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Der alte Krapp und seine Frau

Es ist klar, man muss das Alte noch einmal sehen, sich vergegenwärtigen, um dann das Neue begreifen zu können. Das Neue, das, was Peter Handke geschrieben hat, ist nur als Reflex, als Echo, wie er selber sagt, auf das Bekannte zu verstehen.

Von Sven Ricklefs |
    Und so sieht man also zunächst noch einmal Becketts abgrundtief schwarzes und formal auf ein Minimum reduziertes Drama "Das letzte Band", dass das Leben als eine einzige Vergeblichkeit zeigt: das Leben des Schriftstellers Krapp, der sich mit 39 Jahren für immer gegen die Liebe und damit auch gegen das Leben entschied, um sein Heil in der Kunst zu suchen, das er dort nicht fand. Es ist die berühmte Spule fünf aus Schachtel drei, auf der der Moment von Krapp festgehalten ist, die Spule, die er jetzt – 30 Jahre später noch einmal abhört, um dann – wie immer an seinem Geburtstag – eine neue Spule zu besprechen, die diesmal sein letztes Band sein wird.

    "Krapp: Ich sank auf sie nieder, mein Gesicht in ihren Brüsten und meine Hand auf ihr. Wir lagen da, ohne uns zu bewegen."

    Auf der Bühne des Salzburger Landestheaters hat Regisseur Jossi Wieler für die intime Negativität des Stücks einen kleinen intimen Rahmen geschaffen, einen kleinen in Metallgestänge gefassten offenen Kasten, der wie eine weitere kleine Bühne aus dem eisernen Vorhang heraus auf die Vorderbühne ragt. Und hier darf der großartige Andre Jung, das ganze Repertoire seiner leisen Mittel auffächern, das zwischen dem absurden Bananenkonsum und dem reduziert mimischen Dialog mit der eigenen Stimme vom Band die ganze erbarmungswürdige und zugleich abgründige Lebenstragödie Krapps zeigt.

    Eigentlich ist es so, als hätte Beckett mit dem "Letzten Band", in das viel von der eigenen Künstlerexistenz des Autors eingeflossen ist, gleichsam die Literatur und das Theater, wenn nicht das Leben schlechthin zu Ende geschrieben. Und so wirkt es auch wie ein Befreiungsschlag, dass Peter Handke nun, 50 Jahre nach Beckett, diesem zu antworten scheint, indem er jene Frau auf die Bühne schickt, die die Liebe in Krapps Leben hätte sein können:

    "Sie:. Dein Spiel ist gespielt, Mister Krapp, Monsieur Krapp, Herr Krapp."

    Es ist ihr Spiel jetzt, dafür ist Licht geworden, sogar im Zuschauerraum, die Bühne ist weit, der kleine Raum gedreht, so dass man Krapp, der noch immer mit dem Arm liebevoll auf dem alten Tonband liegt, nur noch von hinten sieht. Es ist ihr Spiel, ihr Monolog ihr Reden und das wird einen straffen, schnellen Rhythmus haben und damit so ganz anders sein, als das von Krapp, das geprägt ist von Stocken und Pausen, die von Beckett ja so akribisch festgelegt sind.

    "Wie habe ich jedes Mal das Vertrauen in dich verloren, sooft du deine Sinnpausen gemacht hast, Krapp, sooft du die Stille zu einer Kunstpause missbraucht hast, Krapp, und wie habe ich jedes Mal im Stillen gefleht: Tu's nicht noch einmal, Krapp."

    Peter Handkes kurze Replik auf das Weltstück "Das letzte Band" ist vieles gleichzeitig und dabei auch eine achtungsvoll kritische Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Samuel Beckett. Daneben ist es die Feier eines Lebens, das in einer Zweisamkeit aufblühen könnte, die einem Krapp aber immer verwehrt war.

    "Ich war nicht gemeint von deinem Seufzer, du seufztest für dich allein. Du warst nicht fähig zu einem Zwiegespräch."

    In der Salzburger Festspielaufführung spielt Nina Kunzendorf diese Frau, die ebenso illusionslos wie dennoch fast liebevoll auf die Beziehung schaut, die sie einmal mit diesem Mann verbunden hat, der nun nur noch mit seinen Bananen, seinem Tonband und seinem Alkohol zu existieren scheint. Kunzendorf zeigt in Jossi Wielers feinfühliger Regie eine selbstbewusste Frau, die sich ihre Klarheit schon vor langer Zeit geschaffen hat. Und sie hier nun noch einmal in einer imaginierten Begegnung äußern kann.

    Die Anregung für Peter Handke sich auf eine solche direkte Auseinandersetzung mit Beckett einzulassen, kam übrigens – wie man hört – vom Leiter des Schauspiels in Salzburg, Thomas Oberender. Solche dramaturgischen Initialzündungen zu legen, noch dazu, wenn sie einen Schriftsteller vom Rang Handkes befeuern, ist sicherlich eine Bereicherung des Festspielgedankens.