Archiv

Der besondere Fall
Tiefschlaf ohne Wiederkehr

Es fing an mit Unruhe, dann bekommt Sylivia Igbinadolor Halluzinationen. Als die dreifache Mutter schließlich zusammenbricht, steht erst die Diagnose Epilepsie, später die auf Hirntumor. Aus dem Koma wacht die junge Frau einfach nicht auf. Erst nach einem Klinikwechsel kommt ein Arzt schließlich auf die richtige Fährte - und bringt den Mut für eine ungewöhnliche Therapie auf.

Von Thomas Liesen |
    Bright und Sylvia Igbinadolor
    Sylvia Igbinadolor - zehn Monate sind nun seit ihrem Aufwachen vergangen. Sie lebt mittlerweile wieder zu Hause, muss aber weiter Medikamente nehmen. (Foto: Privat )
    "Ich kann mich an nichts erinnern."
    Sylivia Igbinadolor, gebürtige Nigerianerin, Anfang 30.
    "Das ist das Tückische an dieser Erkrankung, dass die übliche Bildgebung unauffällig ist in der Regel."
    Dr. Christos Krogias, Neurologe, St. Josef Krankenhaus, Universitätsklinik Bochum.
    "Es ist ein Wunder. Jemanden, den man für medizinisch tot erklärt hat, lebend zu sehen." Bright Igbinadolor, Sylvias Ehemann.
    Wie es genau anfing, liegt für sie im Dunkeln. Sylvias Erinnerungen sind ab April 2014 wie ausgelöscht. Und sie ist auch heute noch geschwächt. Daher erzählt ihr Ehemann:
    "Man rief mich an und sagte, sei sie unruhig gewesen, konnte nicht schlafen und schließlich brachte man sie ins Krankenhaus. Sie bekam dort Medikamente, um sich zu beruhigen. Sie schlief ein - und konnte nicht mehr aufwachen."
    Bright Igbinadolor ist erfolgreicher Fußballprofi, er spielte für die nigerianische Nationalmannschaft, für die finnische Profiliga, jetzt ist er in Asien unter Vertrag. Seine Frau Sylvia lebt mit den drei Kindern im Ruhrgebiet bei Bochum.
    Die Diagnose lautet: Akute Psychose
    "Nach den Berichten von Kollegen, die sie jetzt primär behandelt haben, fing es an mit so einer Unruhe, mit einer leichten Wesensveränderung, wie wir es nennen. Dass sie unruhig war, teilweise dann auch erstmals Halluzinationen hatte und dann diese Symptome erstmals auch die Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik zur Folge hatten."
    Christos Krogias, Neurologe. Die Diagnose lautet: Akute Psychose. Die Ärzte verabreichen ihr Psychopharmaka. Doch dann bekommt sie plötzlich einen schweren epileptischen Anfall. Sie wird sofort als Notfall in eine neurologische Klinik verlegt. Noch während die Diagnostik läuft, versucht man ihren Ehemann Bright zu kontaktieren. Er hält sich gerade in den Niederlanden auf und verhandelt dort mit einer Spieleragentur, als ihn die Nachricht erreicht.
    "Dass meine Frau im Koma liegt. Dass ich mit meinen Kindern in die Klinik kommen soll. Ich kam so schnell es ging nach Deutschland."
    Als er schließlich am Krankenbett seiner Frau steht, ist es ein Schock.
    "Ich konnte nichts sagen, ich wusste nicht mal, ob sie tot oder noch lebendig ist. Ich sah nur die Maschinen. Es war gespenstisch, sie in diesem Zustand zu sehen."
    Die Ärzte fragen, ob sie schon mal Psychosen hatte? Wie oft sie schon in Kliniken war?
    "Die Ärzte sagten viele Dinge, von denen ich wusste, dass sie nicht zutrafen. Wir sind seit 14 Jahren verheiratet und sie war nie im Krankenhaus gewesen. Ich wusste, da läuft was schief."
    Sie vermuten zunächst Epilepsie, dann einen Hirntumor. Sie untersuchen das Blut, die Hirnströme, machen eine Tomografie vom Gehirn. Das Ergebnis: Alles völlig unauffällig. Dann kommt ihnen ein Verdacht.
    "Bei der Geschichte, die die Patientin hatte, dass es erst mit psychiatrischen Symptomen anfängt, dann zu weiteren neurologischen Symptomen kommt, haben die dann an die uns neu bekannte oder erst in den letzten Jahren bekannte Erkrankung gedacht."
    Vermutung: Epilepsie, dann Hirntumor
    Die sie selbst allerdings nur aus der Fachliteratur kennen: Die sogenannte NMDA-Enzephalitis - eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem bildet Antikörper, die das eigene Gehirn attackieren. Tatsächlich finden die Ärzte die entsprechenden fehlgeleiteten Antikörper im Blut. Sie beginnen sofort mit eine Blutwäsche, damit versuchen sie, die Antikörper zu eliminieren. Und sie geben Medikamente, die verhindern sollen, dass neue Antikörper gebildet werden. Doch schon nach wenigen Tagen wird klar: Sylvias Zustand bleibt unverändert bedrohlich. Und vor allem erwacht sie nicht aus dem Koma. Die Ärzte benachrichtigen erneut den Ehemann.
    "Sie sagten: Haben sie ihren Kindern erlaubt, ihre Mutter zu sehen? Denn sie glaubten, sie werde nicht überleben. Sie hatten so eine Erkrankung noch nie gesehen und sie könnten nichts mehr tun.
    Bright will das alles nicht wahrhaben und startet einen ganz eigenen Kampf um das Leben seiner Frau.
    "Ich fing an, sie jeden Tag zu besuchen. Und jedes Mal passierte etwas, dass niemand außer mir weiß: Sie gab mir immer ein Zeichen. Sie bewegte eine Fingerspitze oder ein Bein – irgendetwas, damit ich wußte: Sie lebt."
    Als Sylvia schließlich seit sieben Monaten im Koma liegt, bitten ihre Ärzte das benachbarte St. Josef Krankenhaus der Uniklinik Bochum um Hilfe - endlich. Sylvia wird verlegt, der Neurologe Christos Krogias nimmt sich ihrer an. Erste Untersuchungen geben ihm sofort Hoffnung: Sylvias Gehirn ist völlig intakt, trotz der langwierigen Entzündung. Doch sie hat nur dann eine Chance, wenn diese Enzephalitis so schnell wie möglich gestoppt wird. Der Arzt wagt daher, sich aus einem ungewöhnlichen Medikamentenkasten zu bedienen.
    "Es ist kein Zauberkasten, aber es ist ein Kasten, der bisher in der Neurologie nicht benutzt wurde, sondern in der Behandlung von Leukämien, von besonderen Bluttumoren."
    Der Durchbruch
    Seine Hoffnung: Die Medikamente stoppen endlich die Produktion der schädlichen Antikörper.
    "Als ich am dritten Tag auf die Intensivstation ging, kam die Schwester auf mich zu: Wir haben gute Nachricht für Sie! Ich rannte in Sylvias Zimmer. Ich weiß nicht, ob sie mich erkannte, aber sie hob ihren Kopf und wir beiden weinten.
    Der Durchbruch! Sylvia Igbinadolor erwacht langsam aus dem Koma. Sie ist aber zunächst völlig desorientiert. Und sie ist extrem geschwächt.
    Doch sie erholt sich kontinuierlich, bis heute. Zehn Monate sind nun seit ihrem Aufwachen vergangen. Sie lebt mittlerweile wieder zuhause, muss aber weiter Medikamente nehmen, damit die Gehirnentzündung nicht wieder aufflammt. Doch die Ärzte sind sicher: Sie wird sich vollständig erholen.
    "Ich bin sehr glücklich, ich kann wieder meine Kinder und meinen Mann sehen."
    Doch eine Frage bleibt: Wieso hat die Klinik, in der sie sieben Monate lang im Koma lag, nicht früher reagiert und Kollegen zurate gezogen? Auch Christos Krogias weiß darauf keine Antwort. Er weiß nur:
    "Je länger eine Intensivbehandlung dauert, desto gefährlicher ist es für den Patienten, weil dann Komplikationen auftreten können."
    Bright Igbinadolor will die Sache auf sich beruhen lassen, obwohl er bei der anderen Klinik von Anfang an ein schlechtes Gefühl hatte. Denn für ihn zählt nur eines: Seine Frau lebt. Und das steht über allem. Auch über seiner Fußballerkarriere.
    "Ich habe aufgehört. Sie oder die Kinder auch nur für eine Minute allein zu lassen, wäre ein Desaster."