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Der Außenpolitiker Emmanuel Macron
Zwischen Weltkonflikten und Europareformen

Vor einem Jahr brachte Emmanuel Macron Aufbruch-Stimmung in eine von Skepsis geprägte Europa-Debatte zurück. Heute fällt der Blick etwas nüchterner aus. Seine Pläne sind angesichts des Widerstands der halben EU steckengeblieben - von der Idee eines EU-Finanzministers bis zum großen Eurozonen-Budget.

Von Ursula Welter, Jürgen König, Peter Kapern und Benjamin Dierks |
    Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron (8. Mai 2018).
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (AFP / FRANCOIS GUILLOT)
    Applaus für den französischen Präsidenten in Washington. Der französische Staatspräsident stellt vor dem US-Kongress klar, Frankreichs Ziel sei, dass der Iran niemals Atomwaffen besitze, nicht jetzt, nicht in fünf Jahren, nicht in zehn Jahren, niemals.
    Das sollte nicht zuletzt dem US-Präsidenten klar machen, Frankreich wackelt in diesem Punkt nicht. Bis zuletzt hatte Paris auf Einhaltung des Abkommens aus dem Jahr 2015 gedrungen, das Frankreich – als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, - gemeinsam mit den USA, Großbritannien, China, Russland und Deutschland mit Teheran geschlossen hatte. Noch am Dienstagnachmittag hatte Emmanuel Macron, in Abstimmung mit Berlin und London, mit Donald Trump telefoniert. Vergeblich.
    Frankreichs Rolle gegenüber dem Iran ist ambivalent. Von der Aufhebung der Sanktionen in der Folge des Atom-Abkommens hatte auch die französische Wirtschaft profitiert, der kulturelle Austausch belebte sich, zuletzt gingen wertvolle Exponate des Louvre nach Teheran. Auf der anderen Seite gilt Irans Erzfeind, Saudi-Arabien, der französischen Rüstungsindustrie als wertvoller Kunde. Jüngste Wirtschaftsabkommen mit Saudi-Arabien im Bereich Energie, Wasser, Tourismus und Landwirtschaft beliefen sich auf rund 15 Milliarden Euro.
    Der Iran beobachtet diese französisch-saudische Achse mit Argwohn. Und als zuletzt der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian in Teheran appellierte, der Iran müsse die Tests von Trägerraketen einstellen, konterte Präsident Hassan Rohani: Wer, wie Frankreich, und bis zuletzt auch Deutschland, Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien mache, dürfe sich nicht wundern, wenn der Iran sich bereit und wehrhaft halte.
    Am kommenden Montag nun wollen Paris, London und Berlin erneut versuchen, das Thema Trägerraketen mit dem Iran anzusprechen, denn nicht zuletzt die ballistischen Versuche des Iran hatten die USA an der Wirksamkeit des Atom-Abkommens von 2015 zweifeln lassen.
    Mutiger Vordenker des Europäischen Traumes
    Nach der Aufkündigung des Vertrages durch den amerikanischen Präsidenten, so betonte die Führung in Paris am Morgen danach, komme es nun auf die enge Abstimmung und den Schulterschluss der Europäer an. Angela Merkel und Emmanuel Macron werden also mit schwerem, internationalen Gepäck zur Karlspreisverleihung an diesem Donnerstag nach Aachen fahren. Das Ereignis geriet unversehens in den Schatten der Iran-USA-Krise.
    Seit 1950 wird der Karlspreis vergeben: An "Persönlichkeiten oder Institutionen, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben". In diesem Jahr an Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel wird die Laudatio halten. In ihrer Begründung für den diesjährigen Preisträger nennt die Karlspreisgesellschaft Macron einen, Zitat: "mutigen Vordenker des Europäischen Traumes", geehrt werde er für seine, Zitat: "Vision von einem neuen Europa, von einer neuen europäischen Souveränität und einer engen, neu strukturierten Zusammenarbeit der Völker und Nationen".
    ARCHIV - 15.05.2017, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfängt den französischen Präsidenten Emmanuel Macron am in Berlin mit militärischen Ehren. Merkel empfängt Macron am Donnerstag in Berlin. (zu dpa «Beziehung leicht abgekühlt: Macron besucht Merkel» vom 18.04.2018) 
    Bundeskanzlerin Merkel wird die Karlspreis-Laudatio auf Emmanuel Macron halten. (Michael Kappeler/dpa)
    Salbungsvolle Worte in einer derart aufgeladenen Weltlage. Im Kern geht es der Karlspreisgesellschaft aber durchaus um mehr, als um "Visionen" oder ungelegte Reformeier. Die Jury lobte, dass Macron während seines gesamten Präsidentschaftswahlkampfs "offensiv" die Auseinandersetzung mit "Populisten, Radikalen und Nationalisten" gesucht habe. Und gewürdigt wird, dass er Frankreich als starken Player auf der Weltbühne, aber immer im europäischen Kontext definiert: So wie bei diesem Wahlkampfauftritt im April 2017 in Marseille:
    "Wir sind die wahren Patrioten, hier in diesem Saal! Denn wir lieben kein abgeschottetes Frankreich, sondern ein starkes Frankreich, eines der Hoffnung - in Europa!"
    Tatsächlich war Emmanuel Macron der einzige Kandidat, der die Erneuerung Europas zur Grundlage seines Reformprogramms machte.
    "Ich will die Kritik an Europa nicht mehr den Anti-Europäern überlassen. Wie Sie alle hier liebe ich Europa! Mit dem Projekt, das wir umsetzen wollen, soll Frankreich vollkommen verändert und gestärkt werden – durch die Reformen, die seit so vielen Jahren von Frankreich erwartet werden! Und wir werden das tun, indem wir gleichzeitig unsere deutschen, italienischen, spanischen Partner zu einem neuen Europa-Projekt auffordern, ein demokratischeres, ambitionierteres! Es gilt heute, eine neue Seite im Buch der europäischen Geschichte zu schreiben, wenn nicht gar es neu zu gründen – und genau das werden wir alle zusammen machen!"
    "Europe en marche"
    "Wir alle zusammen" – damit meinte Emmanuel Macron die Bewegung "En Marche!", die er im April 2016 gegründet hatte, um ein nach seiner Meinung nicht mehr handlungsfähiges Parteiensystem zu überwinden. Er erläuterte seine Motive damals im Fernsehsender France 2:
    "Seit etwa 18 Monaten gehöre ich der Regierung an. Und habe dabei gesehen, welche Blockaden und Widerstände es im Land gibt! Als ich ein Gesetz vorstellte, mit dem unter anderem der Fernbus-Verkehr liberalisiert werden sollte, hat die Linke mit guten Gründen gesagt: das ist aber nicht das, was man uns 2012 versprochen hat! Und die Rechte sagte: weil es das Gesetz einer linken Regierung ist, lehnen wir es auf jeden Fall ab! Dieses Denken möchte ich ändern. Denn wir stehen vor großen Herausforderungen, und es gibt ja doch den Willen der Bürger, gemeinsame Lösungen zu finden!"
    Mit einer Handvoll Getreuer fing Macron an. Seine Bewegung brachte ihn im Mai 2017 ins Präsidentenamt, er gewann die Wahl gegen Marine Le Pen, die Kandidaten der extremen Rechten.
    Und nun will Macron den Erfolg auf nationaler Ebene auf die europäische Ebene übertragen. Für die Europawahl im Mai 2019 hat er "Europe en marche" in Gang gesetzt, und wie jede größere Bewegung fängt auch die klein an.
    Eine Hotellobby in der Nähe vom Bahnhof Zoo in Berlin. Es sind nur rund zehn Frauen und Männer, die sich in tiefen Ledersesseln gegenübersitzen. In ihrer Mitte steht Laurent Couraudon. Er stellt sich der Gruppe vor.
    "Je suis Laurent, je suis le responsable de groupe de travail Europe pour Berlin."
    Der Franzose arbeitet in Berlin bei einer Bank und gehört zum Berliner Komitee von La République en Marche. Er engagiert sich in einer Gruppe von gut 25 Auslandsfranzosen ehrenamtlich für die Macron-Partei. Couraudon ist bei En Marche Berlin für Europafragen zuständig und schwört seine Mitstreiter nun auf die Aufgabe ein, die heute vor ihnen liegt:
    In kleinen Gruppen sollen sie ausschwärmen und an belebten Plätzen, Lokalen und Sehenswürdigkeiten Franzosen auftreiben und sie nach ihrer Meinung zu Europa befragen.
    "Die Idee ist ein genaues Bild davon, was die Leute in Frankreich von Europa denken, das heißt, was die Leute konkret erwarten. Was muss Europa machen, was muss Europa nicht machen."
    Der französische Präsident Emmanuel Macron beim EU-Gipfeltreffen in Brüssel vor einer Reihe von Europafahnen.
    Der französische Präsident Emanuel Macron in Brüssel (imago / Wiktor Dabkowski)
    Die Berliner Aktion ist Teil des Europawahlkampfs von Emmanuel Macron: La Grande Marche pour l’Europe, der große Marsch für Europa, eine Art Meinungsumfrage. Bereits die Gründung von En Marche und der Wahlerfolg von Macron in Frankreich fußten auf einer solchen Grande Marche. Nun soll es um Europa gehen. Und deswegen ziehen Macrons Anhänger nicht mehr nur in Frankreich los, sondern auch in Nachbarländern wie Deutschland oder den Niederlanden, schließlich sei von den Problemen Europas nicht nur Frankreich betroffen, sondern die gesamte Union, sagt Couraudon.
    "Europa ist in Gefahr, vielleicht, weil Europa teilweise gescheitert ist. Und wir sind nicht naive Europa-Befürworter, wir verlangen was von Europa. Europa ist nicht nur Kommunikation und bla bla bla, wir lieben uns, das ist schön, das ist nett, das ist auch wichtig, das ist Frieden und Frieden ist sehr wichtig, aber es reicht nicht."
    "Alors, si je vous dis Europe, ça vous fait penser à quoi?"
    "Woran denken sie, wenn von Europa die Rede ist?"
    "Libre échange et libre circulation." "Oui, libre circulation, pas de frontières, échange culturel…"
    Expansionskurs stößt auf konservative Skepsis
    Freizügigkeit, Freihandel, offene Grenzen und kultureller Austausch, antworten die zwei jungen Frauen. Sie wirken wie Mustereuropäerinnen. Aber es kommen auch kritische Punkte zur Sprache, wie die wirtschaftlichen Krisen im Süden Europas, das Erstarken von Nationalismus und die Uneinigkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Laurent Couraudon ist angetan.
    "Man sieht, dass Europa eine wichtige Realität für die Leute ist — Ideal, aber auch eine gewisse Frustration. Das ist genau, was wir brauchen: Ideal als Motor und Frustration, um das zu verbessern."
    Bislang konzentrieren sich die ausländischen En-Marche-Komitees wie in Berlin darauf, die politische Arbeit in der französischen Heimat zu unterstützen. Macron ist für seine Europareformen auf deutsche Zustimmung angewiesen. Aber Macrons Partei macht klar, dass sie über die französischen Landesgrenzen hinausdenkt. Und dieser Expansionskurs stößt vor allem bei konservativen deutschen Politikern auf Skepsis.
    "Ich glaube, dass die En-Marche-Bewegung eine französische bleibt."
    Florian Hahn ist europapolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Er glaubt, dass schon die sprachliche Barriere ein politisches Engagement über Staatsgrenzen hinweg schwierig machen wird, kann aber auch mit dem parteiübergreifenden Politikmodell von En Marche wenig anfangen, das die klassischen Parteien infrage stellt.
    "En Marche ist ja eine Bewegung, die in der Hauptsache Erfolg hat wegen ihres Bewegungsführers und das ist Macron. Das heißt, hier geht es weniger um die Frage: Was ist eigentlich En Marche, wofür steht En Marche inhaltlich? Da bin ich ganz konservativ und finde es gut, wie wir es in Deutschland haben, dass wir eigentlich wissen, welche Partei auch für welche Themen steht und die Parteien dann gute, qualifizierte Kandidaten aussuchen."
    Macron steht und gestikuliert am Redepult, im Hintergrund die EU-Außenbeauftragte Mogherini.
    Frankreichs Präsident Macron während seiner Grundsatzrede im Europäischen Parlament (AFP/Frederick FLORIN)
    Dass viele Politiker Macron heute skeptischer sehen, dürfte auch damit zusammenhängen, dass der im Europawahlkampf auf Konfrontation geht.
    Vielleicht geht der 13. Februar 2018 einmal in die Geschichte ein. Als der Tag, an dem die Stimmung kippte. Als der von vielen EU-Staaten gefasste Vorsatz, Emmanuel Macrons europapolitische Initiativen aufzugreifen, erste Risse bekam und fortan Zweifel und Blockade die Oberhand gewannen.
    An jenem Tag traf sich der französische Staatspräsident mit Vertretern der in Paris akkreditierten Presse zum Hintergrundgespräch. Und in dessen Verlauf erläuterte er, dass für ihn die EVP, also die europäische Parteienfamilie der Christdemokraten und Konservativen, keine europafreundliche Partei mehr sei. Weil sie Populisten und Nationalisten wie dem italienischen Ex-Premier Silvio Berlusconi und dem ungarischen Premier Victor Orban eine politische Heimat biete.
    Damit war klar: Macron wollte nicht nur das französische, sondern auch europäische Parteiensystem aus den Angeln heben. Und das konnte vor allem die EVP, die stärkste politische Kraft in der EU, nur als offene Kampfansage verstehen.
    Macron als Staatschef, der im Kreis der anderen Staats- und Regierungschefs die Zukunft Europas verhandelt: Kein Problem. Aber Macron als Parteiführer, der sich anschickt, seine eigenen Abgeordneten ins Europaparlament zu entsenden, um von dort aus die EU-Politik zu gestalten – das war den Etablierten dann doch zu viel. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok:
    "Also wir haben ja viel guten Willen gehabt, auch in Deutschland die Bundesregierung, dass die Ideen von Macron geeignet sind, Europa voranzubringen. Jetzt sehen wir allerdings, dass dies alles von Macron benutzt wird, eine eigene europäische Partei, eine Sammlungsbewegung auf die Beine zu stellen, um auf diese Art und Weise das den Nationalstaaten zu überstülpen. Dies ist dann eine Politik, die ihn allein ins Zentrum Europas bringt."

    Nicht nur die deutschen EVP-Abgeordneten springen seither anders um mit Macron, der Tonfall ihrer Stellungnamen, die sich auf den Chef des Elysée beziehen, ist immer öfter konfrontativ, von einer ausgestreckten Hand, die man ergreifen wolle, ist kaum noch etwas zu hören. Auch die anderen Parteien haben, soweit sie fürchten müssen, Wähler an Macrons "Europe en Marche" zu verlieren, auf Abwehr umgeschaltet. Und zwar vor allem in Deutschland, wie die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot beobachtet hat:
    "Macron wird mit diesem Bemühen, eine europäische Liste aufzustellen, natürlich zum Widersacher deutscher Parteien. Und da ist dann ein bisschen Schluss mit der deutsch-französischen Freundschaft."
    Anhänger von Macrons Partei "La Republique en Marche" jubeln über das Ergebnis der Parlamentswahl
    Anhänger von Macrons Partei "La Republique en Marche" jubeln über das Ergebnis der Parlamentswahl. (dpa / AP / Thibault Camus)
    Vibrationen in Brüssel
    Etwa ein halbes Jahr nach Macrons Wahl zum Staatspräsidenten, im Herbst 2017, waren die ersten Vibrationen in Brüssel zu spüren. In vielen Stadtteilen der Hauptstadt Europas wurden Ortsgruppen von "La République en Marche" gegründet, die von Anfang an den Blick auf die Europawahlen im Mai 2019 richteten. Und auch im Europaparlament schlugen die Seismographen aus. Einige wenige französische Abgeordnete schlugen sich offen auf Macrons Seite, nachdem sie ihre politische Heimat verloren hatten, weil ihre Parteien bei den französischen Wahlen pulverisiert worden waren. Gilles Pargneaux, ein sozialistischer Abgeordneter aus Frankreich, sammelte sogar Unterschriften unter den Parlamentariern zur Unterstützung des europapolitischen Kurses, den Macron in seiner Sorbonne-Rede skizziert hatte.
    "Ich höre doch, was sich bei den deutschen Christdemokraten tut. Ich höre doch, was sich bei den Sozialdemokraten in Europa tut. Überall gibt es Parteien oder Abgeordnete, die mit dem jungen französischen Präsidenten sympathisieren und sagen: Endlich gibt es da jemanden, der die Grenzen des Altbekannten überschreiten will."
    Zwar mochte kein Abgeordneter im Europaparlament seiner Partei, seiner Fraktion den Rücken kehren. Aber Macrons Ambitionen waren dennoch Top-Gesprächsthema in den Abgeordneten-Büros.
    Andererseits: Viele Parlamentarier reagieren auf Macrons Vorhaben, die EU weiterzuentwickeln und damit in die Offensive gegen die seit Jahren wachsenden Populisten und Nationalisten zu kommen, mit schierer Begeisterung. Zuletzt kam das zum Ausdruck, als Macron im April dem Europaparlament einen Besuch abstattete:
    Drei Stunden debattierte Macron mit den Abgeordneten. Über seinen Plan, die EU zu stärken, weil die Mitgliedsstaaten nur so in der globalisierten Welt ihre Souveränität bewahren könnten. Und darüber, dass nur so der Vormarsch der Illiberalen, der Autoritären innerhalb und außerhalb der EU gestoppt werden könne. Die Uneinigkeit innerhalb der EU, die ihn an einen Bürgerkrieg erinnere, müsse überwunden werden:
    "Ein Bürgerkrieg, in dem die nationalen Egoismen größer scheinen als das, was uns verbindet, und in dem die Faszination des Illiberalen mit jedem Tag wachse."
    Starke Fraktion im Straßburger Parlament
    Nahezu jeder im Plenarsaal wollte dem Hoffnungsträger aus Paris die Hand schütteln, aber das verdeckt, dass er mit seinen Initiativen auf der Ebene der Mitgliedsstaaten zunehmend ins Leere läuft. Die Idee der transnationalen Listen wurde unter deutscher Führung beerdigt. Und auch bei der Reform der Eurozone, beim Umbau des EU-Budgets, bei der Besteuerung der Internetkonzerne bleibt die Unterstützung aus, die sich der französische Staatspräsident vor allem von Deutschland erhofft hatte.
    Noch hat Macron nicht aufgegeben. Unverdrossen versucht er, seine "En Marche"-Bewegung europaweit aufzustellen, damit er sich nach den Europawahlen im kommenden Jahr auf eine starke Fraktion im Straßburger Parlament stützen kann.
    Dafür gibt es eine formale Hürde: Wer eine Fraktion im Europaparlament gründen will, muss über mindesten 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedsstaaten verfügen. Allein in Frankreich, so schätzen Experten, wird "En Marche" mindestens 30 Mandate gewinnen. Deshalb wäre es für die Fraktionsbildung ausreichend, wenn Macron in einigen Mitgliedsstaaten kleinere Parteien oder Einzelkandidaten für ein Bündnis gewinnt. Unter anderem in Holland, Tschechien, Rumänien und Ungarn will er deshalb mit en Marche die vorbehaltlos pro-europäischen Kräfte binden.
    Für eine echte Machtbasis in Straßburg wäre das aber noch nicht ausreichend. Deshalb gibt es auch Gespräche mit stärkeren Partnern, wie der liberalen Partei Ciudadanos in Spanien und wohl auch mit Matteo Renzi von den italienischen Sozialdemokraten. Führen diese Verhandlungen zu einem Ergebnis, halten es Beobachter für möglich, dass sich Macron auf 70, vielleicht gar 100 Abgeordnete im nächsten Europaparlament wird stützen können. Offen wird auch darüber spekuliert, dass er "ALDE", die Fraktion der Liberalen, spaltet und einen Teil für sich gewinnt. Dann wäre Macron in einer Position, dass wichtige Weichenstellungen wie die Wahl des Kommissionspräsidenten nicht mehr ohne ihn vorgenommen werden könnten. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot:
    "Die Dinge in Europa brennen wirklich. Und Macron ist wahrscheinlich die letzte und die einzige Karte, die bleibt, um Europa neu und anders zu gestalten."