlich geblieben. Aber vergessen wir solche Kontroversen unter Germanisten, Goethefans und Goethe-Kritikern. Dem Hamburger Autor ist ein schöner, mit Daten und Fakten bestückter, historisch-psychologischer Roman über eine Größe der deutschen Geschichte geglückt, der auch Feinde faszinieren kann. Er braucht dazu keine Fußnoten, kein imponierendes Literaturverzeichnis - sondern nur Kenntnis und Witz.
Liest man, wie Goethe auf der Rückreise nach Weimar in dieser Stadt, auf jenem Schloss empfangen wurde, zieht man Parallelen zur Gegenwart und ihren Promis. Goethe lebte wie auf einer Bühne. Aber der Unterschied: Das Verfallsdatum von Prominenz ist heute entschieden kürzer als zu Goethes Zeiten. Bewegend ist dann die Kur, die der aus Berlin herbeigerufene Freund Zelter mit dem im Herbst 1823 schwer erkrankten Goethe anstellt: Zelter liest dem Kranken immer wieder die Marienbader Elegie vor, und Goethe berappelt sich beim Wiederkäuen seiner eigenen Dichtung. Hier könnte wahre Männerforschung einhaken- aber auch sonst ist das Buch über Goethes letzte Liebe eine Fundgrube für Einsichten und Ideen.
Diese und einige andere Informationen hat der Autor in einen Prolog und einen Epilog verbannt, um sich dann ausschließlich Goethe zuzuwenden und bis ins Feinste zu zergliedern und zu beschreiben, wie der in den Monaten nach Marienbad mit seiner hoffnungslosen Liebe fertig wurde. Schon auf der Reise von den böhmischen Bädern zurück nach Weimar begann er ja eine Elegie zu verfassen, die den Verehrern des Dichterfürsten als tragisches Lebens-Dokument nicht weniger teuer ist denn als ästhetisch-philosophische Leistung. Aus einem vor fünfundzwanzig Jahren wieder aufgetauchten "Schreibheft" kann Friedemann Bedürftig, ergänzt durch andere Aufzeichnungen von und über Goethe, praktisch die Entstehung jedes Verses der Marienbader Elegie nachzeichnen. Wann und wo dies geschrieben, wie das verändert wurde und warum- der Text liefert eine Einführung in die lyrische Kunst des alten Goethe genauso wie in ihre psycho-sozialen Voraussetzungen.
Das Buch ist, mit anderen Worten, eine interessante hybride Bildung aus präziser Literaturwissenschaft, quellengestützter historischer Nacherzählung einer Episode im langen Leben Goethes und psychologischer Fiktion. Erzählt, und ganz und gar nicht schlecht in einer dem klassizistischen Deutsch der Goethezeit nachempfundenen, aber wunderbar klaren Sprache, kann der Leser wählen. Will er wissen, wie die berühmte Elegie entstand und was jede Zeile bedeutet? Fasziniert es ihn, die kreative Umsetzung einer äußerst schmerzlichen Begegnung des alten Dichters mit der Jugend und der Liebe und den Abschied von ihr nachzuvollziehen? Oder hat er psychologische Interessen an der Ausleuchtung der Probleme des alten Menschen, seiner Resignation und seinen Todesgedanken, aber auch den lebenslang angesammelten Hilfsmitteln, imstande, dem Dasein jene ätzende Schärfe zu nehmen, die Werther seinerzeit in den Selbstmord getrieben hatte?
Ins zeitliche Umfeld von Goethes letzter Liebe und der Marienbader Elegie gehört ja auch das Gedicht, zum fünfzigjährigen Jubiläum dieses Skandalbuches, das er im Alter von 23 Jahren 1773 verfasst hatte. Auch damals gab es eine gefährliche Liebesgeschichte - aber es galt wohl auch schon damals für Goethe, was als Motto fünfzig Jahre später die Marienbader Elegie eröffnet : "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, - gab mir ein Gott, zu sagen, was ich leide." Goethe zitiert sich hier selber, in leichter Variation, aus seinem "Tasso"...Man liest das heute vielleicht anders, als 1823 und auch anders als Friedemann Bedürftig möchte. Goethe hatte Kontakt zu Gott? Kann er dank Gottes Beistand Leiden in Sprache verwandeln? Ist Ulrike von Levetzow in der Elegie, aber auch sonst in den Aufzeichnungen Goethes so wenig präsent, so vollständig nur Hintergrund, Zeichen und nicht von Bedeutung, weil es Goethe eben immer nur darauf ankam: Ich zu sagen. Ich fühle, ich leide, ich weiß- und je älter Goethe wurde- desto mehr trat ja neben der Egozentrik das Wissen in den Vordergrund und unterstützte die Autorität des Dichters.
Offen gesagt, habe ich die Goethe-Verehrung, ja den Kult um diesen Dichterfürsten, den guten deutschen Menschen, larger than life, nie verstanden. Ich kann auch nicht sagen, dass Friedemann Bedürftigs hybrider Text mir den Mann sympathischer gemacht hat. Auch ist mir der Ruf, den die Marienbader Elegie genießt, selbst nach seinen fachlich-sachlich untermauerten, sympathetischen Auslassungen unerfindlich geblieben. Aber vergessen wir solche Kontroversen unter Germanisten, Goethefans und Goethe-Kritikern. Dem Hamburger Autor ist ein schöner, mit Daten und Fakten bestückter, historisch-psychologischer Roman über eine Größe der deutschen Geschichte geglückt, der auch Feinde faszinieren kann. Er braucht dazu keine Fußnoten, kein imponierendes Literaturverzeichnis - sondern nur Kenntnis und Witz.
Liest man, wie Goethe auf der Rückreise nach Weimar in dieser Stadt, auf jenem Schloss empfangen wurde, zieht man Parallelen zur Gegenwart und ihren Promis. Goethe lebte wie auf einer Bühne. Aber der Unterschied: Das Verfallsdatum von Prominenz ist heute entschieden kürzer als zu Goethes Zeiten. Bewegend ist dann die Kur, die der aus Berlin herbeigerufene Freund Zelter mit dem im Herbst 1823 schwer erkrankten Goethe anstellt: Zelter liest dem Kranken immer wieder die Marienbader Elegie vor, und Goethe berappelt sich beim Wiederkäuen seiner eigenen Dichtung. Hier könnte wahre Männerforschung einhaken- aber auch sonst ist das Buch über Goethes letzte Liebe eine Fundgrube für Einsichten und Ideen.