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Der Besserwisser aus der ersten Reihe

"Multikulti, schön und gut, aber bitte nicht in der Schulklasse unserer Kinder." So sehen das offenbar viele Hamburger Eltern und wehren sich gegen die Schulreform. Denn sie wollen nicht, dass ihre Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund länger als nötig gemeinsam zur Schule gehen. Am 18. Juli wird in einem Volksentscheid über die Reform abgestimmt.

Von Verena Herb |
    "Ich ruf das mal vor: Können wir das schaffen? Ja, wir schaffen das. Noch einmal: Können wir das schaffen? Ja, wir schaffen das."

    April 2009: Walter Scheuerl heizt sein Publikum als Redner auf der ersten Demonstration der Volksinitiative "Wir wollen lernen" an. Sein Ziel: die Bildungspläne des schwarz-grünen Senats torpedieren. Notfalls mit einem Volksentscheid. Dass der tatsächlich kommen wird, wissen die Gegner der Schulreform damals noch nicht.

    Angestoßen hat ihn der Jurist Walter Scheuerl. Er hat selbst zwei Kinder, die auf ein Gymnasium im Stadtteil Othmarschen gehen. Er engagiert sich an der Schule als Elternratsvorsitzender. Unzufrieden mit den Plänen der Stadtregierung, kommt der 48-Jährige vor zwei Jahren auf die Idee, eine Volksinitiative gegen die Schulpolitik ins Leben zu rufen:

    "Die Überlegung, die ich hatte - das war morgens beim Rasieren, ich kann mich noch gut daran erinnern - dass ich mir sagte: Wer soll es jetzt am Besten machen?"

    Die Frage ist schnell beantwortet: er selbst. Scheuerl stößt die Gründung der Initiative "Wir wollen lernen" an, die im Zuge eines Volksbegehrens 184.500 Unterschriften gegen die Reformpläne des Senats sammelt und damit den Volksentscheid auf den Weg bringt. Die Wochenzeitung "Zeit" nennt das damals den "Gucci-Aufstand", da hinter Scheuerl viele Eltern aus den wohlsituierten Elb-Vororten, dem Alstertal und Blankenese stehen.

    "Das ist natürlich naheliegend gewesen, dass versucht wird, dass eine Bewegung, die aus dem positiv verstandenen Bildungsbürgertum der Stadt kommt, dass man versucht, kampagnenmäßig diese Elterninitiative in irgendeine Ecke zu stellen, wo man sie leichter kritisieren kann und versuchen kann, sie auszugrenzen."

    Walter Scheuerl sitzt im Konferenzraum 3 seiner Hamburger Kanzlei. Er trägt einen hellen Sommeranzug. Ab und an rückt er seine Hornbrille zurecht. Er ist aufgeschlossen, locker, lächelt häufig, wenn er spricht. Der Anwalt ist spezialisiert auf Marken- und Medienrecht. Er hat schon so manchen kritischen Bericht in Hörfunk oder Fernsehen mit einer Unterlassungsaufforderung verhindert. Der Jurist ist "gerissen", einige sagen, er sei "mit allen Wassern gewaschen."

    Das bekommen auch seine bildungspolitischen Gegner zu spüren. Die Initiative PROSchulreform zum Beispiel. Darin engagieren sich Eltern, die die Primarschule und das längere gemeinsame Lernen aktiv unterstützen. PROSchulreform wirbt mit einer kleinen Eule, erzählt die Vorsitzende Stefanie von Berg, eine Lehrerin .

    "Wir haben - nach bestem Wissen und Gewissen - als Eltern gehandelt, haben uns selbst eine Grafik gebastelt."

    Eben jene Eule mit einem S auf der Brust, das an das Supermann-S erinnern soll. Vergangenen September bekommt Stefanie von Berg einen Brief eines Münchner Anwalts, der sie auf eine Markenrechtsverletzung hinweist. Den Tipp bekam der Münchner von seinem Hamburger Kollegen Walter Scheuerl:

    "Hab schlicht den Kollegen in München angerufen, der die Rechte des DC-Comic-Verlages vertritt und ihm gesagt, dass hier der Supermann, die Marke verletzt wird, ich habe das nur mitgeteilt. Seitdem trägt die Eule ein Logo der Stadt Hamburg."

    1500 Euro muss PROSchulreform wegen der Markenrechtsverletzung zahlen.

    "Und als die Abmahnung kam, waren wir hinterher nicht nur pleite, sondern hatten auch noch Schulden und waren zutiefst demoralisiert und auch verängstigt - es sind einige Eltern, die daraufhin auch ausgestiegen sind."

    Der Reformgegner kämpft mit allen Mitteln. Mitarbeiter der Schulbehörde in Hamburg bekommen im Herbst 2008 ebenfalls Post. Der Absender: Walter Scheuerl. Zum Inhalt Brigitte Köhnlein, die Sprecherin der Bildungsbehörde:

    "Fünf Mitarbeiter der Behörde, die damit beauftragt sind, die Schulreform umzusetzen, haben Mails bekommen, in denen Angaben über ihren persönlichen Lebenslauf, über ihre beruflichen aber auch ihre politische Tätigkeit zum Beispiel aufgeführt wurden."

    Walter Scheuerl verteidigt die Mails, diese persönlichen Daten seien im Internet frei verfügbar gewesen. Außerdem findet er es legitim zu erfahren, was die Mitarbeiter der Behörde befähige, die Reform umzusetzen. Weiter verbreitet aber habe er die Informationen nicht. Fünf Monate später allerdings titelt die "Bild"-Zeitung: Exkommunist soll Schulreform durchpeitschen. Die Sprecherin der Bildungsbehörde, Brigitte Köhnlein:

    "Das ist sehr besorgniserregend. Man muss das als eine Art Einschüchterungsversuch werten."

    Walter Scheuerl kämpft gegen die Schulreform, und das gerne mit scharfem Geschütz. Was rechtlich unbedenklich ist. Ungeschickt allerdings erscheint ein anderer Vergleich, den der Anwalt wieder per Mail verbreitet: Die Primarschulpläne von Bildungssenatorin Christa Goetsch würden in Teilen an die NS-Pädagogik des Erziehungswissenschaftlers Peter Petersen erinnern.

    "Wenn Sie mal dagegen halten, zwei Mails, die man zutreffend falsch verstehen könnte und für die ich mich entschuldigt habe, gemessen an dem Zeitraum von über eineinhalb Jahren aktiven Einsatz, ist das relativ wenig."

    Anfang dieses Jahres bekommen Bürgerschaftsabgeordnete und einige Journalisten eine DVD zugespielt. Walter Scheuerl - Anwalt ohne Moral - lautet der Titel eines 25-minütigen Films. Darin wird ihm vorgeworfen, als Anwalt für Pelztierfarmen und Legehennenbetriebe gearbeitet und Verfahren gegen Tierschützer eingeleitet zu habe. Scheuerl sagt, das sei teilweise frei erfunden. Bevor der Film per DVD verbreitet wurde, war er wochenlang auf verschiedenen Internetplattformen zu sehen. Wer hinter dem Video steckt, ist nicht bekannt.

    "Wir haben dann das beim Landeskriminalamt angezeigt, das LKA hat ermittelt. Hat bisher konkrete Täter allerdings - weil das eben als anonym verbreitete DVD und ohne Fingerabdrücke auch nicht nachzurecherchieren war, wer es nun wirklich war... das war´s dann auch. Ich nehme es auch nicht persönlich. Ich weiß, dass es nicht gegen mich als Menschen geht, sondern - jeder, der diesen Job so gemacht hätte, hätte im Zweifelsfall früher oder später solche oder ähnliche persönliche Angriffe erleiden müssen. Das muss man aushalten können."
    Walter Scheuerl ist mit seinem Engagement angeeckt, hat aber auch viele Unterstützer. Frank Solms Nebelung hat in den vergangenen zwei Jahren eng mit ihm zusammengearbeitet. Er leitet die Werbekampagne von "Wir wollen lernen" und saß bei Verhandlungen mit Politikern mit am Tisch:

    "Er hat das mit einer unglaublichen Energie und einer unglaublichen Durchhaltekraft über diese Zeit nach vorne gebracht das Ganze. Und das zeichnet ihn auch aus, finde ich."
    In zehn Tagen entscheiden die Hamburger per Volksentscheid über die Schulreform. Walter Scheuerl ist optimistisch, dass seine Initiative siegt. Es wäre der Lohn für über zwei Jahre Arbeit.