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"Der Bund der Vertriebenen ist dafür nicht qualifiziert"

Anlässlich der heute beginnenden Berliner Ausstellung zum Thema Flucht und Migration hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel betont, ein solches Gedenken wäre eine öffentliche Aufgabe und könnte nur in Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn verwirklicht werden. Es gehe nicht an, dass das Projekt vom Bund der Vertriebenen beziehungsweise der neu gegründeten Stiftung als Träger gestaltet werde.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Wir haben vor den Nachrichten über die Ausstellung berichtet, die heute in Berlin eröffnet wird. "Erzwungene Wege" heißt sie, zu sehen ist sie im Kronprinzenpalais unter den Linden und sie will einen Überblick über die Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts geben. Geht es nach dem Bund der Vertriebenen und seiner Präsidentin Erika Steinbach, dann soll aus der Ausstellung einmal das lange schon angestrebte Zentrum gegen Vertreibung werden, eine Informations- und Gedenkstätte. Am Telefon ist nun der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, der dieser Absicht der Vertriebenen schon lange skeptisch gegenüber steht. Guten Morgen Herr Meckel!

    Markus Meckel: Guten Morgen Herr Spengler!

    Spengler: Herr Meckel, die Große Koalition hat ein sichtbares Zeichen gegen die Vertreibung in Berlin angekündigt. Könnte diese Ausstellung und ein daraus erwachsenes späteres Zentrum zu einem solchen Zeichen werden?

    Meckel: Also das warten wir mal ab. Diese Ausstellung, die heute eröffnet wird, ist durchaus kompatibel mit dem, was gegenüber schon gezeigt wird.

    Spengler: Da ist eine zweite Ausstellung.

    Meckel: Eine zweite Ausstellung, die im früheren Zeughaus ist, im Haus der deutschen Geschichte, und da hat das Haus der Geschichte Bonn eine Ausstellung gemacht, die speziell die Geschichte der Deutschen in den Blick nimmt, aber auch die Integration dann der Vertriebenen in der Nachkriegszeit in beiden deutschen Staaten, und hier ist in einem eigenen Kapitel eben auch davon die Rede, dass es unterschiedliche Vertreibungen im 20. Jahrhundert gegeben hat, und dieser Aspekt wird nun von der neuen Ausstellung verstärkt durch den Blick auf andere europäische Vertreibungen, und das ist durchaus ein vernünftiges Projekt. Aber ich denke, man muss dies deutlich unterscheiden von dem, was als Zentrum gegen Vertreibung vom Bund der Vertriebenen geplant ist.

    Spengler: Gut, aber aus diesen Ausstellungen, vielleicht sogar aus beiden heraus, könnte dann vielleicht doch einmal ein solches Zentrum werden, oder?

    Meckel: Also jedenfalls muss man deutlich sagen, dass diese Koalition ein Zentrum gegen Vertreibung in der Trägerschaft des BdV ablehnt und nicht machen wird.

    Spengler: Warum?

    Meckel: Weil wir der Meinung sind, dass ein Erinnern an die Vertreibungen eine öffentliche Angelegenheit ist, die in staatlicher Hand geschehen sollte, und deshalb wollen wir dieses Erinnern als sichtbares Zeichen in Berlin deutlich machen im Kontext und im Dialog mit unseren Nachbarn, und beides wiederum ist wichtig. Deshalb sagen wir, ein Zentrum gegen Vertreibungen des BdV lehnen wir ab, wir wollen aber diese Geschichte miteinander bearbeiten im Dialog, im Gespräch mit Polen, Tschechien und anderen in Europa, die unter ähnlichem Schicksal gelitten haben. Und zum Zweiten wollen wir in Berlin deutlich machen, dass dies ein Teil unserer Geschichte ist, und deshalb kann ich mir durchaus vorstellen, dass diese Ausstellung, die da jetzt gegenüber steht, aber auch das, was Frau Steinbach hier gemacht hat, Teil einer solchen gemeinsamen Ausstellung als öffentliche Ausstellung sein könnte, aber jetzt kein Zentrum gegen Vertreibung in der Hand des BdV, denn der BdV ist dafür nicht qualifiziert.

    Spengler: Hatten Sie denn den Eindruck, dass der BdV das sozusagen als eine Veranstaltung nur von ihm selbst geplant hatte?

    Meckel: Natürlich, die haben ja dafür eine eigene Stiftung gemacht, die diesen Titel auch trägt. Dem soll jetzt in einem ersten Schritt Vorschub geleistet werden, und ich muss gestehen, diese Ausstellung, soweit ich sie kenne - ich habe sie noch nicht gesehen, aber ich habe die Konzeption vorher gesehen -, finde ich vieles ja in Ordnung. Man wird darauf achten müssen, wie die Abgrenzung zwischen Vertreibungen und Genozid dann dort genau dargestellt wird. Das kann ich noch nicht einschätzen, weil es da ja deutliche Differenzen gibt, und der BdV neigt manchmal dazu, Vertreibungen pauschal auf eine Ebene mit Genoziden zu stellen. Aber ich will nicht behaupten, dass diese Ausstellung dies tut, das wird man sich ansehen müssen. Grundsätzlich muss noch mal klar sein, eine künftige Ausstellung in Berlin muss eine Ausstellung in öffentlicher Hand sein, der BdV selber hat eben ein leider sehr schiefes Bild, und gerade in diesen Tagen bestätigt sich das noch einmal neu, weil eben die Preußische Treuhand, die ja von wichtigen Funktionären des BdV geleitet wird, jetzt angekündigt hat, Eigentum in Polen vor dem Europäischen Gerichtshof einzuklagen, ein Projekt, das die Bundesregierung deutlich ablehnt und wo sie erklärt hat, dass sie mit Polen gemeinsam dagegen auftreten wird. Insofern diskreditiert sich der BdV in dieser Hinsicht leider nach wie vor, und deshalb wird es ein solches Projekt in der Trägerschaft des BdV nicht geben können.

    Spengler: Also Sie vermuten doch, hinter dem ganzen Streit steht eine sozusagen revisionistische Absicht des Bundes der Vertriebenen, also dass man die sozusagen Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges nicht akzeptiert?

    Meckel: Nein, ich unterstelle das Frau Steinbach nicht. Das muss ich so sagen, ihr unterstelle ich das nicht, aber das Bild, das durch solche Aktionen über den BdV geschaffen wird in den Nachbarländern, qualifiziert den BdV als eine Institution, mit der so etwas nicht geht, und damit auch Frau Steinbach, die ja nun die Vorsitzende beider Institutionen ist, sowohl dieser Stiftung des Zentrums gegen Vertreibungen und auf der anderen Seite des BdV, und wenn der BdV ja sagt, der hat sich davon distanziert, dann müsste er das, wie ich finde, sehr viel deutlicher tun, etwa indem man solche Leute wie Herrn Pawelka der Funktion im BdV enthebt. All dies ist bisher nicht in ausreichender Weise geschehen. Und außerdem fände ich es wichtig, dass der BdV sich intensiver mit seiner eigenen Geschichte auseinandersetzt, etwa die Tatsache, dass es da immer wieder sehr viel Skepsis gegeben hat gegenüber der Mitgliedschaft Polens und Tschechiens in der Europäischen Union. Dies wirkt in diesen Ländern noch nach, so dass, wie gesagt, der BdV sich als Träger für eine solche Institution disqualifiziert hat.

    Spengler: Herr Meckel, nun sagen Sie, man müsse das in Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn, also mit Tschechien, mit Polen machen. Glauben Sie denn, dass mit dieser derzeitig so national orientierten polnischen Regierung man sich tatsächlich auf ein gemeinsames Zentrum einigen könnte?

    Meckel: Ich denke nicht, dass es erstmal um ein gemeinsames Zentrum geht. Es geht um Dialog, es geht um Prozesse, es geht um gemeinsame Veranstaltungen. Dies wollen wir im Rahmen eines Netzwerkes ja auch tun, das ist ausgesprochen schwierig, gerade mit der jetzigen polnischen Regierung, und übrigens auch bei dem jetzigen tschechischen Präsidenten ist es nicht einfach. Aber so etwas ist eben ein langer, schwieriger Prozess. Man weiß ja, wie es geht, wenn schwierige Geschichte im eigenen Land aufzuarbeiten ist.

    Spengler: Das habe ich jetzt aber nicht verstanden, Herr Meckel. Geht es jetzt doch nicht um ein Zentrum, geht es nur um einen Dialog oder geht es um ein Zentrum?

    Meckel: Es geht um einen Dialog und es geht um ein sichtbares Zeichen, dies sind zwei Dinge in diesem gleichen Prozess, aber es geht nicht um ein Zentrum gegen Vertreibungen, dies plant die Bundesregierung nicht.

    Spengler: Warum nicht? Ich meine, wir haben zum Beispiel Gedenkstätten zum Holocaust, wir haben Gedenken demnächst der Sinti und Roma, der Mauertoten, warum nicht auch der Vertreibungen?

    Meckel: Wir haben ... , wir planen ein sichtbares Zeichen. Was es konkret sein wird, ist noch nicht klar. Deutlich ist, dass die Vorschläge auf dem Tisch liegen aus der Ausstellung des Hauses der Geschichte mit möglichen Erweiterungen, nachdem es auch in Polen und Tschechien gezeigt wurde und international diskutiert wurde, eine entsprechende Ausstellung in Berlin zu machen. Das sind Vorschläge, die ich für gut halte. Es ist aber gleichermaßen klar, dass dieses ein Teil der deutschen Geschichte ist, die ja auch sonst im Historischen Museum gezeigt wird, so dass wir ein solches Zentrum, ich sage es noch mal, in der Gestalt, wie es sich Frau Steinbach [wünscht], nicht wollen, sondern wir wollen einen dialogischen Prozess der Aufarbeitung dieser schwierigen Geschichte mit den Nachbarn, auch wenn das schwierig ist und lange dauert.

    Spengler: Könnten Sie mir doch noch mal versuchen zu erklären, warum Sie dieses Zentrum nicht wollen, jetzt unabhängig vom Bund der Vertriebenen, warum Sie nicht innerhalb eines Zentrums dieses Verbrechen, es ist ja wohl auch ein Verbrechen gewesen, wenn 15 Millionen Deutsche vertrieben worden sind, dieses Verbrechen gedenken wollen?

    Meckel: Ich sage, ich will diese Ausstellung, aber ich meine, Sie machen sich an dem Begriff des Zentrums fest. Dieser Begriff Zentrum gegen Vertreibungen ist durch die Geschichte der letzten sechs Jahre an den Bund der Vertriebenen gebunden, und das Bild, das er auch im Ausland darüber gegeben hat, und dies ist ein Bild, das in Verruf geraten ist, weshalb es nicht geht, weshalb wir dies so nicht wollen.