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Der Brite auf dem Domplatz

Seit 93 Jahren ist der "Jedermann" fester Bestandteil der Salzburger Festspiele. Die Besetzung der weiblichen Hauptrolle wird jedes Mal zum Medienereignis hochstilisiert. In der Neuinszenierung von Julian Crouch ist in diesem Jahr Brigitte Hobmeier an der Seite von Cornelius Obonya und Peter Lohmeyer zu sehen.

Von Karin Fischer |
    Ganz zum Schluss, die Glocken läuten über einer Beerdigungsszene, stellen sich die Schauspieler in einer breiten Reihe auf. Als es still wird, brandet Applaus auf, der schnell in Standing Ovations übergeht, als das Regieteam erscheint. Salzburg hat einen heftig akklamierten neuen "Jedermann". Und es hat tatsächlich einen neuen "Jedermann".

    Julian Crouch und Brian Mertes ist das Kunststück gelungen, dem 'Spiel vom Sterben des reichen Mannes' den religiösen Rahmen zurück zu geben, ohne einen religiösen Zeigefinger zu heben. Denn es ist weniger heiliger Ernst als ernsthafter Kinderglaube im Spiel, wie sich gerade in der Schlussszene zeigt: Der Glaube in der Mitte, hoch oben; rechts und links Engel – ja, mit großen Flügeln!, unten spielt ein Oktett aus Engeln. Jedermann tritt aus dem Dom mit erlösungsseligem Blick; das alles schrammt hart am Kitsch vorbei. Vorher aber hat er eine zweite Taufe empfangen: von oben, durch den Glauben, mit Wasser aus dessen Bettpfanne. Das hat die Szene im einfachsten Ritual geerdet und die unglaubwürdige Hofmannsthalsche Schnellbleiche glaubhaft gerettet. So kommt das Regieteam dem Autor mit zauberisch einfachen Mitteln bei und gibt dem Spiel gleichzeitig wieder eine neue Mitte: Weg von der überbordenden Feier des Lebens hin zu der echten Zumutung – dass ein Mensch brutal und vor der Zeit aus dem Leben geholt wird.

    "Dass ichs nur sag, bin nit bereit /Mein Schuldbuch auch ist nit so weit./ Hätt ich für mich so zehn, zwölf Jahr / ich wollt es in der Ordnung han. / Drum aus Gotts Gnaden lass mich hier / dass ich das Ding zur Ordnung führ". - "Hier hilft kein Weinen und kein Beten / die Reis musst alsbald antreten."

    Auch wenn der alte Reim, hier wieder ziemlich original gesprochen, immer wieder heftig klappert: Der Tod ist natürlich unbestechlich und der pennälerhafte gute Gesell nicht zum Mitkommen zu bewegen. Jeder tritt diese Reise ganz alleine an, und täte schon deshalb gut daran, so etwas wie den Glauben im Gepäck zu haben, lautet die gut verdaubare Botschaft.

    Cornelius Obonya ist vielleicht nicht viriler, aber agiler als sein Vorgänger Peter Simonischek, und er trägt im Gesicht die Verlebtheit des alten Sünders genauso wie den spitzbübischen Ausdruck von Lebensfreude, Genuss und Schmäh. Der erste Schrecken geht noch im Festgelage unter, danach darf er ausgiebigst jammern und sich ängstigen.

    Seine Buhlschaft Brigitte Hobmeier kommt mit dem Fahrrad und in einem Kleid, das aussieht wie ein weich gezeichnetes Mohnfeld. Später macht sie auf Salome und schwingt den überweiten roten Rock um Obonya wie ein Torero das Tuch. Beeindruckend, wie diese Schauspielerin ihrem kurzen Auftritt den eigenen Stempel aufrückt und Charakter zeigt, von selbstbewusst frech bis trostlos verzweifelt.

    Weitere Ingredienzien dieser wunderbaren Neuinszenierung: Musik, die illustriert kommentiert, ohne platt zu wirken. Riesige Masken, die wie beim Kasperletheater auf viel zu kleinen Darstellerkörpern sitzen. Mammon ist eine fette Glatzkopfpuppe. Beim großen Festgelage sind die 20er-Jahre in den Kostümen ebenso präsent wie der englische Bowler-Hat oder die venezianische Harlekinade. Die einfachen, spielerischen Bilder aber überwiegen: Gott der Herr ist ein Kind, das aus einer riesigen Flüstertüte spricht. Ein paar Bäume kommen vorbei. Der überlange Tod – Peter Lohmeyer glatzköpfig und ganz in kalkweiß gewandet -, trägt langsam ein totes Kind über die ganze Bühnenbreite. Die schönste Szene aber hat Sarah Viktoria Frick als "Werke", die als kleinwüchsige, unterernährte Mini-Gliederpuppe mit viel zu großem Kopf den sich neben ihr zusammen kauernden, wimmernden Jedermann doch zu trösten vermag. Es gibt sogar einen richtigen Toten-Tanz!

    Die Ironiezeichen, die Christian Stückl setzte, sind allesamt verschwunden, der Charakter des bäuerlichen Volksstücks auch; dieser "Jedermann" ist ein sehr altes Stück in modernem Theatergewand, dessen Spielfreude und Bildhaftigkeit in englischen Traditionen fußt. Doch natürlich ist der "Jedermann" in Salzburg mehr als ein Theaterstück mit frommer Botschaft. Er ist eine Institution, ein Ritual für die Festspielbesucher und eine Bank für die Festspiele selbst, die mit dieser neuen Inszenierung wieder sicher jede globale Krise überstehen. Too big to fail, das gilt trotz des immer schnelleren Verschleißes von Führungspersonal ganz sicher für den "Jedermann", gerade in diesem Jahr.