Damit hat Theo Grosdoulis, Sohn einer Deutschen und eines Griechen, nun wirklich nicht gerechnet. An einem Donnerstag im Spätsommer 2016 fährt der kaufmännische Angestellte wie üblich durch die Dortmunder Innenstadt zur Arbeit und hat plötzlich das ungute Gefühl: Irgendetwas stimmt nicht.
"Plötzlich hatte ich keine Spucke mehr im Mund."
Seine Mundschleimhäute trocknen aus – mit weitreichenden Folgen.
"Ich konnte nicht richtig essen, ich musste die Sachen, die ich zu mir genommen habe, eintunken in Kaffee, Tee oder mit Wasser zu mir nehmen, das Sprechen fällt einem dann schwer ohne Spucke, das Schlucken fällt einem schwer, Husten, alles ist kaum noch zu ertragen."
Unsicherheit macht sie breit beim 50-Jährigen, zumal er noch weitere Leiden hat: Er ist Diabetiker, er wiegt 170 Kilogramm und mit seinen Beinen stimmt auch etwas nicht.
"Da hatte ich eine Entzündung in den Beinen oberflächlich auf der Haut, weil ich ja auch als Diabetiker dazu neige, mit den Beinen Probleme zu haben."
Kein Speichel im Mund, zuckerkrank, entzündete Beine – als ob das nicht schlimm genug ist, verliert er innerhalb weniger Wochen dramatisch an Gewicht.
"Ich habe 42 Kilo abgenommen."
Spätestens jetzt schrillen alle Alarmglocken: 42 Kilogramm ungewollter Gewichtsverlust sei hochgradig bedenklich, so Privatdozent Dr. Bernhard Schaaf, Direktor der Medizinischen Klinik Nord im Klinikum Dortmund.
"Einmal gibt es Patienten, die haben eine Krebserkrankung und durch die Krebserkrankung kommt es zum Gewichtsverlust; dann gibt es chronische Infektionskrankheiten, das klassische ist die Tuberkulose, die hieß früher ja auch die Schwindsucht, weil die Patienten auf Dauer über Monate viel Gewicht verloren haben; und die dritte Gruppe sind Patienten, die Erkrankungen aus dem Rheumatischen Formenkreis haben und in dem Rahmen Gefäßentzündungen auftreten können und Entzündungen an Organen, die dann auch zu einem Gewichtsverlust führen können."
Der Gewichtsverlust spielt für Theo Grosdoulis zunächst keine Rolle. Bei einem Ausgangsgewicht von 170 Kilogramm hat Abspecken ja eine durchaus positive Seite - auch wenn 130 Kilo noch kein Modelmaß ist.
"Das ist immer noch nicht schlank."
Im ersten Schritt konsultiert Grosdoulis seine Diabetologin:
"Da muss man ja regelmäßig zur Blutabnahme hin, habe mir dann die Beine untersuchen lassen, habe die Behandlung mit Salben und Antibiotikum bekommen und habe das mit der fehlenden Spucke einfach so mitgeschleift dann erst mal."
Genauer: Er hat seiner Ärztin das Speichel-Problem verschwiegen. Aber nicht nur ihr, auch sein Hausarzt stochert planlos im Symptomnebel. Er vermutet:
"Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten oder Wechselwirkungen, dann hat man mal Blutdruckmedikamente ausgetauscht und weggelassen, aber das alles den Erfolg nicht gezeitigt."
Theo Grosdoulis geht es immer schlechter, neben Schluck- und Gewichtsproblemen leidet er mittlerweile unspezifische Magenschmerzen.
"Auf der Arbeit sagten mit die Kollegen, also richtig gut siehst du jetzt nicht mehr aus."
Das Sjögren-Syndrom fällt rasch durchs Diagnoseraster
Ihm geht es dreckig, eine geplante Magenspiegelung sagt Grosdoulis ab, er schafft es gerade noch bis in die Klinik Nord des Klinikum Dortmund.
"Der Patient wurde ja zugewiesen wegen des massiven Gewichtsverlustes, da hat man sich erst einmal das überlegt, was ich vorhin gesagt hatte, diese verschiedenen Krankheiten. Dann fiel aber während des Gesprächs schnell auf, dass Herr Grosdoulis ständig eine Wasserflasche mit sich trug und während jedes Satzes immer zwischendurch Wasser getrunken hat, und dann habe ich ihn gefragt, was machen Sie da eigentlich, und dann hat der Patient berichtet, dass er das macht, weil er keine Spucke mehr hat."
Für Klinikdirektor Bernhard Schaaf ist dies schon deshalb eine heiße Spur, weil die Dortmunder Mediziner in der ersten Untersuchung weder einen Tumor noch eine chronische Entzündung finden. Probleme mit dem Speichel deuten auf eine rheumatische Erkrankung?
"Es gibt eine klassische rheumatische Krankheit, wo der Körper Antikörper gegen Speicheldrüsengewebe bildet, das Sjögren-Syndrom, und dann verliert man die Fähigkeit, Tränenflüssigkeit und Spucke zu produzieren."
Das Sjögren-Syndrom fällt rasch durchs Diagnoseraster. Der Speichel fehlt zwar, nicht aber die Tränenflüssigkeit.
"Mit den Augen war alles okay, da hat nichts gejuckt, da hat nichts gefehlt, war alles okay."
Systemische Erkrankung des Bindegewebes
Spätestens jetzt setzen die Dortmunder Mediziner ihre gesamte Diagosemaschinerie in Bewegung: Sie lassen das Blut untersuchen, machen Schichtaufnahmen vom Hals bis zum Becken, Spiegeln den Magen-Darmtrakt.
"Der wegweisende Befund war schließlich in der Schichtaufnahme die vergrößerten Lymphdrüsen im Mediastinum, also im Zwischenfell im Brustkorb und auch im Bauchbereich und die vergrößerten Speicheldrüsen im Unterkiefer."
Gewebeproben werden entnommen und untersucht.
"In den Gewebsentnahmen zeigte sich dann eine entzündliche Krankheit mit sogenannten Epitheloidzellgranulomen, das sind Entzündungen, die typischerweise bei einer Sarkoidose auftreten."
Theo Grosdoulis leidet an einer Sarkoidose, auch bekannt als Morbus Boeck oder Morbus Schaumann-Basnier, einer systemischen Erkrankung des Bindegewebes. Mikroskopisch kleine Knötchen bilden sich in den Lymphknoten, betroffen können aber Herz, Lunge, Leber oder andere Organe sein. Die Ursache ist noch weitgehend unbekannt. Zum Glück aber nicht die Therapie: Kortisonpräparate verhindern eine weitere Zellteilung. Sarkoidose ist eine heilbare Krankheit! Bleibt zum Schluss die Frage nach dem dramatischen Gewichtsverlust? Ganz einfach: Wer keinen Speichel produziert, isst kaum noch etwas, wer wenig isst, nimmt ab! Heute geht es Grosdoulis wesentlich besser.
"Ich war beim Einkaufen im Einkaufszentrum und fuhr auf der Autobahn nach Hause und hatte urplötzlich dieses Gefühl im Mund, da ist Feuchtigkeit, und da war ich überwältigt, dass nach so langer Zeit, dass es mir gelingt, wieder Spucke zu produzieren."