Nur der Kopf ragte aus einer "Eisernen Lunge" heraus. Der Körper war von einem Metallzylinder vollständig umschlossen; rhythmisch wechselnd wurden darin ein Über- und Unterdruck erzeugt. Die Rippen seien durch den hohen Druck regelrecht nach innen gebogen worden, berichtete eine Frau, die zwei Jahre in einer Eisernen Lunge verbrachte:
Dadurch schoss die Luft aus meinem Mund. Ließ der Druck nach, weiteten sich die Rippen und Lungen wieder, was dazu führte, dass Luft durch meinen Mund eingesogen wurde. So atmete ich.
Viele Ärzte waren anfangs noch skeptisch. Über das Für und Wider der künstlichen Beatmung habe man leidenschaftlich diskutiert, schrieb James Wilson, einer der Pioniere aus Boston, 1979 in seinen Memoiren:
Die Diskussion kreiste um die moralische Rechtfertigung, eine solche Maschine einzusetzen. Wir wussten ja nicht, ob die Atemmuskulatur sich wieder erholen würde oder ob der Polio-Kranke, dem wir mit dieser Maschine das Leben retteten, darin den Rest seines Lebens würde verbringen müssen.
Es war das ethische Dilemma, in dem die Apparatemedizin heute noch steckt. Ein junger Mann, der weltweit Schlagzeilen machte, lebte 18 Jahre in einer Eisernen Lunge. Andere brauchten die Atemhilfe nur für kurze Zeit. Viele empfanden anfangs eine große Erleichterung - wie diese Polio-Patientin:
Ich musste nicht mehr kämpfen um jeden Atemzug –wunderbar. Ich wusste ja nicht, dass es mir schlechter ging und meine Familie sich große Sorgen machte.
Mit der Zeit wuchs die Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit. Was eine Frau als neunjähriges Mädchen erlebte, war kein Einzelfall:
Einmal verrutschte das Tuch, das man mir um den Hals gebunden hatte. Ich bekam keine Luft mehr. Ich schrie und rief nach einer Krankenschwester. Sie kam herein, wirkte frustriert, völlig überarbeitet. Sie sagte nur, ich solle endlich aufhören zu schreien. Sie sagte, dass sie mein Beatmungsgerät abstellen würde, wenn ich nicht aufhören würde zu schreien. Als sie das tat, bin ich in Ohnmacht gefallen.
An Spezialkliniken entstanden Beatmungszentren für Polio-Kranke - die Vorläufer der modernen Intensivstation. Derweil arbeiteten Mediziner fieberhaft an neuen Behandlungsstrategien. Mit den Impfkampagnen gegen die Kinderlähmung endete Anfang der 60er Jahre auch die Ära der Eisernen Lunge. Der Hamburger Virologe Heinrich Pette hat diesen Triumph noch persönlich miterlebt.
Ich darf sagen, es ist das schönste Geschenk. Nach jahrelangem Bemühen - jahrzehntelang, man wusste es nicht. Dieser Rückgang der Lähmungsfälle, überhaupt dieser Fälle von Kinderlähmung, ist auf die orale Schutzimpfung zurückzuführen. Davon bin ich restlos überzeugt.
Wenn heute Menschen beatmet werden müssen, bläst man ihnen Luft über einen Intubator durch Mund und Nase in die Atemwege. Die "Eisernen Lungen" wurden weitgehend demontiert, vereinzelt sieht man sie noch in medizinhistorischen Museen.