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Der blinde Reisejournalist Christoph Ammann
Mit anderen Sinnen recherchieren

Seit über dreißig Jahren arbeitet Christoph Ammann in der Schweiz als Reisejournalist. Vor neun Jahren aber wurde seine Sehkraft immer schlechter, bis er ein Jahr später erblindete. Trotzdem arbeitet er weiter als Journalist und findet: "Mein Journalismus ist besser geworden".

Von Dieter Wulf | 16.01.2019
    Besucher auf dem Bug des Expeditionskreuzfahrtschiffs MS Expedition betrachten sich spiegelnde Szenerie des Lemaire-Kanals auf der Antarktischen Halbinsel
    In die Arktis ist Christoph Ammann gereist, als er noch sehen konnte (imago/imagebroker)
    "Eine spektakuläre Reise war natürlich in der Antarktis, mit einem Schiff, das es mittlerweile nicht mehr in der Form gibt, zwölf Tage durch die Antarktis geschippert", erzählt mir Christoph Ammann beim Spaziergang entlang des Zürichsees aus seiner früheren Zeit, als er noch sehen konnte.
    Seit 20 Jahren ist er Ressortchef Reisen bei Tamedia und damit zuständig für die Reiseseiten gleich mehrerer Zeitungen.
    "Tamedia, das ist ein klassischer Zeitungsverlag mit der großen Tageszeitung, der Sonntagszeitung, hat aber auch noch zwei, drei renommierte Magazine. Verdient sein Geld aber heute mit Internetplattformen, wo man Partner, Häuser oder irgendwelche alten Radios suchen kann. Das Geld kommt heute von den digitalen Plattformen."
    Weil im Bereich Reise auch noch genügend Anzeigen geschaltete werden, gebe es in der Sonntagszeitung jede Woche immer noch vier bis fünf Reiseseiten.
    "Das ist die wichtigste Sonntagszeitung der Schweiz, da betreue ich den Reiseteil und danach betreue ich noch die Reiseseite, die dann über ganz viele Tageszeitungen gespielt wird."
    Innerhalb von acht Monaten erblindet
    Schon im Alter von elf Jahren hatte man ihm diagnostiziert, dass er irgendwann mal erblinden würde, weil er an einer Krankheit leidet, die auch schon seinen Vater hatte erblinden lassen.
    "Das nennt sich Retimitis Pigmentosa, das ist eine vererbte Degeneration der Netzhaut. Irgendwann steigt die Netzhaut aus, verändern sich die chemischen Prozesse, dann verliert man das Sehen. Bei mir hat dieser Prozess nur etwa acht Monate gedauert von einigermaßen halbwegs normal arbeiten und sehen können bis zur fast totalen Blindheit."
    Wegen der Diagnose hatte er damals keinen Führerschein gemacht und konnte deshalb auch nicht als Sportreporter arbeiten, weil man da oft zu den unteren Ligaspielen fahren musste - meist abends. Stattdessen wurde er Reisejournalist, tourte durch die Welt. Als die Blindheit dann doch kam, ging er zu seinem Chef und versprach, mit ein paar Hilfsmitteln den Job genau so weiter machen zu können wie bisher.
    "Er hat dann gesagt: 'Christoph, solang du deine Leistung bringst, ist es mir völlig egal wie viel du siehst. Hauptsache du machst dein Job und solange du den machen kannst und ein gutes Gefühl dabei hast, musst du dir keine Sorgen um deine Arbeit machen.'"
    Keine großen Unterschiede zu den sehenden Kollegen
    Im Büro von Tamedia im Stadtzentrum von Zürich, arbeiten die Journalisten in einem Großraumbüro. Auch Christoph Ammann. Während sich auf den Schreibtischen der anderen Kollegen Bücher, Zeitschriften und Zeitungen stapeln, hat er ausschließlich einen Laptop vor sich.
    "Jetzt bin ich auf Outlook gegangen, als eine der wenigen Journalisten bei Tamedia darf ich noch Outlook benutzen, das läuft sonst hier alles über Google, Google Drive. Für mich hat die interne IT-Abteilung eine Speziallösung kreiert, wo sie mir das Microsoft sozusagen aufs Google aufgesetzt haben, weil über Google, das funktioniert alles übers Internet und das ist sehr viel schwieriger für meine Hilfstechnik und so habe ich noch Microsoft und rufe dann meine Mails ab."
    Und das läuft genauso, wie bei den sehenden Kollegen. Nur werden die Mails eben nicht gelesen, sondern gehört. Und genauso schnell redigiert er auch die Texte, die Autoren ihm schicken. Aus einem Fahrrad wird dann das in der Schweiz gebräuchliche Velo.
    "Also das ist ein Hauptjob von mir, Texte von Deutschen einzuschweizern. Aus dem Gehsteig ein Trottoir zu machen aus der Friseuse die Coiffeurse und das ist ganz wichtig. Wir arbeiten ja sehr eng zusammen mit der Süddeutschen Zeitung und können von denen die Texte übernehmen und da muss man immer knallhart drüber, auch die scharfen ß', die Doppel-S' rausnehmen, die gibt es bei uns in der Schweiz nicht."
    "Mein Journalismus ist besser geworden"
    Natürlich gebe es bestimmte Dinge, die er heute als Blinder nicht mehr machen könne - klar. Trotzdem geht er auch heute immer auch noch selber auf Reisen und schreibt darüber, meist in Begleitung von Freunden und Bekannten. Als Journalist sei die Blindheit keine Behinderung, sondern eher das Gegenteil, findet Christoph Ammann.
    "Ich bin sicher empathisch geworden. Ich glaube ich kann mich auch besser in die Leute hinein fühlen als früher und ich bin sicher genauer, ich will einfach keine Fehler machen. Da dürfen keine Fehler passieren und ich frag schon immer sehr genau nach und lass mir alles beschreiben. Ich denke ich bin seriöser und fokussierter geworden. Mein Journalismus ist besser geworden, meine Texte sind vermutlich auch besser geworden."