Florida im Mai 2004. Milde 26 Grad Celsius zeigt das Thermometer, ein leichter Wind weht über das Meer.
"Wir waren auf einer Urlaubsreise im Westen der Vereinigten Staaten", erinnert sich eine Dresdner Immobilienmaklerin, die es sich an diesem Abend mit ihrem Mann in einem strandnahen Restaurant bequem gemacht hat. "Und dort ist mir dann das erste Mal am Beach abends beim Grillen aufgefallen, dass ich irgendwas an der Knieaußenseite rechts hatte, was da eigentlich nicht richtig hingehörte."
Ein Knubbel am Knie, was soll das schon sein?
"Tat nicht weh, war verschiebbar, und weil es nicht wehtat, macht man sich selbst nicht so große Gedanken."
Monate später erinnert sich die heute 62-Jährige, dass sie in den Jahren zuvor am rechten Knie immer mal wieder Hautirritationen hatte. Ihre Ärztin entfernt die Stellen, weiterer Handlungsbedarf bestand nicht, hieß es jedes Mal. Beim neuen Knubbel sah die Situation etwas anders aus.
Wie ein heller Leberfleck
"Das war auf der Haut, es sah aus wie ein heller Leberfleck, der sich immer wieder aus der Tiefe heraus entwickelte."
Ob dieser helle Leberfleck tatsächlich etwas mit den vorangegangenen Hautirritationen zu tun hatte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr klären. Das Elbehochwasser im April 2006 hat in einigen Dresdner Kliniken die in den Kellern untergebrachten Probenarchive unwiederbringlich zerstört. Für die Immobilienmaklerin spielte das 2004 aber ohnehin keine Rolle. Zurück aus dem USA-Urlaub ging sie wieder arbeiten und ließ sich Wochen später einen Termin bei Ihrer Hausärztin geben.
"Und ganz am Ende fiel mir dann noch ein, ach, du wolltest doch wissen, was da mit dem Knie los ist. Und die Hausärztin meinte dann, ach ja, das ist ein Ganglion, ich überweis Sie mal zum Orthopäden."
Ein Ganglion – im Volksmund Überbein genannt – ist die Ausstülpung einer Gelenkkapsel. Es tritt häufig an Fingern und Zehen auf, sieht alles andere als schön aus, die knotige Verdickung ist aber ungefährlich. Mal abgesehen davon, dass der Knubbel am Knie relativ weit vom Kniegelenk entfernt war und schon deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Ganglion sein konnte, wird hier ein grundsätzliches Problem deutlich, so Professor Sebastian Bauer, Medizinischer Onkologe am Westdeutschen Tumorzentrum der Universitätsklinik Essen.
Erste Diagnose: kein Tumor
"Die Herausforderung, die die niedergelassenen Allgemeinärzte oder auch niedergelassenen Orthopäden haben, die ist irrsinnig groß, weil Knoten am Körper, wahrscheinlich haben Sie auch einen, die sind so häufig. Also fast jeder Mensch hat irgendwo am Körper einen Knoten. Die zu unterscheiden, ist eine Riesenherausforderung, weil man nicht bei jedem Knoten eine Kernspinuntersuchung machen kann, jeden Knoten entfernen muss."
"Der Orthopäde hat sich das angeguckt, hat das getastet und gesagt, also, so wie sich das anfühlt, würde ich jetzt nicht davon ausgehen, dass es ein Ganglion ist, aber wir machen uns jetzt mal keine Sorgen, es gibt gutartige Tumore, es gibt bösartige Tumore, wir machen jetzt erst einmal ein MRT."
Außerdem überwies er seine Patientin an die Tumorsprechstunde des Universitätsklinikums Dresden. Die Magnetresonanztomografie wurde gemacht – der Goldstandard bei solchen unklaren Befunden – gleichwohl standen die Ärzte ratlos vor den Bildern.
"Der Radiologe hat mir dann erklärt, dass die Flüssigkeitsansammlung, die er dort sieht, er auch nicht richtig deuten kann, und im dem schriftlichen Befund stand dann etwas von ganglionartiger Flüssigkeitsansammlung."
Mit den Aufnahmen und dem Befund ging die Maklerin in die Tumorsprechstunde, wo man ihr empfahl, den ganglionartigen Knoten zu entfernen. Auf ihren Hinweis, der Knoten sei verschiebbar, was bei Überbeinen nicht der Fall ist, bekam sie die Antwort, man würde ohnehin eine Arthroskopie durchführen, dann wisse man mehr.
"Damit war das Thema beendet, ich hatte keinen Tumor, ich bin frohen Herzens aus der Tumorambulanz gegangen und für mich war die Sache erst einmal erledigt."
Leider freute sie sich zu früh. In den kommenden acht Wochen veränderte sich der Knubbel: Er wurde größer, huckeliger, tastbarer, außerdem änderte er seine Farbe.
"Und da schrillten so langsam die Alarmglocken und ich kümmerte mich um einen OP-Termin zur Entfernung."
Die OP wurde durchgeführt, der Knubbel entfernt und histologisch untersucht. Nach ein paar Tagen lagen die Ergebnisse auf dem Tisch.
"Die besagten dann, seltener Tumor, Klarzellsarkom, Differentialdiagnose Malignes Melanom."
Sehr wenige Fälle im Jahr
Ein Schock für die Dresdnerin, zumal Klarzellsarkome zu den bösartigsten Tumoren überhaupt zählen.
"Sarkome sind bösartige Tumorerkrankungen, die aus dem Bindegewebe entstehen und aus dem Knochen. Das unterscheidet sie von den Karzinomen, die von den Schleimhäuten und inneren Organen abkommen."
Sarkome zählen zu den Seltenen Krankheiten. Etwa ein bis zwei Fälle pro 100.000 Einwohner und Jahr zählen Ärzte. Von einigen Unterformen, das Klarzellsarkom gehört dazu, gibt es noch weniger Fälle. Glücklicherweise nur zehn bis 20 Patienten, schätzt Sebastian Bauer vom Westdeutschen Tumorzentrum, erkranken in Deutschland pro Jahr an dieser hochaggressiven Krebsart.
"Es ist ein Tumor, der deswegen bösartig ist, weil er schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Lage ist, Zellen zu streuen in den Körper."
Die besten Überlebenschancen bestehen, wenn das Klarzellsarkom früh erkannt und radikal entfernt wird. Weil der Faktor "früh" ausfiel, blieben nur noch die Operation und eine Strahlentherapie. Reichte das? Es reichte, was Sebastian Bauer heute noch in Demut staunen lässt.
"In dem Zusammenhang muss man sicherlich sagen, dass es ein kleines bisschen Wunder ist, dass die Patientin hier sitzt, weil neun von zehn Patienten in so einer Situation die Erkrankung nicht überleben."
Und weil die Dresdnerin eine aktive Frau ist, engagiert sie sich heute in einer Selbsthilfegruppe. Sie klärt auf über Sarkome, vor allem klärt sie darüber auf, beim kleinsten Verdacht einen Arzt aufzusuchen. Sarkome sind zwar selten, aber extrem gefährlich.