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Der Clan der Bin Ladens

Wer ist dieser Osama bin Laden, der Kopf der Terrorgruppe El Kaida? Steve Coll, zweifacher Pulitzer-Preisträger, hat den Versuch unternommen, seinen Weg in den Terrorismus zu verknüpfen mit der Geschichte seines Familien-Clans. Herausgekommen ist ein detailreiches Werk über den Aufstieg einer arabischen Unternehmerdynastie von purer Armut zu märchenhaftem Reichtum. Eine Rezension von Rudolph Chimelli.

19.05.2008
    Wäre nicht der finstere Ruhm des Osama Bin Laden - von tausend Menschen auf Erden hätten sich 999, die keine Geschäfte mit Saudi-Arabien tätigen, niemals für dessen Großfamilie interessiert. Aber Medien und Terroristenfurcht haben ihn zu einem der großen Akteure der Weltpolitik gemacht. So konnte der amerikanische Autor Steve Coll auf 700 Seiten den Versuch unternehmen, die historischen und sozialen Verhältnisse auszuleuchten, die den Guru des islamistischen Untergrunds und Helden arabischer Volks-Phantasien hervorbrachten.

    Heraus kam eine doppelte Geschichte: die des Hauses Saud und Saudi-Arabiens Aufstieg zur Erdöl-Supermacht und die der Bin Ladens zu einer der großen Unternehmerfamilien des Königreichs.

    Der Staatsgründer Abdul-Asis Ibn Saud hatte zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit einer Handvoll Stammeskrieger Riad erobert. Gestützt auf den puritanischen Islam des Wahabismus und seine religiösen Bruderschaften unterwarf Abdul-Asis in der Folge die meisten Stämme der Arabischen Halbinsel - oder verband sich mit ihnen durch Heiraten.

    Als er schließlich das Hedschas, den Westen des heutigen Saudi-Arabiens, in seine Hand brachte, wurde er zum Herrn von Mekka und Medina, der heiligen Stätten des Islam. Bis zu seinem Tod im Jahre 1953 hatte er 50 bis 60 Kinder gezeugt. Und bis in den 30er Jahren Erdöl gefunden wurde, war Abdul-Asis ein armer König.

    Mohammed Bin Laden, Osamas Vater, war als mittelloser, analphabetischer Maurer aus dem damals britischen Hadramaut im Südjemen zugewandert. Durch Fleiß, Geschick und sein ganz besonderes Talent, sich der Herrscherfamilie gefällig zu machen, brachte er es zu fabelhaftem Reichtum. Er hinterließ 25 Söhne und 29 Töchter von 22 Frauen: Einer von ihnen ist Osama.

    Der junge Mohammed Bin Laden sang und tanzte am Abend mit Landsleuten aus dem Hadramaut auf den Strassen von Dscheddah. Für den fröhlichen, geschickten Mann wurde bald alles zu Gold. Er konnte mit Menschen umgehen und machte sich den König gewogen. Der hünenhafte Abdul Asis war alt, beinahe blind und unbeweglich geworden. Bin Laden baute ihm einen bescheidenen Palast mit einer Rampe, auf welcher der Monarch zu seinem Empfangsraum und zum Schlafzimmer im ersten Stock emporfahren konnte.

    Das große Geschäft aber begann mit Autostraßen, die es in dem riesigen Reich kaum gab. Bin Laden übernahm den ersten Auftrag und die Maschinen von einem Briten, der es nicht geschafft hatte. Selber versprach er lächelnd alles, hielt das meiste und hatte bald eine Art Monopol für öffentliche Arbeiten im Lande der Sauds. Die Erweiterung der großen Moscheen von Mekka und Medina, die dem Ansturm von Millionen Pilgern angepasst werden mussten, machten ihn zum Milliardär. Von Rivalitäten der Königsbrüder hielt er sich fern.

    "Sie sind alle Söhne von Abdul Asis und werden sich nicht weh tun. Ich bin kein Königssohn. Mein Kopf könnte rollen",

    soll bin Laden Senior einmal zu einem libanesischen Freund gesagt haben.

    Seine Privatflugzeuge nutzte Bin Laden senior wie Taxis, als dies noch völlig unüblich war. Als frommer Muslim war er stolz darauf, dass er einmal am selben Tag in Jerusalem, das damals noch nicht israelisch besetzt war, in Medina und in Mekka gebetet hatte. Sein tödlicher Flugzeugabsturz war eine Katastrophe für das Königreich. Auf Jahre hinaus verbot der König allen Bin Ladens, zu fliegen.

    Die Kinder des Stammvaters Bin Laden hatten Mütter ganz verschiedener nationaler und sozialer Herkunft. Sie wurden unterschiedlich ausgebildet, an arabischen Hochschulen, in den USA oder Europa. Einige wurden versierte Geschäftsleute oder Techniker, andere nur reiche Faulpelze. Allen gemeinsam gehört immer noch die Bin Ladin Group, wobei nach den Ermittlungen Steve Colls der Anteil jedes der 25 Söhne vor zwei Jahrzehnten 38 Millionen Dollar wert war.

    Osama, der angeblich sprudelnde Geldbrunnen des Terrorismus, wäre also nicht so reich wie meistens angenommen. Andere Quellen setzten sein Vermögen vor seinem Untertauchen in Afghanistan freilich mit 300 Millionen Dollar an. Auf die Frage, ob er auch nach Verstoßung durch die Familie von dieser immer noch Geld bekomme, sagte seine Ex-Schwägerin Carmen, die geschiedene Frau seines Halbbruder Yeslam, vor drei Jahren zu Paris Match:

    "Ja, er bekommt immer noch Geld in bar. Selbst wenn es wahr wäre, dass seine Brüder ihm die Mittel abgeschnitten haben, was ich bezweifle, ist jeder bereit, ihm im Namen des Islam Geld zu geben. Osama braucht nicht zu sagen: 'Ich muss so und so viele Millionen haben, um eine Botschaft in die Luft zu sprengen.' Es genügt, dass er Geld verlangt, um eine Schule zu gründen oder um den Islam in der Welt bekannt zu machen, und er bekommt es."

    Zwei Brüder Osamas machten die Firma Bin Laden nach dem Tod des Vaters zum Weltunternehmen. Es wurde immer nur von einem einzigen patriarchalisch geführt, den die anderen mit "Scheich" titulieren: Zunächst Salem, der sich in Rock-Musik versuchte, mit Vorliebe in Amerika lebte und einen Riecher fürs gute Geschäft hatte. Seine vielen Freundinnen ließ er wie in der Boulevard-Komödie "Boeing Boeing" nach festen Flugplänen zu sich kommen.

    Salem verunglückte am Steuer eines seiner geliebten Flugzeuge. Nach ihm kam Bakr, studierter Ingenieur, nüchtern, mehr französisch orientiert. Er hat eine riesige Wohnung am Quai d´Orsay, aber steigt lieber im Ritz ab, wenn er in Paris ist. Publizität mag er nicht. Allein in den USA gehören den Bin Ladens Einkaufszentren, luxuriöse Wohnanlagen, ausgedehnte Ländereien, ein Flughafen, privatisierte Gefängnisse, Aktienpakete und vieles andere. Sie finanzierten Hollywood-Filme, verhandelten mit Donald Trump über Immobilien und beteiligten sich an der Carlyle Group, einem Investitionsunternehmen, das führenden Republika-nern nahe steht. Die Präsidenten Carter und Bush, aber auch Prince Charles zählten die Bin Ladens zu ihren Freunden.

    Dass diese politisch-geschäftliche Allianz den Bin Ladens nützlich war, zeigte sich, als zahlreiche Familienmitglieder in den USA nach dem 11. September trotz allgemeinen Flugverbots mit einer Sondermaschine ausfliegen konnten. Eine Schwäche des Werkes ist es, dass triviale Ehequerelen jüngerer Bin Laden-Brüder manchmal ausführlicher dargestellt werden als hochpolitische Vorgänge.

    So kommt die lange dauernde und vertraute Beziehung zwischen Osama Bin Laden und Prinz Turki Bin Feisal nur episodisch auf einigen Seiten vor. Turki war während Jahrzehnten Chef des saudischen Geheimdienstes und später Botschafter in London und Washington. Als die Russen in Afghanistan eingefallen waren, fand der Prinz in dem jungen Osama einen Enthusiasten, der seine Sorge um die Bedrohung des Islam durch innere Schwäche und äußere Mächte aufnahm. Die Idee, Freiwillige nach Afghanistan zu schicken, wurde Osama offenbar zuerst durch den Prinzen nahegebracht.

    Mit Billigung Turkis baute Bin Laden sein Netz auf, erschloss unter den Reichen am Golf Finanzquellen, kaufte alte Waffen, die in Ägypten aufpoliert und dann via Karatschi zu den Mudschaheddin geschafft wurden, und richtete Ausbildungslager ein. Als Bin Laden längst verfemt und ausgebürgert war, versuchte Turki mehrmals, ihn mit Geld und guten Worten zur Rückkehr auf den rechten Weg zu gewinnen. Zuletzt flog der Prinz im Februar 1998 zu Mullah Omar, dem Chef der Taliban, nach Kandahar, um Bin Ladens Überstellung in die Heimat zu erlangen. Vergeblich. All dies ist aber nicht von Coll, sondern aus anderen Quellen zu erfahren.

    Über Osama Bin Laden ist viel geschrieben worden, und es versteht sich, dass er immer im Hintergrund steht, wenn über die Familie gesprochen wird. Er bleibt die zentrale Figur des Gruppenporträts. Osamas Jugend, sein Werdegang, seine frühe Frömmigkeit, seine Neigungen und Vorlieben, seine Motive, seine Freunde, seine Rebellion gegen die korrumpierende Konsumwelt des reichen Saudi-Arabiens sind präzis und detailliert gezeichnet. Seinen Anti-Amerikanismus projiziert Osama selber auf eine Epoche zurück, aus der Zeugnisse dieser Art von ihm nicht bekannt waren.

    "Die Ereignisse, die mich direkt beeinflusst haben, sind um 1982 angesiedelt, als die USA den Israeli erlaubten, in den Libanon einzumarschieren. Ich erinnere mich immer noch an diese schrecklichen Szenen: Blut und abgetrennte Gliedmassen, überall lagen tote Frauen und Kinder. Hochhäuser wurden mit ihren Bewohnern zerstört. Was in diesen entscheidenden Augenblicken in mir vorging, ist schwer zu beschreiben, doch in mir entstand ein unbedingter Wille, keine Ungerechtigkeit zu erdulden und den Unterdrücker zu bestrafen. Als ich die zerstörten Türme im Libanon sah, da kam mir der Gedanke, dass wir es dem Unterdrücker mit gleicher Münze heimzahlen und Türme in Amerika zerstören sollten, damit er dasselbe durchleiden muß wie wir."

    Was Osama Bin Laden heute macht, wo er sich aufhält, seit er aus den afghanischen Höhlen von Tora Bora flüchtete, darüber hat auch Steve Coll nicht viel erfahren. Trotz 25 Millionen Dollar Kopfgeld, das die USA auf ihn aussetzten, scheint es in der islamischen Welt nicht als bekömmlich zu gelten, Osama Bin Laden zu verpfeifen.

    Steve Coll: Die Bin Ladens. Eine arabische Familie
    Deutsche Verlagsanstalt, 736 Seiten, 24,95 Euro