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"Der bewaffnete Widerstand ist gespalten"

Der Duisburger Friedensforscher Jochen Hippler führt die bisherige Einhaltung der Waffenruhe in Syrien auf die Sorge des Assad-Regimes zurück, China und Russland könnten von der Unterstützung Syriens abrücken. Hippler betont zudem, dass im Verlauf des Konflikts auch unter den Widerstandskämpfern Kräfte aufgetaucht seien, die man nicht unterstützen könne.

Jochen Hippler im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Versprechungen hat es immer wieder gegeben von Baschar al-Assad, nämlich Reformen einzuleiten, die Waffen schweigen zu lassen, die Panzer auf den Kasernenhöfen zu lassen. Gehalten hat er die Versprechungen nie, bislang jedenfalls. Heute nun könnten die Dinge vielleicht anders liegen. Der internationale Druck auf Damaskus hatte in den vergangenen Tagen immer weiter zugenommen, namentlich eben auch aus Moskau und auch aus Peking, Druck, den internationalen Friedensplan von UN-Vermittler Kofi Annan umzusetzen.

    Tausende von Flüchtlingen in den zurückliegenden Wochen, die versucht haben, von Syrien ins nördliche Nachbarland Türkei zu gelangen. Vielen ist dies auch gelungen, nicht zuletzt, weil die türkischen Behörden ihre Grenztore geöffnet haben. Syrische Soldaten wiederum haben jüngst Flüchtlinge beschossen, obwohl diese schon diesseits der Grenze waren.

    Bei uns am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Jochen Hippler, Friedensforscher an der Universität in Duisburg. Guten Tag.

    Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Hippler, offenbar Waffenruhe in Syrien. Wird Baschar al-Assad plötzlich Realpolitiker?

    Hippler: Das wäre zu wünschen, beziehungsweise die Art von Realpolitiker, die er bisher gezeigt hat, war ja, alles zu tun, um an der Macht zu bleiben, und deswegen glaube ich, dass wir weiterhin eine gewisse Skepsis haben sollten, wie lange das halten wird, weil diese bisher fast vollständig gehaltene Waffenruhe - es gab, glaube ich, in einem Ort noch Gefechte -, das ist natürlich nur ein erster Schritt, um jetzt einen politischen Lösungsprozess in Gang zu setzen, und da hat sich Assad bisher wirklich eher nicht durch ermunternde Signale hervorgetan.

    Müller: Geht Baschar al-Assad - Sie können das nicht genau wissen, ich frage Sie trotzdem, Herr Hippler - eigentlich davon aus, dass ein politischer Lösungsprozess mit ihm in irgendeiner Form zustande kommen könnte?

    Hippler: Wenn wir sein Verhalten der letzten 13 Monate zum Maßstab nehmen, dann deutet vieles darauf hin, dass er eben immer noch glaubt, einen politischen Kompromiss in irgendeiner Form vermeiden zu können. Er hat vom ersten Beginn der friedlichen Demonstrationen bis eben heute Morgen auf jede Form von Protest, auf jede Form zum Anfang zumindest auch mit Gesprächsangeboten sofort mit relativ harter brutaler Gewalt reagiert, und er hat natürlich dadurch auch Brücken verbrannt. Man kann halt nicht zehntausend Leute niederschießen lassen, um dann nachher zu glauben, dass die Gegenseite, die Opposition, die Arme ausstreckt, um halt einen Dialog zu führen. Da hat er wirklich eigentlich sehr viel getan, um Dialoge, politische Kompromisse, politische Verständigung vorher schon zum Scheitern zu bringen, und deswegen glaube ich, dass wir jetzt noch ein bisschen skeptisch sein sollten, ob sich das jetzt so plötzlich geändert hat.

    Müller: Warum hat er denn jetzt in den vergangenen Tagen eingelenkt? Nur, weil der Druck und die Sprache aus Moskau und Peking jetzt anders waren?

    Hippler: Ich glaube schon, dass er bereit gewesen ist, gegen die USA, gegen die Länder der Europäischen Union und gegen die Arabische Liga einfach auf den Weg der Gewalt zu setzen. Das hat er ja bewiesen in den 13 Monaten. Aber er konnte sich immer darauf verlassen, das dachte er, dass China und Russland im UNO-Sicherheitsrat ihm den Rücken freihalten würden und dass es eben keine Gewaltdrohungen mit einer externen Intervention geben würde. So weit ist man in Moskau und China noch nicht, aber wir haben in den letzten zwei Wochen durchaus eine Veränderung der Positionen in Peking und in Moskau erlebt und eine deutlich stärkere Kritik an dieser Halsstarrigkeit des syrischen Präsidenten, und deshalb deutet wirklich vieles darauf hin, dass die Sorge in Damaskus jetzt wirklich war, dass China und Russland von der Unterstützung Syriens abrücken, und dann wäre man wirklich in einer politisch sehr diffizilen Situation.

    Müller: Blicken wir, Herr Hippler, einmal auf die andere Seite. Die andere Seite, damit meine ich die Oppositionskräfte, aber auch die Freie Syrische Armee. Viele werfen ja den westlichen Medien vor, immer Schwarz-Weiß gemalt zu haben, also Baschar al-Assad der Schlechte, die anderen die Guten. Sie beobachten das aus einer neutralen wissenschaftlichen Perspektive. Ist da was dran?

    Hippler: Ja und nein. Ich glaube, das Wichtige ist, daran zu denken, dass sich hier der Konflikt entwickelt hat in den letzten 13 Monaten. Das heißt, als er begonnen hat durch Jugendliche im Süden des Landes, die wirklich nur Parolen gegen die Diktatur an die Wand geschrieben haben, und in den ersten Monaten, im ersten halben Jahr vielleicht, da war es tatsächlich so, dass ein bis an die Zähne bewaffnetes Regime mit großer Brutalität Zivilisten über den Haufen geschossen hat, große Waffen eingesetzt hat, Scharfschützen eingesetzt hat und die Bevölkerung im Wesentlichen unbewaffnet gewesen ist. Insofern für diese Zeit glaube ich, dass dieses Gut-böse-Schema, obwohl es fast immer falsch ist, aber relativ stark an der Realität war.

    Aber nachdem jetzt der bewaffnete Widerstand in Syrien zugenommen hat, durch Deserteure und durch andere, die jetzt Widerstand leisten, und diese Kräfte auch Menschenrechtsverbrechen inzwischen begangen haben, wenn natürlich auch lange nicht in dem Maße wie das Regime, seitdem würde ich da auch ein bisschen vorsichtiger formulieren. Der bewaffnete Widerstand ist gespalten in viele Gruppen, in viele zum Teil auch autonom operierende Gruppen, die teilweise wirklich auch mit großer Vorsicht zu genießen sind. Insofern: Zu Beginn war dieses Bild, das brutale Regime massakriert die Zivilisten, zutreffend. Inzwischen ist immer noch das Hauptproblem, das überwältigende Hauptproblem auf der Regimeseite, aber bei den Widerstandskämpfern sind eben auch Kräfte, die man sicher nicht unterstützen kann.

    Müller: Wenn das so ist, wie Sie sagen, Herr Hippler, dann ist es doch aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft äußerst kompliziert, äußerst schwierig zu sagen, auf diese Kräfte, auf diese Gruppen, da setzen wir jetzt, um Syrien in irgendeiner Form mehr Freiheit in der Zukunft zu geben. Welche Alternativen gibt es da?

    Hippler: Nun, ich glaube, dass es tatsächlich, wenn es darum geht, Syrien zu gestalten, also Syrien auf einen positiven Entwicklungsweg zu bewegen, von außen nicht funktioniert, ohne dass es erst mal in Syrien bestimmte Voraussetzungen dafür gibt. Man hat in Afghanistan, man hat im Irak gesehen, man sieht gerade in Libyen, dass ein militärischer Sieg im extremsten Fall über ein solches Regime nicht dazu führt, dass dann Demokratie sofort verwirklicht würde, dass Stabilität eintritt, sondern manchmal haben solche militärischen Siege als weitestgehende Interventionsform eben eigentlich nur eine andere Form von Problemen und eine Situation von Chaos hervorgebracht, und das ist sicher auch für Syrien keine Perspektive, das ist sicher auch für die Menschen in Syrien nicht unbedingt eine Verbesserung. Wenn sie aber eine Nummer darunter bleiben sozusagen und unterhalb der militärischen Intervention bleiben, wofür tatsächlich vieles spricht, dann sind natürlich die Einflussmöglichkeiten noch geringer, weil durch politische Erklärungen, durch wirtschaftliche Sanktionen können Sie halt Druck ausüben, Sie können aber natürlich nicht eine fremde Gesellschaft gestalten. Das können nur die Leute in der Gesellschaft. Da sind die Mittel der äußeren, der westlichen Staaten und Russlands und Chinas eher begrenzt.

    Müller: Sie haben gerade das Stichwort Libyen aufgegriffen. Ich möchte das gerne noch einmal weiterdrehen. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum dann jetzt die vergangenen Wochen über Libyen so gut wie gar nicht mehr geredet und berichtet wird und es offenbar ja auch auf der Agenda der Staatengemeinschaft gar nicht mehr so offiziell steht, weil alles zu unübersichtlich ist?

    Hippler: Ja, weil es zu unübersichtlich ist, weil man halt den Triumph, den man da hatte, nämlich Gaddafi zu stürzen, dass man ihn nicht dadurch politisch entwerten möchte, dass man jetzt eben zur Kenntnis nimmt, dass eigentlich die nächste Runde des Bürgerkriegs schon begonnen hat. Libyen ist im Moment tatsächlich am Beginn eines neuen Zerfallsprozesses, möglicherweise eines Bürgerkrieges, wir haben Hunderte von Toten in der letzten Zeit, und es ist tatsächlich so, dass die internationale Gemeinschaft sich lieber nicht darum kümmert, weil dann die eigene Praxis, die zum Sturz Gaddafis geführt hat, aus dem letzten Jahr damit nachträglich noch mal infrage gestellt würde und Libyen nicht so zentral genommen wird. Libyen ist ein Land mit etwas mehr als sechs Millionen Einwohnern und im Gegensatz zu Syrien kein zentrales Land des Nahostkonfliktes, kein zentrales Land, was etwa in den saudi-arabisch-iranischen Konflikt hineingezogen wäre, wie Syrien das ist. Also da ist Libyen einfach weniger wichtig und man möchte sich nicht im Nachhinein blamieren, was man letztes Jahr an triumphalistischen Dingen in Paris und London gehört hat.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Duisburger Friedensforscher Jochen Hippler. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.


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