Archiv

Der bizarre Kosmos von King Gizzard & The Lizard Wizard
Eidechsen im Ohr

15 Studioalben in nur zehn Jahren:King Gizzard & The Lizard Wizard sind die Veröffentlichungs-Weltmeister der Gegenwart. Auch stilistisch verblüffen die Musiker aus Australien regelmäßig aufs Neue. Von Folkrock bis Heavy Metal gibt es kaum ein Genre, das die Band nicht zu beherrschen scheint.

Von Fabian Elsäßer |
    Sieben Männer stehen eng aneinander vor einer weißen Wand. Sie blicken in die Kamera.
    Im Jahr 2017 veröffentlichten King Gizzard & The Lizard Wizard gleich fünf Studioalben (Rats' Nest)
    Musik "Planet B" (Heavy Metal) und "Beginners Luck" (Folkpop)
    Das ist ein und dieselbe Band. Doch. Wirklich.
    Musik "Nuclear Fusion" (World Music-Rock)
    Das hier auch. Und das hier….
    Musikauschnitt Polygondwanaland (Psychedelic-Rock)
    …immer noch. Diese Band gibt einem Rätsel auf. Und Fragen stellen sich. Die wir uns aus gegebenem Anlass allesamt selbst beantworten müssen.
    Musik "Beginner’s Luck"
    Spätestens 2017 musste man auf diese Band aus Australien aufmerksam werden: da veröffentlichten King Gizzard & The Lizard Wizard nämlich fünf Alben in einem einzigen Jahr, und jedes klang anders. Nach einer einjährigen Schaffenspause ging es 2019 dann im Zwei-Alben-Rhythmus weiter. Einen derartigen Kreativ-Ausstoß kannte man bis dato eigentlich nur von Frank Zappa. Inzwischen kommt die Formation mit dem seltsamen Namen auf gut 15 Studiowerke allein im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens. Man würde also gerne mal mit den Musikern sprechen und spricht dementsprechend beim deutschen Ableger des Indie-Großlabel PIAS vor.
    Man spricht nicht mit uns
    Der PR-Mann, der schon manches Interview für diese Sendung in die Wege geleitet hat, freut sich, gibt aber auch zu bedenken, dass solche Anfragen bei dieser Band mitunter schwierig und die Musiker irgendwie etwas eigen seien. Und ein paar Tage später schreibt er in hanseatischer Knappheit: "Und eben kommt die Absage, ohne Angabe von Gründen". Ratlosigkeit stellt sich ein. Wir wollen ja nicht mit den Stones sprechen, nicht mal mit Tame Impala, dem erfolgreichsten australischen Retro-Rock-Export der Gegenwart, sondern mit einer Band, die im besten Fall 2000 Leute pro Abend erreicht. Ein befreundeter Autor spendet Trost: arrivierte Medien wie Radiosender möge diese Band offenbar nicht so. So nähern wir uns diesen verschwiegenen Tonkünstlern also über ihre eigene Diskografie, und das hübsch der Reihe nach.
    Musik "Sleep"
    So klingt das erste Musikstück, das King Gizzard & The Lizard Wizard jemals veröffentlicht haben. Die Single "Sleep" erschien 2010. Sie wirkt unglaublich altmodisch, mit der verrauschten Lo-Fi-Ästhetik, dem dünnen Schlagzeugsound, dem im Hall verschwindenden Gesang, wie eine Mischung aus Small Faces, frühen Stones, vielleicht noch ein bisschen Doors. Der Bandname "King Gizzard & The Lizard Wizard" ist ja schließlich eine spielerische Abwandlung des Spitznamens von Doors-Sänger Jim Morrison: Lizard King, Echsenkönig, oder Eidechsenkönig, je nachdem, wie man ihn übersetzt. Zwei Jahre später, also 2012, erscheint nach weiteren Singles und Extended Plays mit 12 Bar Bruise das erste richtige Studioalbum der Band. Songs wie das eben gehörte "Nein" klingen dann schon etwas geordneter als die Singles zuvor, aber der nostalgische Grundton bleibt erhalten, ebenso der Hang zu jähen Lärmausbrüchen und Rückkopplungsgewittern. Immerhin mutet das nun nicht mehr wie aus dem Jahr 1965 an, sondern schon eher wie von 1968 oder gar 1969.
    2010 – eine ganze Retro-Szene entsteht
    Und es ist kein Alleinstellungsmerkmal dieser Band, sondern passt in die Zeit, in der es aufgenommen wurde. Anfang der 2010er Jahre entwickelt sich in Australien eine ganze Szene, die 60er Jahre-Rockmusik kopiert, insbesondere den so genannten psychedelischen Teil davon.
    Musik Tame Impala "Why won’t you make up your mind"
    Pond fangen 2009 an, Tame Impala ein Jahr später, King Gizzard irgendwo dazwischen. Weltweit tauchen außerdem Bands auf, die Synthiepop wie in den frühen 80er Jahren machen, und Sängerinnen und Sänger, die so klingen wollen wie alte Motown-Soul-Stars. Der britische Musikjournalist Simon Reynolds macht 2011 Furore, indem er diese Rückbesinnung oder Sehnsucht nach gestern in Grund und Boden verdammt und dem Phänomen gleich den passenden Stempel aufdrückt, mit seinem ebenso betitelten Buch darüber: "Retromania".
    Den angesprochenen Bands hat es nicht geschadet. Tame Impala spielen heute in der Top-Liga der Rockbands, wobei sich Bandchef Kevin Parker aber viel Zeit lässt zwischen den Veröffentlichungen. King Gizzard and the Lizard Wizard setzen hingegen auf Masse, vielleicht können sie auch nicht anders. Sören, unser Mann beim Plattenlabel, meint jedenfalls: die machen die ganze Zeit nichts anderes als Aufnehmen und Veröffentlichen. 2015 zum Beispiel das Album Paper Maché Dream Balloon, auf dem sich der Bandsound erstmals deutlich verändert.
    Musik "Dirt"
    Paper Maché Dream Balloon aus dem Jahr 2015 mit dem eben gehörten Song "Dirt" ist das siebte Album von King Gizzard & The Lizard Wizard und eine Ansammlung von Folkpopsongs mit Melodien wie aus Kinderliedern. Es wird herzallerliebst geträllert, die Psychedelia-Zitate rücken in den Hintergrund. Retro klingt es natürlich trotzdem.
    Die Plattenschränke unserer Eltern
    Das Aufkommen der Retrowelle in den 2010er-Jahren ist wohl kein Zufall. Einerseits bahnt sich da allmählich die totale Verfügbarkeit der Popgeschichte an, durch das Aufkommen der einschlägigen Videoportale und natürlich durch die Streamingdienste. Andererseits steht diese Musikergeneration nicht mehr unter dem Abgrenzungszwang zu ihren Eltern wie das bei Musikern der 60er und 70er-Jahre oft noch der Fall war. Auch nicht musikalisch: im Zweifelsfall haben die Eltern von Musikern wie Kevin Parker oder King Gizzard-Sänger Stu Mackenzie die Plattenschränke prall gefüllt mit Rockmusik dieser Jahrzehnte. Im Textheft von King Gizzards Album Paper Maché Dream Balloon steht denn auch gleich am Anfang ganz artig: thanks to Mom and Dad! Allerdings steht da bei der Besetzungsliste auch sehr garstig über Schlagzeuger Eric Moore – nothing.
    Musik "Paper Maché Dream Balloon"
    Ihren bisherigen schöpferischen Gipfel erreichen King Gizzard & The Lizard Wizard 2017 – quantitativ, aber – bis auf eine Ausnahme vielleicht – auch qualitativ. In diesem Jahr veröffentlichen sie gleich fünf Alben hintereinander. Und alle klingen unterschiedlich. "Flying Microtonal Banana" macht den Anfang. Die Band betritt darauf weniger stilistisches als klangliches Neuland. Denn die Musik ist mikrotonal, baut also auf Tonhöhenabständen auf, die kleiner als ein Halbton sind. Ganz genau gesagt, verwendet die Band hier eine Vierteltonstimmung, bei der Oktaven in 24 gleichgroße Tonschritte aufgeteilt sind. Das geht weit über mikrotonale Ansätze, die im Pop und Rock schon immer vorhanden waren, wenn etwa Gitarrensaiten beim Spielen nach unten oder oben gezogen werden, weit hinaus. Ursprünglich wollte die Band wohl Bouzoukis oder die türkische Saz-Laute verwenden, entschied sich aber für eigens umgebaute Instrumente. Stu Mackenzie ließ sich zum Beispiel eine Gitarre mit zusätzlichen Viertelton-Bünden anfertigen. Das Ergebnis klingt, nunja, schon irgendwie sehr orientalisch.
    Musik "Nuclear Fusion"
    Das Grauen heißt Konzeptalbum
    Mit dem zweiten dieser fünf Alben aus dem Jahr 2017 schicken die australischen Verwirrspieler von King Gizzard & The Lizard Wizard die Hörerwieder in eine komplett andere Richtung. "Murder of the universe" ist zwar in normalen Stimmungen und Tonschritten komponiert, belebt aber die Idee des Konzeptalbums – eine typische 70er-Jahre-Erfindung – wieder. Anders als frühere Stil- und Ideen-Adaptionen von King Gizzard ist diese allerdings eher misslungen. Es mag als Parodie gedacht sein, gleich drei in sich abgeschlossene Erzählstränge, ergo auch drei Konzepte auf ein Album zu packen. Man kann "Murder of the universe" auch als wissenschaftliche Abhandlung über gängige Stilmittel von Konzeptalben der 70er Jahre verstehen: die fließenden Übergänge zwischen den Songs oder Songteilen, wiederkehrende Leitmotive (in diesem Fall auch mal kaum verändert), eine enervierend überagierende Erzählerin, und nicht zuletzt die Themen selbst – der Kampf zwischen Gut gegen Böse, die Machtgier des Menschen, das Bewusstsein eines Maschinenmenschen. Themen, die wirklich schon erzählt wurden: auf I Robot von Alan Parsons, auf 666 von Aphrodites Child oder 2112 von Rush. Was auch immer es sein soll, es ist eine noch größere Plage als alle Vorbilder hintereinander zu hören.
    Musik "The Acrid Corpse"
    Die nächsten beiden Alben des Jahres 2017 – Sketches of Brunswick und Polygondwanaland klingen dann wieder vertrauter als die Eskapaden auf "Murder of the universe". "Polygondwanaland" ist dennoch besonders.
    Musik The Castle in the Air – ca 0’30’’
    Fans als Produzenten
    Diesmal verschreckt die Band statt der Hörerinnen lieber die Branche. Sie verschenkt das Album im Internet und stellt sogar die Mastertapes zur Verfügung. In der Folge sammeln einige Fans Geld und produzieren ihre eigenen Versionen von "Polygondwanaland", gleich mehrere Plattenfirmen tun es ihnen gleich. Schließlich veröffentlichen King Gizzard doch noch eine offizielle Version, auf dem mit der Band verbandelten Label "Flightless", das Schlagzeuger Eric Moore 2012 ins Leben gerufen hat, also zeitgleich zum Karrierebeginn. Genau, das ist der, dessen Beitrag zu einem früheren Album im Textheft so respektlos mit der Vokabel "nothing" beschrieben wurde. Er scheint es nicht übel genommen zu haben, denn die Besetzung ist seit 2010 konstant wie folgt: Stu Mackenzie – Gitarre, Gesang, bei Bedarf und wenn er Lust hat, Sprachrohr, Cook Graig und Joey Walker – Gitarren, Lucas Skinner – Bass, Ambrose Kenny Smith – Synthesizer, Eric Moore und Michael Cavanagh – Schlagzeug. Über die Jahre kamen weitere Instrumente dazu, zum Beispiel eine Querflöte, die zu spielen Stu Mackenzie offenbar mal eben nebenher gelernt hat. Auf "Gumboot Soup", dem fünften und letzten Album des ertragreichen Jahres 2017, gibt sie oft den Ton an. Das Ergebnis ist ein ganz fluffiger, nennen wir es mal, Psychedelic-Jazzfolk-Dreampop, fast durchgängig im Walzerhythmus oder sonstigen Dreier- und Sechser-Takten.
    Musik: "The Wheel"
    Nach dem Veröffentlichungsgewitter des Jahres 2017 legen King Gizzard & The Lizard Wizard erst einmal eine kleine Produktions-Pause ein und finden zu einer ruhigeren Schlagzahl von zwei Alben pro Jahr zurück. Anfang bis Mitte der 70er Jahre mag das für Bands üblich gewesen sein, um im Geschäft zu bleiben, heute ist das immer noch ungewöhnlich viel. Das erste heißt "Fishing for Fishies", klingt logischerweise schon wieder sehr anders als die direkten Vorgänger und erweitert das Klangspektrum der Band in Richtung Roots-Rock. Denn diesmal darf Synthesizer-Spieler und Background-Sänger Ambrose Kenny Smith mal ein neues Instrument einbringen: Mundharmonika. Durch den Kontrast zum zickigen Gesang entsteht so eine Art Kunst-Bluesrock mit Country-Folk-Anleihen, zum Beispiel im Titelsong.
    Musik "Fishing for fishies"
    Von der Bürde der Zitate schwer
    Autor: "Boogieman Sam" bringt dagegen mehrstimmigen Glamrock-Gesang nach dem Vorbild von T.Rex mit Fuzzy-Gitarren wie man sie von ZZ Top kennt, zusammen. Bis zum Gitarrensolo, denn das klingt wiederum, als hätte es die Gitarrenfraktion direkt bei Tom Morello von Rage against the machine abgelauscht.
    Musik "Boogieman Sam"
    Als wäre das alles nicht schon ausreichend zitatschwer, schert die Platte dann zwischendurch noch mit dem Birdsong in Richtung AM Gold oder Adult Orientated Rock der gehobenen Prägung aus – es ist fast schon eine Hommage an Steely Dan.
    Musik "The Bird Song"
    Der "Bird Song" vom 2019 erschienenen Album "Fishing for fishies" von King Gizzard and the Lizard Wizard aus Australien. Es klingt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wie ein Fazit der vielen stilistischen Fingerübungen, an denen sich die Band bis dahin versucht hat. Oft genug war man überrascht, manchmal verwirrt, doch was sollte jetzt noch kommen? Man hätte gewarnt sein können.
    Ein Zyniker mit Hippie-Herz
    Musik "Perihelion"
    "Infest the Rat’s Nest" erscheint nur vier Monate nach dem bluesig-verspielten "Fishing for fishies" und wirft alle Gewissheiten, die man sich bisher mühsam über die Band zusammengehört hatte, über den Haufen. Es ist ein Metal-Album, das nicht als Parodie auf das Genre gemeint zu sein schein. Was allerdings wieder typisch für King Gizzard & The Lizard Wizard ist: die Band legt sich nicht fest, welche Art von Metal sie spielt. Mal sind es bluesige Doom-Riffs wie bei den frühen Black Sabbath, dann wieder hört man ziemlich originalgetreue Metallica-Formeln. Und Sänger Stu Mackenzie gelingt es tatsächlich, sich annähernd einen James Hetfield-Ton abzuringen, was man bei seinem bisherigen Gesangsstil schlichtweg für unmöglich gehalten hätte.
    Musik "Hell"
    Noch etwas ist neu auf "Infest the rat’s nest" – die inhaltliche Düsternis. Die Menschheit steht auf Trümmern und flüchtet auf einen fernen Planeten. In einem Interview mit dem Visions-Magazin gab Mackenzie zu Protokoll, er sei schon immer ein Fan von Dystopien gewesen. Allerdings gebe es derzeit in der Popkultur ein Überangebot davon. Gleichzeitig stünde Menschheit tatsächlich am Abgrund und behandele die Natur wie ein Wegwerfprodukt. Auf die Zwischenbemerkung der Kollegen, solche Sätze könnten aus dem Mund eines Hippies kommen, sagt Mackenzie: Im Herzen bin ich auch ein Hippie, einer der möglicherweise beschädigt wurde vom eingebauten Zynismus der Menschheit. In welche Richtung ihn solche Gedanken zukünftig musikalisch führen, das wird spannend bleiben.