"Ich war im Skiurlaub, mir ging es bestens, auf dem Rückweg haben wir noch Halt gemacht in Hessen zum Geburtstag."
Für Jasmin Richter scheint es der perfekte Ausklang eines schön Urlaubs: Freunde treffen und ein ausgiebiges und sehr gutes Essen genießen. Doch im Laufe des Abends bekommt sie Bauchschmerzen.
"Und dann in der Nacht habe ich angefangen, mich zu übergeben. Aber nicht normal, sondern ständig, kontinuierlich und konnte auch nur vom Essen kommen eigentlich oder von einem Infekt, den man sich geholt hat."
So eine Übelkeit hat sie noch nicht erlebt. Es geht ihr so schlecht, dass an eine Rückfahrt im Auto nicht zu denken ist. Sie bleibt daher bei den Freunden und schleppt sich dort am nächsten Tag zu einem Hausarzt. Er vermutet einen Infekt.
"Ich hatte dann vom Arzt ein Mittel gegen Übelkeit bekommen, was in der Apotheke erhältlich ist und damit war ganz leichte Besserung, so dass ich transportfähig war."
Sie fährt mit ihrem Mann nach Hause. Doch schon in der nächsten Nacht kommt die Übelkeit zurück. Sie muss sich wieder heftig übergeben. Und sie ahnt langsam, dass das keine normale Magen-Darm-Infektion sein kann.
"Weil ich auch davor in Thailand war kurz vor Weihnachten und dort drei Wochen unterwegs war und sechs Wochen kann ja schon mal eine Inkubationszeit sein, man fängt dann ja an, zu recherchieren und sich Gedanken zu machen."
Umfangreiche Blutanalysen notwendig
Kann es eine Art Tropenkrankheit sein? Die 37-Jährige sucht ihre Hausärztin auf. Auch sie vermutet eine Infektion. Wegen der Schwere der Symptome überweist sie sie sofort ins Krankenhaus.
"Dass Übelkeit ein ganz allgemeines Symptom bei einer Vielzahl unterschiedlicher internistischer als auch neurologischer Erkrankungen ist, ist in dem Moment - eine junge 37jährige Frau - bestimmt nicht der erste Gedanke, auf den man kommt."
Prof. Rainer Haas von der Universitätsklinik Düsseldorf kann verstehen, dass die Ärztekollegen zunächst das Naheliegende vermuten, wie auch Jasmin Richter selbst: vor der Übelkeit gab es reichliches Essen, nicht lange davor eine Fernreise – das sieht alles nach einer Magen-Darm-Infektion aus. Schlimmstenfalls eine exotische Variante. Doch sie alle sollen falsch liegen. Das stellt sich schon bald in der Klinikambulanz heraus, die Jasmin Richter inzwischen aufgesucht hat.
"Mit einem Mal standen ganz viele Ärzte um mich rum wo ich dachte: Mhhh, das hast du glaube ich nicht gebucht für normale Übelkeit."
Die Ärzte halten das Ergebnis der schnell veranlassten Blutanalyse in den Händen. Von Infektion keine Spur. Aber dennoch ist der Befund unerwartet eindeutig. Jasmin Richters Nieren versagen beide ihren Dienst.
"Die haben mich da behalten und dann war ich ratz fatz auf der Intensivstation."
Und innerhalb weniger Stunden wird die 37-Jährige in die Uniklinik Düsseldorf verlegt. Dort trifft sie zum ersten Mal auf Rainer Haas. Ihm ist klar: Die Ursache für diese fatalen Probleme müssen schnell gefunden werden. Eine neue, umfangreiche Blutanalyse soll helfen. Bald liegt das Ergebnis vor.
"Und dabei war dann ein Wert, eine Eiweißveränderung relativ klar, die dann die Diagnose für dieses Nierenversagen lieferte."
Ein ganz besonderes Eiweiß hat Jasmin Richters Blut überschwemmt. Und zwar in so großen Mengen, dass die Nieren praktisch verstopfen. Rainer Haas kennt dieses Eiweiß: Es stammt aus dem Knochenmark. Es wird dort nur in einem Fall produziert: wenn Krebszellen die Knochen befallen haben.
"In der Tat: Ausgangspunkt Befall des Knochenmarks und auch der Knochen. Nicht nur des Markes, sondern auch der Stabilität und Halt gebenden harten Strukturen."
Krebs-Eiweiß aus dem Knochenmark im Blut
Damit ist die Ursache für das Nierenversagen gefunden. Und gleichzeitig klar: Jasmin Richter hat Knochenkrebs, genauer: ein multiples Myelom. Der zweite Schock innerhalb weniger Stunden.
"Das muss man auch erst mal verarbeiten. Also primär musste die Niere angegangen werden mit der glücklichen Begebenheit, dass man hier einen entsprechenden Filter hatte und somit über knapp zwei Wochen sieben Stunden pro Tag an eine Dialysemaschine geheftet ist, wo man weiß: Das rettet einem gerade das Leben."
Sie hat Glück im Unglück: Die Uniklinik verfügt über ein neues, sehr wirksames Dialyseverfahren. Die Ärzte sind dennoch offen zu ihr: Die Chancen, dass ihre Nieren gerettet werden können, stehen schlecht. Sie können jetzt nur so gut wie möglich versuchen, das schädliche Krebs-Eiweiß aus dem Blut zu filtern und dann schauen, ob die Nieren vielleicht doch wieder anspringen.
"Dann kam der spannende Moment, wo man dann entschieden hat: Ok, insgesamt ist das Blut so weit gereinigt worden, um zu sagen: Ok, jetzt versuchen wir es mal: Auslastversuch."
Die Dialyse wird eingestellt. Zur Sicherheit legen die Ärzte aber auch direkt einen OP-Termin fest, um einen festen Gefäßzugang zu legen. Sollten die Nieren nicht ihren Dienst aufnehmen, ist das der künftige Anschluss für die Dialyse. Und zwar auf Dauer.
"Somit habe ich jeden Tag auf das Blutbild gebibbert und gehofft, gemeinsam glaube ich mit den Ärzten, dass sich da irgendwas tut. Und dann einen Tag, bevor die OP anstand, haben die Nieren kleine Schritte gemacht. Das war das tollste Gefühl überhaupt."
Dennoch: Nur ein Etappensieg. Denn jetzt steht sofort die nächste Therapie an: Eine Chemo gegen den Knochenkrebs.
"Und das haben wir dann auch getan, weil ja in der Tat man ja das Problem an der Wurzel anpacken muss und die Wurzel sind die bösartigen Zellen im Knochenmark mit der fatalen Produktion dieses die Niere schädigenden Eiweißes."
Wieder hat Jasmin Richter Glück: Die Chemo schlägt ungewöhnlich gut an. Drei Monate ist es nun her, dass sie die vorläufig letzte Therapierunde durchlaufen hat. Ihr geht es gut, sie ist wieder bei Kräften. Allerdings: Sie ist nicht geheilt, der Krebs nicht endgültig besiegt.
Aber dass ihren Nieren sich wieder komplett erholen und dass die Chemo so optimal anschlägt – darauf hätte keiner ihrer Ärzte gewettet. Und all das ist Grund genug für sie, optimistisch zu bleiben.
"Das macht riesig Spaß, wieder arbeiten zu gehen, nach vorne zu blicken, es funktioniert wieder."