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Der besondere Fall
Lymphom im Auge

Abnehmende Sehschärfe, alles wie in den Nebel getaucht. Christiane H. vermutet eine Augenentzündung, erst Jahre später wird sie erfahren, dass hinter den eher harmlosen Symptomen eine lebensbedrohliche Krankheit steckt.

Von Thomas Liesen |
    Eine Augenoperation am Primorje-Zentrum für Augenmikrochirurgie in Wladiwostok.
    Christa Handke musste lange auf den entscheidenden Diagnoseerfolg warten (picture alliance / dpa / Vitaliy Ankov)
    "Ich habe gedacht, ich habe eine Augenentzündung oder irgendwas und bin dann mal zum Augenarzt."
    Es ist Sommer 2007. Christa Handke bemerkt, dass etwas mit ihrem linken Auge nicht stimmt. Die Sehschärfe scheint ein wenig abzunehmen. Aber nicht nur das. Alles ist wie durch einen Nebelschleier verhüllt. Sie ahnt nicht, dass hinter den eher harmlosen Symptomen eine lebensbedrohliche Krankheit steckt. Und dass es Jahre dauern wird, bis genau das erkannt wird. Ihr Arzt sagt zunächst: Es ist wohl tatsächlich eine Entzündung.
    "Und dann bekam ich Cortisontropfen, von mal zu mal ist es aber dann nicht besser geworden. Dann bin ich immer so alle vier, fünf Wochen wieder zum Augenarzt, irgendwann hieß es dann: eine Uveitis."
    "Man kann das ganz lapidar bezeichnen mit Rheuma im Auge. Und die Uvea, das heißt auf deutsch die Aderhaut, das ist die mittlere Gewebeschicht des Auges, die ist entzündet."
    Dr. Steffen Schmitz-Valckenberg, Universitäts-Augenklinik Bonn. Er kennt ihren Fall genau. Doch die damals 47-Jährige sucht zunächst weiter ihren Augenarzt in Trier auf, nimmt fleißig ihre Cortisontropfen.
    "Und das ging dann so zwei, drei Jahre, immer in dem Schritt."
    Im Frühjahr 2010 hat sich die Sehkraft auf dem linken Auge mittlerweile deutlich verschlechtert. Christa Handke arbeitet als Verkäuferin in einer Metzgerei und ist froh, dass sie wenigstens mit ihrem rechten Auge noch einwandfrei die Gesichter der Kunden erkennen kann. Und die Zahlen, die sie in die Kasse tippen muss.
    Doch dann eines Tages der Schock: Mit dem rechten Auge scheint es ebenfalls los zu gehen. Auch da plötzlich leichter Nebel. Ihr Arzt veranlasst jetzt eine Magnetresonanztomographie des Kopfes. Sitzt vielleicht irgendwo ein Tumor, genauer ein Lymphom? Ein solcher Krebs kann in seltene Fällen das Gehirn befallen und ähnliche Sehstörungen hervorrufen. Doch wieder Fehlanzeige.
    "Da wird man dann schon ein bisschen depressiv, ein bisschen. Aber daheim wird man dann wieder aufgebaut und von Freunden. Dann denkt man: Nein, du musst dich da durchkämpfen. "
    Weitere Arztbesuche folgen. Bevor dann tatsächlich die entscheidenden Diagnoseschritte gemacht werden, hat Christa Handke noch einen weiteren Schlag zu verkraften: Sie muss ihre Arbeit in der Fleischerei aufgeben. Dabei weiß sie immer noch nicht, was eigentlich mit ihren Augen los ist.
    "Ich habe ja die Kunden nicht mehr erkannt, ich konnte nichts mehr an der Kasse abgelesen, dann habe ich halt aufgehört. Ging nicht mehr. Autofahren konnte ich auch nicht mehr."
    Doch mittlerweile hat sich sogar ein überregionales Ärzteteam zusammen geschlossen, um der Sache auf den Grund zu gehen - endlich: Ärzte der Uniklinik Tübingen und der Universitäts-Augenklinik Bonn, unter ihnen Steffen Schmitz-Valckenberg. Sie schlagen einen radikalen Schritt vor: Die Entfernung des Glaskörpers aus dem linken Auge. Sie hoffen, er liefert den entscheidenden Hinweis auf die Ursache ihrer Probleme.
    Erst eine Operation bringt neue Erkenntnisse
    "Das ist eine richtige Augenoperation, der Glaskörper ist eine gelartige Masse im Auge, der im Endeffekt für die Entwicklung des Auges sehr wichtig ist, aber im späteren Leben eigentlich keine wesentliche Bedeutung hat, kann man also ohne Weiteres entfernen und dieses Material wird dann aufbereitet."
    Christa Handke ist unter Vollnarkose. Steffen Schmitz-Valckenberg setzt mit einem Skalpell seitlich am Auge einen kleinen Schnitt. Er führt eine röhrenförmiges Spezialinstrument ins Auge. Vorsichtig zerschneidet er damit den gelartigen Glaskörper. Über eine Art Kanüle saugt er nach und nach die so entstandenen Fragmente heraus. Schließlich liegt die gesamte gallertartige Masse in einer OP-Schale. Er teilt sie zum Schluss in mehrere Portionen.
    " Das Auge ist ja relativ klein. Das Auge wiegt, um mal eine Idee zu geben, sieben Gramm, bei 70 Kilogramm Körpergewicht ist das ein Zehntausendstel, das ist relativ wenig und das muss man dann versuchen, möglichst zielgerichtet zu untersuchen."
    Eine Probe wird im Labor auf Keime untersucht. Eine weitere schickt der Arzt zum Pathologen. Er soll nach verdächtigen Zellen suchen. Und tatsächlich entdeckt er endlich die entscheidende Ursache: Entarte weiße Blutkörperchen durchsetzen den Glaskörper.
    Damit ist klar: Christa Handke hat ein sogenanntes okkuläres Lymphom – ein extrem seltener Krebs. Keine gute Nachricht. Aber wenigstens endlich eine eindeutige Diagnose.
    "Und dann konnte man zielgerichtet die Behandlung beginnen."
    Sagt Steffen Schmitz-Valckenberg. Allerdings: Die Krankheit ist so selten, es gibt so gut wie keine Studiendaten über wirksame Therapien. Die erste Behandlung ist daher nichts als ein Versuch. Christa Handke erhält eine Chemotherapie.
    "Die Chemo hat ja eigentlich gewirkt, aber nur am Anfang."
    Daher kurz darauf ein zweiter Versuch: Ein neues Medikament speziell gegen Lymphome. Es sind Antikörper, zugelassen für eine Injektion in die Blutbahn. Doch Steffen Schmitz-Valckenberg spritzt es direkt in Christa Handkes Augen.
    "Da gibt es einzelne Fallberichte, dass das wirken könnte, es ist ein sehr teures Medikament, hat aber in diesem Fall nicht gewirkt."
    Das bedeutet: dritter Versuch.
    "Dann sind wir auf ein anderes Chemotherapeutikum gegangen, das schon länger bekannt ist, Methotrexat – und damit haben wir dann Erfolg gehabt."
    Endlich. Sage und schreibe sechs Jahre nach Ausbruch der Krankheit ein Lichtblick für Christa Handke. Und für ihren Arzt.
    " Natürlich lebt man da mit mit so einem Fall und natürlich fällt uns dann auch ein Stein vom Herzen, wenn wir sehen, dass die Strategie dann auch wirkt."
    Trotzdem nur ein Teilerfolg. Denn nach der Entfernung des linken Glaskörpers wird deutlich, dass das Auge schon massiv geschädigt ist. Christa Handke verbleiben dort zehn Prozent Sehkraft. Sie hat daher umso mehr Angst um das andere Auge, lehnt es daher auch ab, dort den Glaskörper ebenfalls zu entfernen.
    "Wenn man nur noch ein Auge hat, wo man sieht, ist das schon tragisch, würde ich jetzt sagen. Wenn man dann irgendwann nix mehr sieht. Man versucht ja, so lange wie es ein bisschen geht, mit der Sehkraft zurecht zu kommen."
    Aber immerhin: Sie hat beim Kampf gegen ihr Lymphom zumindest einen wichtigen Etappensieg errungen. Ohne Krebsmedikamente wird sie aber nicht leben können.
    "Wir haben auf alle Fälle das das schnelle Voranschreiten gestoppt und das werten wir im Endeffekt als ein sehr gutes Zeichen."