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Der besondere Fall
Wie die Malaria nach Minden kam

Zwei Deutsche machen Urlaub auf der Halbinsel Chalkidiki in einem Fünf-Sterne-Hotel. Als sie nach Minden zurückkehren, sind sie krank: Fieber, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost. Symptome, die auch bei Malaria auftreten. Dabei gilt Griechenland doch als malariafrei. Nur mit detektivischem Gespür gelingt den Ärzten eine passende Diagnose.

Mirko Smiljanic |
    Palmen vor blauem Himmel und Sonnenschein
    Malaria nach dem Urlaub in einem südeuropäischen Land? (Jan-Martin Altgeld )
    Frühsommer 2000, Klinikum Minden in Ostwestfalen-Lippe. Gegen 20 Uhr stoppt ein Rettungswagen vor dem Eingang zur Notaufnahme. Über Funk informierte Schwestern nehmen zwei sichtlich geschwächte Patienten in Empfang.
    "Da kam ein Pärchen, was einen Griechenlandurlaub gemacht hatte auf dem Chalkidiki, zurück nach Minden, ganz normale Touristen."
    Professor Arno Dormann, damals Oberarzt am Klinikum Minden.
    "Sie kamen aber zurück und hatten ein hochfieberhaftes Krankheitsbild, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost, und bei der körperlichen Untersuchung fand man bis auf Mückenstiche eigentlich nichts Aufregendes.
    45 und 48 Jahre alt sind die beiden, keine Rucksackreisende, eher schon Zeitgenossen mit einem gewissen Hang zum Luxus. Den zweiwöchigen Urlaub verbrachten sie in einem Fünf-Sterne-Hotel inklusive ausgedehnter Wellness- und Sportanlagen. Dass sie sich kurze Zeit später in einer Klinik wiederfinden, nein, daran hat niemand gedacht.
    Der Allgemeinzustand des Ehepaars, so Dr. Bernd Wejda, damals leitender Infektiologe am Klinikum Minden, verschlechterte sich schon wenige Tage nach Ende des Griechenlandaufenthaltes dramatisch. "Uugewöhnlich war schon bei der Erstpräsentation, dass beide gleichzeitig begonnen hatten, diese Symptome zu entwickeln."
    Erste Gedanken an Malaria
    Urlaub in einem südeuropäischen Land, multiple Mückenstiche, hohes Fieber – dass da Zusammenhänge denkbar sind, ist den Ärzten rasch klar. Nur welche? Oder leiden die beiden an einer Virusinfektion, die mit den Mückenstichen nichts zu tun hat? Oder gar an Malaria?
    "Das ist auch prinzipiell eine gute Idee, an Malaria zu denken, aber Sie müssen bedenken, dass seit 1973 Griechenland – es gibt jetzt Ausnahmen in jüngster Zeit – aber zum damaligen Zeitpunkt Griechenland als absolut malariafrei galt."
    Röntgenaufnahmen der Lunge, Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes, Urintest – alles unverdächtig, nichts liefert aussagekräftige Befunde. Nur die Ergebnisse der Blutanalyse lassen die Ärzte stutzig werden.
    "Und zwar war bei den Blutuntersuchungen die Blutplättchen erniedrigt, häufig sind bei Infektionen die Blutplättchen erhöht, und was besonders war, war, dass die weißen Blutkörperchen erniedrigt waren. Jeder kennt eigentlich: Bei einem Infekt erhöhen sich die weißen Blutkörperchen, hier waren sie erniedrigt. Die Kombination aus beidem lässt Rückschlüsse zu entweder auf eine schwere bakterielle Infektion, meist eine Blutvergiftung, oder aber – das war ja die Gleichzeitigkeit dieses Ereignisses – auch mal an einen Parasiten, der das Blut befällt.
    Die Parasiten-Theorie – sprich: Malaria – rückt auch deshalb in den Fokus der Mediziner, weil die Konzentration eines bestimmten Eiweißes im Blut, die Laktatdehydrogenase, sehr hoch ist. Dies sei ein Hinweis auf zerstörte rote Blutkörperchen, so Bernd Wejda. Haben sich tatsächlich gleich zwei Malariapatienten ins Klinikum Minden verirrt? Infiziert in einer Region, die laut Weltgesundheitsorganisation WHO malariafrei ist? Eine letzte Untersuchung bringt Klarheit.
    "Bei dieser Blutuntersuchung wird ganz einfach das Blut mikroskopiert, da sah man tatsächlich Erreger einer Malariaform, der sogenannten Malaria tertiana, die danach benannt ist, dass etwa alle 72 Stunden, also jeden dritten Tag, Fieberschübe auftreten."
    Ist Griechenland tatsächlich malariaverseucht? Wenn nicht, woher kommen die Mücken mit den Erregern?
    Analyse der Vorgeschichte notwendig
    "Das war dann wirklich ein detektivisches Gespür, was wir entwickeln mussten. Und zwar wurde dann zunächst die Vorgeschichte der beiden Touristen analysiert."
    Und festgestellt, dass das Ehepaar fünf Jahre zuvor Kenia und Südafrika bereist hatte, also Länder mit erhöhtem Malariarisiko. Weil sie bis zum Griechenlandurlaub nachweisbar beschwerdefrei waren, ließen die Mindener Mediziner diesen Infektionsweg aber fallen.
    Ausschließen konnten sie auch, dass das Flugzeug, mit dem sie nach Griechenland geflogen sind, malariaverseuchte Mücken als Blinde Passagiere an Bord hatte: Vor dem Griechenlandtrip wurde die Maschine ausschließlich auf Nordrouten eingesetzt. Ein schier unlösbares Problem, bis sich Arno Dormann und Bernd Wejda eine ganz andere Frage stellten: War vielleicht schon ein Gast oder Mitarbeiter des Hotels mit Malaria infiziert? Und tatsächlich: Sie fanden heraus, dass ein Animateur des Fünf-Sterne-Hotels in Athen zeitgleich an einer chronischen Form der Malaria behandelt worden war, die er sich auf einer seiner zahllosen Reisen rund um die Welt in Mozambique erworben hatte.
    "Das heißt, eine Malaria, die zeitweise nicht vorhanden ist, die dann kein Fieber macht, und in dem Zeitpunkt, wo er in dem Hotel gearbeitet hat, wo unsere beiden Touristen da waren, hatte er wieder Fieber gehabt, und die Mücken haben den Animateur gestochen und sind dann an die beiden Touristen gegangen und haben die Malaria übertragen, also ein klassischer Übertragungsweg von Malaria."
    Das Aufatmen griechischer Hoteliers habe man bis Minden gehört, so Wejda. Die Vorstellung, Nordgriechenland sei ein Risikogebiet für Malaria, war ausgesprochen beunruhigend. Glücklicherweise ist das nicht der Fall, und glücklicherweise geht es den Patienten mit der "Hotelmalaria" – unter diesem Namen hat der Fall Medizingeschichte geschrieben – wieder gut.
    "Die Behandlung besteht in einer medikamentösen Therapie, die über einige Tage gegeben wird, das sind Standardmedikamente, und einer dem Krankenhausaufenthalt, der für einige Tage erforderlich war, nachfolgenden Behandlung, um in der Leber überlebende Parasiten, die der ursprünglichen Therapie oft nicht zugänglich sind, noch zu erreichen."