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"Der Besuch der alten Dame" in Wien
Gelungene Hommage für Gottfried von Einem

Der österreichische Komponist Gottfried von Einem überredete 1971 den Dichter Friedrich Dürrenmatt, eine Oper aus seiner Tragikomödie "Der Besuch der alten Dame" zu machen. Keith Warner inszeniert am Theater an der Wien dieses Erfolgsstück - eine gelungene Hommage mit erstklassiger Besetzung.

Von Reinhard Kager |
    Zu sehen sind Michael Hinterhauser (Panther), Jakob Müllner (Roby) Katarina Karnéus (Claire Zachanassian), Rudolf Karasek (Toby), Mark Milhofer (Boby, Butler)
    "Der Besuch der alten Dame" in einer Inszenierung am Theater an der Wien (Theater an der Wien/Werner Kmetitsch )
    Ihre Ankunft ist spektakulär: Mit der Notbremse bringt Claire Zachanassian, die millionenschwere "alte Dame", den Zug quietschend zum Stehen, um in ihrem Heimatort Güllen aussteigen zu können. Denn Schnellzüge halten schon lange nicht mehr in dem heruntergekommenen Dorf.
    Umringt von der Dorfbevölkerung kommt Claire, die früher Klara Wäscher hieß, nach 45 Jahren wieder in ihr Heimatdorf, das unter chronischem Geldmangel leidet und nun inständig auf eine Stiftung seiner früheren Mitbürgerin hofft. Dass die grellgelb gekleidete Dame mit einem Panther an der Leine aussteigt, verheißt nichts Gutes. War doch Alfred Ill, Claires früherer Geliebter, in seiner Jugendzeit als "schwarzer Panther" bezeichnet worden. Doch nicht das Tier soll Jagd machen auf den mittlerweile ergrauten Kaufmann, sondern das ganze Dorf: Eine Milliarde verspricht Claire der Güllener Gemeinde, wenn Alfred, der sie einst schnöde sitzen ließ, getötet wird.
    Die Menge schrickt nur anfänglich zurück. Denn das Perfide an ihrem Angebot ist, dass Claire Zachanassian die Tötung mit dem Anspruch auf Gerechtigkeit fordert, um ihr erlittenes Unrecht zu sühnen: Durch Bestechung zweier Zeugen hatte Alfred Ill einst die Anerkennung der Vaterschaft von Claires Tochter verhindert. Die unmoralische Tötung mit einem vorgeblich moralischen Recht zu legitimieren, eröffnet der Güllener Bevölkerung einen großen Handlungsspielraum. Und das spürt der gejagte Alfred ganz genau.
    Musikalisch bewegt sich von Einems eklektische Oper in den Bahnen der erweiterten Tonalität: Immer wieder blitzt das Opernschaffen von Richard Strauss auf, sogar die Symphonik Mahlers und deren volksliedartiger Tonfall sind spürbar. Der Moderne ist die Oper also kaum zuzurechnen, aber dramatisches Geschick wird man von Einem nicht absprechen können. Durch eine differenzierte Dramaturgie der Klangfarben charakterisiert der Orchestersatz die einander widerstreitenden Motive der Protagonisten. In Kombination mit den rezitativischen Gesangslinien gelingt es von Einem, die mahnenden Worte Dürrenmatts zu unterstreichen.
    Bittere Aktualität dieser "Tragischen Komödie"
    Die bittere Aktualität dieser "Tragischen Komödie" versucht Regisseur Keith Warner zu zeigen. Denn durch die Dynamik des Kapitalismus ist weder die Gier nach Geld geringer geworden noch die Moral der Gesellschaft höher. Doch zunächst lässt Warner die Parabel im Nachkriegseuropa beginnen, wie das Original.
    Ausstatter David Fielding taucht das Szenario anfänglich ganz in Grau: Erhöht auf Metallsäulen stehen Miniaturhäuser, über denen eine Spielzeugeisenbahn hin und her saust. Doch mit Fortdauer der Oper wird das Bühnenbild realistischer und die Bevölkerung ähnlich bunt wie die schrill gekleidete Claire. Die lockende Milliarde vor Augen, kaufen sich die Einwohner Güllens auf Pump neue Kleider, Schmuck und Accessoires.
    Mithilfe von Werbeplakaten aus unterschiedlichen Epochen, aus denen dann und wann der Arnold Schoenberg Chor lugt, treibt Warner das Geschehen sukzessive in unsere Gegenwart. Die Hinrichtung Alfred Ills wird schließlich als ausgelassene Reality-TV-Party im klinisch weißen Saal des renovierten Wirtshauses "Zum goldenen Apostel" gefeiert: um der Gerechtigkeit willen, wie der Bürgermeister und der Lehrer beteuern.
    Dank des Dirigenten Michael Boder, der das kompakt spielende ORF Radio-Symphonieorchester Wien ganz hervorragend vorbereitete, gelingen auch die heiklen Ensembleszenen sicher. So können sich die Solistinnen und Solisten prächtig entfalten: Die schwedische Mezzosopranistin Katarina Karnéus, die so resolut über die Bühne stakst, als hätte sich Sophie Rois in die Oper verirrt, vermag ebenso schrill zu keifen wie glockenreine Spitzentöne zu singen. Die extremen Tiefen der Partie umschifft sie gekonnt mit Sprechgesang.
    Erstklassige Besetzung
    Stimmlich wie darstellerisch überzeugend vermittelt auch der kanadische Bariton Russell Braun den dubiosen Charakter Alfred Ills. Und Markus Butter hat als nicht minder zwielichtiger Pfarrer einen großen Auftritt. Mit Adrian Eröd als Lehrer und Raymond Very als Bürgermeister sind auch andere kleinere Rollen erstklassig besetzt. So gelang eine stimmige Hommage an Gottfried von Einem und an Dürrenmatts hintergründiges Theaterstück: Als im Finale eine Lokomotive krachend durch die Wand des Festsaals dringt und Claire ihren Scheck überbringt, ist der "schwarze Panther" ebenso tot wie die Moral.