Die britische Fernsehindustrie ist traditionsbewusst: Zur besten aller britischen Fernsehsendungen hat sie "Fawlty Towers" gekürt, die Geschichte des verschrobenen Hotelbetreibers Basil Fawlty, gespielt von John Cleese, der seine Mitarbeiter drangsaliert und keinesfalls vom Krieg reden will, wenn die deutschen Besucher kommen — und am Ende nichts anderes tut als das. In einer Umfrage des British Film Institute unter Fernsehschaffenden von 2000 führt der Klassiker aus den 70er-Jahren die Liste der 100 besten TV-Sendungen an.
"Und die Serie hat nicht einmal besonders viele Folgen. Das ist eine der Sendungen, deren Wirkung den Umfang bei weitem überschreitet", sagt Ed Hall, Brancheninsider vom Beratungsunternehmen Expert Media Partners, das zahlreiche große Medienhäuser zu ihren Kunden zählt.
"Schon immer früh auf neue Entwicklungen reagiert"
Hall hat selbst lange Filme für britische Sender produziert. Es ist seiner Ansicht nach auch die schelmische Kreativität im Stil von Fawlty Towers, die den britischen TV-Markt groß gemacht hat.
"Das Vereinigte Königreich ist ein sehr starker Rundfunkmarkt. Finanziell ist es der größte Markt in Europa. Großbritannien hat immer schon früh auf neue Entwicklungen reagiert, zum Beispiel Mehrkanal-Fernsehen, Video-on-demand oder Abo-Dienste. Und der Markt wirft beachtliche Einnahmen ab."
Der Umsatz in der britischen Fernsehindustrie lag der Regulierungsbehörde Ofcom zufolge 2017 bei 13,6 Mrd. Pfund, rund 15,5 Mrd. Euro. Mehr als die Hälfte davon wurde wieder in die Kreation neuer Programme gesteckt.
Britische Serien-Exportschlager
Die audiovisulelle Industrie zusammengenommen kam nach Angaben der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle 2016 auf gut 23 Mrd. Euro, verglichen mit rund 88 Mrd. Euro, die in den anderen EU Staaten erwirtschaftet wurden — und das Königreich lebt zu einem beträchtlichen Teil vom Verkauf seiner Programme ins Ausland.
Zu den Exportschlagern gehören die BBC-Produktion "Sherlock" und die Netflix-Serie "The Crown" über das britische Königshaus. John McVay ist der Chef von Pact, des britischen Branchenverbands unabhängiger Film- und Fernsehproduzenten.
"In die EU geht etwa ein Drittel unserer Exporte, sie ist also ein wichtiger Absatzmarkt. Der EU-Markt ist allerdings auch schon relativ gesättigt. Unsere Exporte wachsen eher im Rest der Welt, in Lateinamerika, Asien und Nordamerika."
Dank der lebendigen Filmindustrie Großbritanniens werden dort 16 Prozent aller EU-Filme produziert. Was die anderen Länder anhand vieler britischer Angebote auf dem Bildschirm zu spüren bekommen: Der Marktanteil an britischen Film- und Medieninhalten in der EU beträgt 21 Prozent.
Viele große US-Medienkonzerne in London
Großbritannien beherbergt drei der größten zehn Konzerne der Branche in Europa: die Sender Sky, BBC und ITV.
"Wir hatten immer einen sehr starken öffentlichen Rundfunk durch die BBC, die bald 100 Jahre alt wird und immer öffentlich finanziert wurde. Dazu gab es dann immer wieder Interventionen von Regierungen aller politischen Richtungen, um durch kommerzielle Anbieter Konkurrenz für die BBC zu schaffen. Auch Channel 4 kam hinzu, ein kommerzieller Sender, der in öffentlichem Besitz ist."
Dazu kommt, dass sich die großen US-Medienkonzerne in Großbritannien niedergelassen haben, von Discovery über Walt Disney, Turner, Viacom und 21st Century Fox. Der Markt in London profitiert besonders von den größten Unternehmen in der EU: 27 Prozent ihrer Umsätze machen sie im Vereinigten Königreich. Ed Hall zufolge hängt das damit zusammen, dass London Sendern und Produzenten eine ordentliche Verwaltung und ein gutes Geschäftsumfeld bieten konnte.
"Großbritannien hatte von Beginn an eine starke Regulierungsbehörde. Aber natürlich hatten wir auch einen relativ liberalen Markt und attraktive Steuern. Wenn man das mit dem kreativen Teil zusammenfügt, war London die offensichtliche Wahl."
Was Großbritannien bisher zugute kam, war eine EU-Regulierung, wonach audiovisuelle Medienhäuser, die in einem EU-Mitgliedstaat zugelassen sind, in allen anderen 27 Mitgliedstaaten frei weiterverbreitet werden dürfen. Für die Mehrheit nicht-europäischer Anbieter fiel die Wahl auch deswegen auf London. Durch den Brexit müssen sie zumindest einen weiteren Standort in der EU finden.