"Wir alle kennen Richard Kiel, den Beißer aus James Bond, den kennen viele Menschen."
In dieser Geschichte geht es nicht um den Schauspieler Richard Kiel, den die Ärztin Prof. Dagmar Führer erwähnt. Auch nicht um James Bond, aber um eine junge Frau, deren Fall auf bizarre Weise Berührungspunkte mit jener Filmfigur des "Beißers" aus zwei Bond-Streifen hat. Doch der Reihe nach.
Irina Weber ist 32, als ihre Beschwerden anfangen: "Es fing mit normalen Kopfschmerzen an, was für mich total ungewöhnlich war, weil ich davor nie Kopfschmerzen hatte."
Die dreifache Mutter macht sich zunächst wenig Sorgen. Doch es hört nicht auf: "Man macht sich dann schon Gedanken, ist das auch wirklich normal, dass man dann pro Woche ein-, zweimal die Kopfschmerzen hat, manchmal auch dreimal?"
Auch ihr Mann Waldemar beobachtet, dass es seiner Frau langsam schlechter geht: "Die kamen ja auch so plötzlich, mehr oder weniger. Aber dann wurde es immer häufiger und häufiger, dann fing es mit Schmerzmitteln an, das steigerte sich."
Unerträgliche Kopfschmerzen, taube Finger, Verspannungen
Zu allem Überfluss bekommt sie auch noch Probleme mit der rechten Hand: "Meine rechte Hand wurde an den Fingern immer so kribbelig, die Finger wurden taub, dann war für mich der Punkt erreicht, wo ich sagte: Ok, jetzt müsstest du doch vielleicht mal zum Arzt gehen."
Ihr Hausarzt tippt auf das sogenannte Karpaltunnel-Syndrom. Ein eingeklemmter Nerv im Handgelenk. Da helfe nur eine OP. Und der Kopfschmerz? Der sei bestimmt ein verspannter Nacken, sagt der Arzt. Und verschreibt Krankengymnastik.
"Der Karpaltunnel wurde dann aber auch operiert, Kopfschmerzen blieben." Die Hand ist wieder ok. Der angeblich verspannte Nacken wird nun erstmals per MRT untersucht. "Ergebnis: Sie haben einen Bandscheibenvorfall."
Viele Therapieversuche – alle vergeblich
Damit ist wenigstens klar, was es ist, denkt Irina Weber. Es folgen mehrere Therapieversuche, Akupunktur, wieder Medikamente. Doch alles vergeblich. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit gewesen, mal etwas genauer nachzuforschen, sagt Dagmar Führer von der Uniklinik Essen. Sie wird Irina Weber sechs Jahre später behandeln, zu einem Zeitpunkt, als die junge Frau der völligen Verzweiflung nahe ist.
"Das Entscheidende ist, dass es bei den Kopfschmerzen ja nicht so ganz geblieben ist bei der Patientin. Und dass man dem nachgehen muss, wenn das nicht besser wird. Eine junge Frau, die Therapie hat nicht richtig angesprochen, da muss man sagen: Da passt was nicht ganz."
Doch das ärztliche Nachforschen bleibt aus. Der Hausarzt greift bei Irinas nächstem Besuch wie gehabt zum Rezeptblock. Jetzt nähert er sich allerdings den letzten Reserven der Schmerzmedizin: Er verschreibt ein Opioid.
"Hat auch gewirkt, da war ich aber selber als Person fertig. Ich war wie benebelt. Wenn ich die Tablette genommen habe, ich war wie ausgeschaltet."
Irina will sich nicht mit ihrem Zustand zufrieden geben, sucht nacheinander eine Rückenklinik in Bochum, dann einen Neurologen auf. Den Ärzten fällt nichts Neues ein. Der Druckschmerz im Kopf zieht mittlerweile über das Gesicht, über den Hals. Sie kann nachts kaum noch schlafen, der Schmerz hat sich wie ein dicker Schleier über ihr ganzes Leben gelegt. Und sie stellt merkwürdige Veränderungen an sich fest, vor allem an den Händen: "Meine Hände schwellen an, mein Ehering passt nicht mehr."
Es folgt eine Untersuchung auf Rheuma – ohne Ergebnis. Es ist Januar 2014. Eine Freundin gibt ihr schließlich einen Tipp. Sie kenne eine gute Orthopädin. Die verfolge auch alternative Ansätze.
"Und dann sagte sie zu mir: Frau Weber, ich schicke sie mal zum Neurologen, da soll endlich mal ihr Schädel untersucht werden. Da dachte ich nur: Das kann nicht wahr sein, jetzt endlich mal."
Entscheidende Diagnose viel zu spät
Fast sieben Jahren nach dem Beginn ihrer Schmerzen folgen jetzt die entscheidenden Diagnoseschritte. Viel zu spät, sagt Dagmar Führer.
"Was ganz besonders traurig ist, dass so spät eine Bildgebung vom Kopf gemacht wurde bei jemand, der so lange Kopfschmerzen hat – wir sind in Deutschland ja sonst sehr forsch mit Diagnostik. Was aber noch trauriger ist: Dass zu dem Zeitpunkt immer noch niemand an die eigentliche Diagnose gedacht hat, die eine Blickdiagnose übrigens ist bei der Patientin. Der Ehering, der geweitet werden muss, die Handschuhe, die nicht mehr passen, das Karpaltunnelsyndrom, die Kopfschmerzen – das ist das Krankheitsbild."
Statt einfach mal mit offenen Augen zu schauen macht der Radiologe, an den Irina Weber überwiesen wird, die angekündigte Schädel-Tomographie. Der Arzt ruft sie zu sich.
"Ja Frau Weber, sie haben ein Hypophysenmakroadenom. Und ich fragte: Was ist das? Ja, das wird ihnen ihr Arzt schon erklären. Ich weiß nicht, wie ich an dem Tag nach Hause gekommen bin, es hat sich alles gedreht. Im Nachhinein denke ich mir: Ich kenne meinen Körper, ich wußte immer, dass mit mir was nicht stimmt."
Gutartiger Tumor mit drastischen Folgen
Ein Adenom, ein gutartiger Tumor der Hirnanhangdrüse. Er produziert Wachstumshormone im Überfluss. Eine seltene, aber dennoch in Fachkreisen recht berühmte Erkrankung namens Akromegalie.
"Ein Beispiel, das wir auch den Studenten immer sagen, ist die Geschichte von David und Goliath, der Goliath, der Riese, hat mit großer Wahrscheinlichkeit eine Akromegalie gehabt."
Und jetzt kommt auch wieder James Bond ins Spiel: "Wir alle kennen Richard Kiel, den Beißer aus James Bond, den kennen viele Menschen, das ist die Akromegalie. "
Nach der OP: Der Druck ist fort, der Kopf wieder frei
Der über zwei Meter große Mann aus "Der Spion, der mich liebte" und "Moonraker" hatte die gleiche Erkrankung wie Irina Weber. Und die hat drastische Folgen: Kopfschmerz, Karpaltunnelsyndrom, Wachstum von Knochen, Organen, von Weichteilgewebe an Händen, Füßen, Nase, Ohren. Zum Glück folgt jetzt sofort die Therapie - in der Uniklinik Essen bei der Endokrinologin Dagmar Führer. Das Adenom, der hormonproduzierende Tumor, wird Irina dort in einer Operation entfernt. Das ist gerade mal zwei Wochen her. Aber klar ist jetzt schon: Die OP markiert das Ende der langen Leidensgeschichte. Nie wird Irina das Gefühl vergessen, als sie aus der Operation aufwacht.
"Dein Kopf ist so frei. Da stimmt was nicht, das Gefühl kennst du schon seit Jahren nicht mehr, dass da kein Druck ist. Du bist vom Kopf her schmerzfrei."
Der gutartige Tumor ist weitgehend entfernt, sie muss aber weiter Medikamente nehmen. Dennoch kann Irina Weber zuversichtlich sein, dass sie von jetzt an ein ganz normales Leben führen kann, vor allem ohne diese unerträglichen Kopfschmerzen.
"Irgendwo bin ich auch stolz, dass ich nicht aufgeben habe, dass ich trotzdem weiter zu den Ärzten gegangen bin und neue aufgesucht habe und immer wieder meine Geschichte erzählt habe, und dass ich nicht auf deutsch gesagt bekloppt bin."