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Der CDU-Skandal

Remme: An neuen Einzelheiten zur CDU-Spendenaffäre hat es auch an diesem Wochenende nicht gemangelt. Einiges klingt abenteuerlich; doch daran hat an sich inzwischen gewöhnt. Andere Einzelheiten scheinen nachvollziehbar - Puzzleteile quasi eines Millionenbetrugs mit zahllosen Facetten. Noch ist das Puzzle nicht vollständig gelegt, einige Teile sind vielleicht für immer verschwunden. Und das Bild, das entsteht, sieht längst nicht für alle gleich aus. Was für die einen lediglich eine Parteikrise, ist für andere eine Staatskrise. Mal steht die CDU allein am Pranger, mal fällt der Blick auch auf den Filz in Nordrhein-Westfalen – an Heinz Schleußer vorbei auf Bundespräsident Johannes Rau. Rücktrittsforderungen sind zu hören, aber vor allem Stimmen, die zur Vorsicht mahnen und auf die besondere Würde des höchsten Amtes im Staate verweisen. Was der Wähler, vor allem der westdeutsche, über all das denkt, das werden wir wohl durch die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen erfahren. Am Telefon ist nun Richard Schröder, ostdeutsches SPD-Mitglied und Theologe. Guten Morgen Herr Schröder.

    Schröder: Guten Morgen.

    Remme: Herr Schröder, Wilhelm Finnis, der renommierte Politikwissenschaftler sagt: 'Natürlich ist dies mehr als eine Parteikrise. Es ist eine Staatskrise und darüber hinaus eine Gesellschaftskrise'. Stimmen Sie zu?

    Schröder: 'Gesellschaftskrise' kommt mir zu hochgegriffen vor, aber die Aufregung ist zurecht ungeheuer groß, und was da gelaufen ist mit den Millionen, das ist wirklich unsäglich; das muss man schon sagen.

    Remme: Was ist denn für Sie das eigentlich Erschreckende an den Ereignissen rund um die CDU-Finanzen?

    Schröder: Also, dass hier mit Geldern Macht ausgeübt wird, die in finsteren Kanälen wandern und das Licht der Öffentlichkeit scheuen müssen, das ist das Hauptärgernis. Politik kostet auch Geld, aber die Vorschriften sind so, dass das Geld, das dabei fließt, auch bekannt sein muss. Das ist das Ärgerliche daran, dass hier Geld – schwarzes Geld – für Machtausübung benutzt wird, zunächst ja, um innerparteilich Stimmung für Kohl zu machen.

    Remme: Ärgerlich lediglich?

    Schröder: Nein, nein. Das Wort 'ärgerlich', das ist vielleicht zu harmlos. Es ist ein Skandal, wie ihn die Bundesrepublik bisher offenbar noch nicht gesehen hat, denn die Flickaffäre ist wohl offenbar das 'Vorspiel' nur im Vergleich, was da jetzt läuft.

    Remme: Was würden Sie Helmut Kohl sagen, wenn Sie die Gelegenheit hätten?

    Schröder: Was auch andere ihm schon gesagt haben. Man kann nicht sein Wort auf einen Amtseidbruch geben. Er hat ja sein Wort selber entwertet, wenn er sagt: 'Ich habe mein Wort gegeben, dass ich einen Rechtsbruch nicht aufkläre'. Das ist völlig absurd.

    Remme: Jürgen Rüttgers und Richard von Weizsäcker haben in der vergangenen Woche Konsequenzen dieses Skandals empfohlen; die gemeinsame Zielrichtung war ein drastisch verringerter Einfluss der politischen Parteien auf viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. In welchen Bereichen halten Sie denn dies für besonders geboten?

    Schröder: Es gibt ja einen sogenannten 'gesellschaftlichen Bereich'. Ein gutes Beispiel sind die Rundfunkräte. Dort sollen renommierte Personen des öffentlichen Lebens kontrollieren, was im Rundfunk geschieht. Das wird nach Parteienproporz verteilt, obwohl nirgends steht, dass das so sein muss. Da gibt es also Felder, wo die Parteien sich Einfluss verschafft haben, der in der Verfassung so gar nicht vorgesehen ist.

    Remme: Wie kann denn ein solcher Rückzug durchgesetzt werden?

    Schröder: Nun, bei der nächsten Wahl des Rundfunkrates. Ich meine, es müsste ein Einverständnis dafür bestehen, dass man hier nach unabhängigen Persönlichkeiten schaut und nicht nach dem Parteienproporz verfährt.

    Remme: Halten Sie es für realistisch, dass die Parteien freiwillig auf diesen Einfluss verzichten?

    Schröder: Parteien brauchen Wähler, und wenn Wähler sagen, 'das und das fordern wir', dann werden Parteien sich auch bewegen können. Aber solche Forderungen müssten dann auch präzis und laut erhoben werden.

    Remme: Die Debatte um die Parteienfinanzierung, Herr Schröder: Müssen sich hier alle Beteiligten 'nur' – in Anführungsstrichen – an Recht und Gesetz halten, oder müssen neue Bestimmungen her?

    Schröder: Das glaube ich nicht, dass neue Bestimmungen her müssen. Der Vorschlag, dass juristische Personen nicht spenden sollen, sondern nur Einzelpersonen, der leuchtet mir ein, weil dadurch die Wirklichkeit, dass gewaltige Gelder der Industrie fließen, reduziert wird. Solch ein Vorschlag würde mir noch einleuchten. Sonst geht es ja hier darum, dass bestehende Gesetze nicht eingehalten worden sind. Und das Publikum neigt immer wieder dazu, wenn es einen eklatanten Rechtsbruch gibt, das Recht zu verändern. Aber verändert werden muss eigentlich die Durchsetzung des Rechts.

    Remme: Herr Schröder, Johannes Rau, der Bundespräsident, hat nach Bekannt werden der Vorwürfe lange geschwiegen. Viele haben ein klares Wort vermisst - erst vor wenigen Tagen dann wenige Sätze in Tutzing. Hat der Bundespräsident hier eine Chance vertan?

    Schröder: Das kann wohl sein, dass er durch ein deutlicheres und schnelleres Agieren verhindert hätte, dass die Diskussionen jetzt so laufen wie sie laufen, nämlich da wird gebohrt und gebohrt, ob da nicht doch mehr war. In meinen Augen sind die Dinge, die bisher bekannt geworden sind, was sogenannte private Flüge betrifft, kein Grund, ihm eine Rücktrittsforderung aufzutischen.

    Remme: Ich meinte jetzt seine Bemerkungen – zunächst einmal auf die CDU bezogen. Denn hier ist doch ein Bundespräsident in der größten Parteienkrise, die wir bisher in dieser Republik erlebt haben, gefragt.

    Schröder: Das ist wohl war. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn er sich da zu diesen Sachen schneller geäußert hätte. Das ist richtig, das sehe ich genau so.

    Remme: Dann kommen wir auf die anderen Aspekte zu sprechen, denn die Frage liegt ja nahe: Ist die Zurückhaltung des Bundespräsidenten möglicherweise darin begründet, dass er selber beschäftigt ist, Vorwürfen aus seiner Zeit als Ministerpräsident zu begegnen?

    Schröder: Also, es gibt in diesem Zusammenhang jedenfalls zwei Dinge, die geklärt werden müssen und nicht in Ordnung sind. Das eine ist eine Frage, die die Regierung direkt angeht - die nordrhein-westfälische -, warum eine Landesbank eine so unsolider Fluggesellschaft beschäftigt. Ich denke, die können rechnen. Und die zweite, interessantere, wichtigere und brisante Frage: Warum eine Landesregierung ihre Flüge bzw. ihre Dienstflüge über eine Bank abwickelt, statt die Flugkosten ganz direkt in den Haushalt zu stellen. Und da beschwert sich natürlich zurecht das nordrhein-westfälische Parlament: 'Ihr habt Eure Flüge an unserer Haushaltskompetenz vorbei finanziert'. Das muss geklärt werden. Aber es geht ja hier in der Regel um ganz etwas anderes, nämlich ob Johannes Rau irgendwie Machtmissbrauch betrieben habe oder sich bereichert habe. Das kann ich so nicht sehen.

    Remme: Hat er sich etwas vorzuwerfen?

    Schröder: Im weiteren Sinne ist er natürlich als Ministerpräsident für diese Finanzierungspraxis schon mitverantwortlich gewesen, aber nicht in dem Sinne, wie das etwa bei Herrn Schleußer ja nun auch tatsächlich nachgewiesen ist, dass er Unkorrektheiten in der Benutzung von Flugzeugen sich vorwerfen lassen muss.

    Remme: Wie bewerten Sie denn die Aufklärungspraxis des Bundespräsidenten oder aber seiner Anwälte, wenn da Flüge auf Listen zusammengestellt werden, aber es wird nicht auf mögliche Konfliktpunkte, die jetzt für Schlagzeilen sorgen, hingewiesen, nämlich auf die Verquickung von dienstlich, parteilich und privat?

    Schröder: Die Einforderung einer messerscharfen Trennung von privat und dienstlich - wenn das zum Beispiel so läuft: 'Herr Ministerpräsident, Ihre Urlaubspläne müssen Sie umstürzen, da kommt noch ein Termin aus England dazwischen, Sie müssen dann von England direkt in den Urlaub fliegen' – bei solchen Abläufen nun zu sagen: 'Ja, dann war aber nun der Rückflug von Dienstag im Grunde schon zur Hälfte privat' – also, wissen Sie, wir beanspruchen unsere Spitzenpolitiker in einem solchen Maße an Terminen – 'Sei hier', 'Sei dort' –, dass ich es für weltfremd halte und für eine Art Enthüllungsfieber, dass nun gekuckt wird, ob so und soviel Kilometer einer Dienstreise vielleicht doch privat waren oder ob zwei Termine, von denen einer parteipolitisch bezogen war, sich nicht hätte in der Aufteilung des Flugpreises niederschlagen müssen. Das halte ich nun wirklich für unangemessen, diese Art von Rechnerei.

    Remme: Herr Schröder, ist es gesund für die politischen Verhältnisse in einer Demokratie wie der unseren, wenn Männer, wie Helmut Kohl oder auch Johannes Rau – hier ist die Parallele wohl unstrittig – so lange ein und dasselbe Amt bekleiden?

    Schröder: Also, bei Johannes Rau handelt es sich ja um einen Wechsel. Normalerweise ist das Amt des Bundespräsidenten vergeben worden an jemanden, der lange politische Erfahrung gehabt hat. Es kann hier also nur die Frage gestellt werden, ob jemand so lange Ministerpräsident bleiben soll, - der Wechsel zum Präsidentenamt ist eine andere Sache. Bei Helmut Kohl liegt es ganz offensichtlich daran, dass er sich an die Macht in einer Weise gewöhnt hat, dass er das für seine Privatsache schon hält. Und ich denke, der Filz in Nordrhein-Westfalen ist auch eine Folge von allzu langer Machtausübung, nicht speziell unbedingt durch Johannes Rau, sondern eine so lange SPD-Regierung ist genau so gefährlich wie eine urlange CDU-Regierung. Da scheint sich jedes Mal Filz zu bilden, weshalb man sich da so einen Wechsel, mindestens wechselnde Koalitionen oder so etwas, nur wünschen kann.

    Remme: Eine Frage zum Schluss, Herr Schröder: Ich sagte eingangs, dass die Reaktionen vor allem der westdeutschen Wähler natürlich bei den Landtagswahlen erfolgt. Gibt es eine spezifisch ostdeutsche Reaktion auf diese Skandale?

    Schröder: Also, für alle Ostdeutschen kann ich nicht sprechen. Aber jemand hat gesagt: 'Na, wenn das in der DDR passiert wäre – erst mal wären es ein paar Nullen weniger gewesen, aber rausgekommen wäre das nie'. Und in der Tat: Die Skandale, die es da gegeben hat – Bereicherung von Politikern und so etwas –, sind ja in der Tat erst mit dem Zusammenbruch der DDR ans Licht gekommen. Das ist schon ein interessanter Unterschied, dass dieses politische System unter Schmerzen die Skandale zum Vorschein bringt.

    Remme: Der ostdeutsche SPD-Politiker und Theologe Richard Schröder. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Schröder: Auf Wiederhören.