Archiv


"Der Ball liegt jetzt bei CDU und FDP"

Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende bescheinigt der Regierung Politikversagen. Offenbar habe man keinen großen Respekt vor dem Karlsruher Gericht, so Kuhn. Als neue Kompromiss-Variante ist jetzt die zweistufige Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes im Gespräch.

Fritz Kuhn im Gespräch mit Gerd Breker | 18.02.2011
    Gerd Breker: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat den Kompromissvorschlag der Länder zur Hartz-IV-Reform gegen Kritik von Union und FDP im Bund verteidigt und Einigungswillen angemahnt. Er warnt Union und FDP davor, mit neuem Streit über die Hartz-Reform das Ansehen der Politik aufs Spiel zu setzen. Derweil ist ihm Thüringens Ministerpräsident zur Seite gesprungen und möglicherweise tut sich ein Ausweg auf, der die Überschrift trägt "Zwei-Stufen-Modell". Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Kuhn. Guten Tag, Herr Kuhn.

    Fritz Kuhn: Guten Tag! Ich will erst mal sagen, mit dem stellvertretenden Vorsitzenden.

    Breker: Okay, wenn das wichtig ist. Aber kommen wir zu den Dingen, die die Menschen in diesem Lande wirklich interessiert. Ud das ist die Berechnung von Hartz IV, die Neuberechnung, die das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat. Die ist schon lange überfällig und liegt immer noch nicht vor. Das ist doch eine Art von Politikversagen.

    Kuhn: Es ist ein Politikversagen, aber ein Politikversagen der amtierenden Regierung. Die Frau von der Leyen hat sich so lange Zeit gelassen. Sie hat in den Verhandlungen - jetzt seit sieben Wochen hat die CDU und die FDP sich nie einigen können, was sie eigentlich wollen, und das, was Sie in dem Stück von Gerhard Schröder gerade gebracht haben, zeigt ja, dass Schwarz-Gelb sich nicht mal auf einen Vorschlag für Sonntag bislang einigen kann. Und deswegen, wenn Sie von Politikversagen reden wollen, dann müssen Sie das klar an die Kanzlerin, den Herrn Kauder, die Frau von der Leyen und die FDP adressieren.

    Breker: Was sagt denn das über deren Verständnis von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts aus?

    Kuhn: Also ich habe mich sowieso die ganze Zeit gefragt, wenn im Februar 2010 ein Urteil kommt, das relativ klar ist und sagt, die Regelsätze müssen transparent sein. Und sie müssen stets das Existenzminimum in Menschenwürde sichern, dass man dann mit solchen Methoden, wie es die Frau von der Leyen gemacht hat, operiert. Man hat offensichtlich keinen großen Respekt gegenüber dem Karlsruher Gericht gezeigt, und das ist ein Fehler, denn es ist das höchste Gericht, das wir in Deutschland haben und das über unsere Verfassung wacht.

    Breker: Herr Kuhn, wenn Sie den Vorschlag der drei Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Bayern und Rheinland-Pfalz zu bewerten hätten, wie ist Ihr Urteil?

    Kuhn: Also er bringt natürlich Bewegung in die Diskussion und man kann sicher darüber reden. Ich würde mir wünschen, dass man stärker Maßnahmen nehmen würde, die die Verfassungskonformität stabiler darstellen würden, weil das Verfassungsgericht hat ja zum Beispiel gesagt, man muss Zirkelschlüsse vermeiden. Und deswegen ist die Frage, ob die Aufstocker und die verdeckten Armen nicht rauszurechnen wären, natürlich schon rechtsrelevant. Aber an dem Vorschlag finde ich gut, dass er Bewegung zeigt und nicht Sturheit und Bockigkeit, wie es Frau Merkel und Frau von der Leyen immer gezeigt haben bislang.

    Breker: Es scheint ja letztendlich um drei Euro mehr zu gehen, so klingt es zumindest im Moment. Wenn nun von Regierungsseite gesagt wird, das können wir nicht leisten, wenn der Finanzminister sagt, das gibt die Kassenlage nicht her, dann verstärkt das ja eigentlich den Eindruck, es geht hier nicht um Transparenz, sondern es geht um die Kassenlage des Bundes.

    Kuhn: Also ich muss Ihnen dazu sagen, diese schwarz-gelbe Regierung hat innerhalb eines Nachmittags für die Hoteliers die Mehrwertsteuer gesenkt, und das macht eine Milliarde jährlich aus. Dann verstehe ich nicht, warum man wochen- und monatelang, wenn es um Arbeitslose geht, diese Zickigkeit an den Tag legen muss, wie das Schwarz-Gelb gemacht hat. Das heißt im Klartext, dahinter stecken Wertentscheidungen und man kann nicht so tun, auf der einen Seite ist das Geld da, wenn es um Steuergeschenke für Lobbyisten geht, und auf der anderen Seite ist es nicht da, wenn es um Arbeitslose geht. Das ist das, was mich eigentlich an Schwarz und Gelb an der Stelle so empört.

    Breker: Ganz eklatant war ja die Kritik des Verfassungsgerichts an der Berechnung für die Kinder. Dem soll ein Bildungspaket Abhilfe schaffen. Nur Fakt ist: Statt am 1.1.2011, kommt dieses Bildungspaket für Kinder irgendwann am Sankt Nimmerleinstag, wenn alle Wahlen vorbei sind.

    Kuhn: Ja. Wenn es am Sonntag gut geht, dann kommt es ja bald. Übrigens die Kinder haben einen Rechtsanspruch ab 1.1.2011 und können sich auch Hilfeleistung über ihre Eltern einklagen. Was bei dem Bildungspaket wichtig ist, dass wir wenigstens es bislang geschafft haben, Grün und Rot, die Frau von der Leyen von der Schnapsidee loszubringen, dass das die Jobcenter verwalten sollen. Jetzt werden es die Gemeinden machen, und sie kriegen auch spitz abgerechnet die Mittel dafür vom Bund. Das ist das Positivste, was man aus den langen Verhandlungen bisher sagen kann. Da hat man eine bürokratische, seltsame Gutscheinlösung aufgegeben und jetzt kommt es dahin, wo die Gemeinden sind, wo auch mehr Sachverstand da ist.

    Breker: Und für Sonntag sind Sie zuversichtlich, Herr Kuhn?

    Kuhn: Nein, bislang nicht, denn wenn die CDU und die FDP nicht mit einem gemeinsamen Vorschlag kommen, dann hat es kaum einen Sinn. Also, wenn man da wieder dasitzt und sie wissen nicht, was sie wollen, und blockieren aber das, was die Ministerpräsidenten sagen oder die Opposition, dann ist der Termin schwierig. Also der Ball liegt jetzt wirklich bei CDU und FDP, mal das Blockieren aufzugeben.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Kuhn. Herr Kuhn, danke für dieses Gespräch.

    Kuhn: Ich danke Ihnen!

    Mehr zur Hartz-IV-Debatte:
    Kommentar vom 12. Februar 2011: "Hartz IV - Tage des Zorns"
    Kommentar vom 17. Februar 2011: "Fünf Euro und keinen Cent mehr!
    Zur Bauchlandung der Ministerpräsidenten bei Hartz IV"