Archiv


Der amerikanische Ausnahmestatus

Für den US-amerikanischen Historiker Morris Berman ist der moderne Überwachungsstaat USA, der die Telefonaktivitäten und E-Mails von 300 Millionen Bürgern speichert, ein Zeichen für den Untergang der Nation. Seine These: Die Amerikaner sind von der Realität abgekoppelt.

Von Jürgen Kalwa |
    Die gängige Art der Selbstbespiegelung in den Vereinigten Staaten hat einen Begriff geprägt, in dem ein ungeheurer Narzissmus zum Ausdruck kommt. Er lautet "american exceptionalism”. Der amerikanische Ausnahmestatus – er beschreibt eine Nation, die nicht nur etwas Besonderes ist. Sondern allen anderen auch noch überlegen. Vor allem moralisch. Rechenschaft legt so ein Land dem Rest der Welt nicht ab.

    Dieses Selbstbild ist für vieles verantwortlich. Unter anderem für die ungebrochene Zuversicht, wonach die Amerikaner etwas schaffen werden, was noch keinem Weltreich in der Geschichte gelungen ist – nicht dem alten Rom, nicht den Osmanen und nicht dem britischen Empire. In den USA glaubt man tatsächlich, man könne den Untergang abwenden. Warum? Amerikaner sind von der Realität abgekoppelt, sagt der Historiker Morris Berman. Aber das ist typisch für die gegenwärtige Phase:

    ""Das passiert, wenn ein Weltreich zu Ende geht. Man lebt in einer imaginierten Welt. Dabei marschiert man bereits Richtung Dritte Welt. Die Vermögensverteilung ähnelt der von Marokko, Tunesien oder Ägypten. Wir sind wie eine Bananenrepublik.”"

    Eine Republik, die denn auch – ganz so wie in undemokratischen Ländern üblich – dazu übergegangen ist, ihre Bürger so umfassend wie möglich zu überwachen. Alles natürlich geheim und dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. So wie in maroden Systemen wie einst im Ostblock. Nur umfassender und perfekter. Dank der NSA und inzwischen auch dank unbemannter Luftfahrzeuge, sogenannter Drohnen, die die Polizei in den USA einsetzt.
    Berman hat jahrelang an zahlreichen Universitäten in den Vereinigten Staaten gelehrt und lebt inzwischen – mit 69 – in Mexiko. Er hat wie kaum ein anderer amerikanischer Akademiker den kulturellen und sozialen Niedergang seines Heimatlandes analysiert und beschrieben. Zwei seiner drei Bücher zu diesem Thema wurden auch in Deutschland verlegt. Ihre Titel: "Finstere Zeiten für Amerika” und "Kultur vor dem Kollaps?” Für ihn ist der moderne Überwachungsstaat, der die Telefonaktivitäten und Emails von 300 Millionen Bürgern speichert, sie einschüchtert und auf Linie hält, nichts anderes als die Folgeerscheinung einer ganz klassischen Entwicklung.

    ""Solche Konstellationen haben Anthropologen wie Mary Douglas beobachtet. Sie hat das Buch ‘Reinheit und Gefährdung‘ geschrieben. Nationen und Zivilisationen, die sich ganz auf die Bedrohung von außen konzentrieren, wenden irgendwann dieselbe Energie gegen die sogenannte ‘Fünfte Kolonne’ im eigenen Land. Mit diesem Vorgehen gegen eine vermeintliche Subversion wird der Untergang der Nation nur beschleunigt. Zerstörung in Form von Selbstzerstörung.” "

    Mit dafür verantwortlich, sagt Berman: der Überwachungsstaat und der Apparat, der die flächendeckende Bespitzelung durchführt.

    ""Diese Institutionen existieren – ohne jede Kontrolle – um ihrer selbst willen. Sie verhalten sich insoweit rational, als sie die kapitalistische Wirtschaft verteidigen. Aber psychologisch gesehen sind sie einfach durchgeknallt. Das sieht man an den Reaktionen auf die Informanten.”"

    Die beinahe manische Verfolgung der Whistleblower Bradley Manning und Edward Snowden oder auch von Julian Assange auf der einen Seite und der ungebrochene Optimismus auf der anderen. Sie bilden das Grundgerüst für eine Politik, die jedoch nach Ansicht von Berman den Untergang des Imperiums nur beschleunigt.

    ""So dumm dieser Gedanke eines amerikanischen Exzeptionalismus sein mag, er fördert die Idee, dass alle Probleme gelöst werden können. Am Ende wird alles gut. Dabei kann man unserer gegenwärtigen Lage gar nicht entkommen. Egal wie optimistisch man ist. Das ganze System einer auf Wachstum basierenden Wirtschaft fällt gerade auseinander.”"