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Der automatische Chipskrachtester

Technik. - Rheologie ist die Wissenschaft vom Fließen eines Stoffes - und im weiteren Sinn auch seiner Verformung. Greifbarer wird der Begriff, handel es sich bei der so untersuchten Substanz etwa um leckere Kartoffelchips. Ihnen verhilft Rheologie zu appetitlichem Biss.

Von Mathias Schulenburg |
    Das sind Kartoffelchips. Wer denkt, der Krach sei Zufall oder liege in der Natur der Kartoffel, irrt, das Geräusch ist vielmehr das sorgfältige Kalkül so genannter Nahrungsmittelrheologen. Die wollen damit die Lust des Kunden an der Zerstörung befriedigen, weshalb Chipstüten in der Regel ganz bewusst keine gekerbten Kanten haben, an denen man sie leicht öffnen könnte - man soll schon reißen und den auch durch das wehrhaft-wütende Knistern aufgestauten Groll schließlich am Inhalt auslassen, indem man ihn schnellstmöglich aufisst.

    Den bekannten Chipskrach kriegen die billigen Sorten, die weniger mit Geschmack überzeugen können, durch hohe Anteile von hartem Fett hin. Wenn der Verbund von Kartoffelpulver, Stärke und Fett schließlich doch unter dem Gebissdruck nachgibt, kommt es zu einem plötzlichen Versagen der Struktur, sie bricht und kracht. In diesem Krach, sagt Malcolm Povey, Professor an der University of Leeds, sind jetzt ganz neue nutzbare Komponenten gefunden worden:

    "Wir haben entdeckt, dass als knusprig empfundene Lebensmittel ganz bestimmte Impulse abgeben, in denen alle möglichen Frequenzen bis zu hundert Kilohertz stecken, also eine Menge Ultraschall."

    Das Bruchverhalten von Chips wird offenbar ebenso eingehend erforscht wie das von Hightech-Materialien - der mit den detaillierten Kenntnissen erzielbare Mehrgewinn scheint den Aufwand wert zu sein. Und so bricht ein Chip:

    "Diese knusprigen Lebensmittel werden durch Rissbildung zerlegt. Die Risse entstehen an der Oberfläche, wandern mit Schallgeschwindigkeit ins Innere und werden, wenn man eine Proteinmasse mit Stärkekörnchen hat, an den Stärkekörnchen gestoppt. Neue Spannungen bauen sich auf, neue Risse entstehen und so weiter, und dabei entstehen Schallimpulse mit einem breiten Frequenzspektrum. Und unser Hörsystem kann diese Impulse wahrnehmen und deuten."

    Den Nutzen seiner Forschung für Knusperproduzenten sieht Professor Povey unter anderem in einer verbesserten Prozesstechnik:

    "Nun, das heißt, der Hersteller kann den Knusprigkeitsgrad seiner Produkte ohne ausgebildete Testpersonen überwachen. Und wenn sich etwas ändert, während des Herstellungsprozesses korrigierend eingreifen."

    Bleibt zu hoffen, dass die Technik des Antischalls, mit dem sich störende Geräusche ausblenden lassen, nun endlich auch im Haushalt nutzbare Fortschritte macht, denn Kaugeräusche selbst geschätzter Personen, geben wir es zu, können extrem auf die Nerven gehen, ein Apfel kann die Hölle sein. Dann muss man zum Abreagieren wieder eine Chipstüte aufreißen – alles Kalkül.