3. Januar 1951. Man darf annehmen, die Menschen frieren in Deutschland. Denn erst sechs Jahre sind vergangen, seit der Krieg das Land verwüstete. Überall fehlt es an Gas, Kohle, Strom. Vermutlich herrschen auch im Rundfunkstudio kühle Temperaturen:
"Sie sollen, ich darf hier eine Zeitungsnotiz anführen, in einem Essener Vortrag gesagt haben: Wenn man hier in Westdeutschland einen Uranbrenner aufstellen würde, dann wären wir im Augenblick aus der Kohlenkrise heraus."
Der Befragte hört auf den Namen Werner Heisenberg, und die angesprochene Kohlenkrise bewegt die Gemüter. In ihren Folgen ist sie ungleich spürbarer als das, was zwei Dekaden später wegen gedrosselter Ölfördermengen als "erste Energiekrise" in die Geschichte der Bundesrepublik eingeht. Kohlenkrise heißt: niedrige Industrieproduktion, Kälte, drohende Stromrationierungen. In dieser Lage hofft man auf Besserung, man hofft auf die Früchte des wissenschaftlichen Fortschritts, verkündet aus dem Mund eines Nobelpreisträgers:
"Wenn man sich überlegt, dass man alle Uranvorkommen, die in Deutschland sind, ausnützt ... das sind sehr bescheidene Vorkommen, aber man kann rechnen, dass im Erzgebirge etwa jährlich sagen wir fünf Tonnen Uran gefördert werden können, wenn man sich Mühe gibt. Diese fünf Tonnen Uran würden etwa dem Heizwert, also dem Energiewert von fünf Millionen Tonnen Kohle entsprechen. Und wenn fünf Millionen Tonnen Kohle mehr vorhanden wären im Jahr, dann würde das zweifellos jetzt die ganze Lage erheblich bessern, vielleicht die Lücke gerade ausfüllen oder knapp ausfüllen. Also damit wollte ich die Größenordnung dessen geben, was eben an Uranenergie in Deutschland möglicherweise gewonnen werden kann. Ich möchte aber gleich dazu sagen: Die könnte natürlich nicht in einem Brenner verbrannt werden, sondern da müsste man schon eine Reihe von Brennern aufstellen, um diese Energie wirklich in nützliche Arbeit überzuführen."
Brenner - das klingt nach einem flackernden Herdfeuer, auf dem die Suppe köchelt, während zugleich eine Gans im Ofen brutzelt und daneben die Bratäpfel schmoren. Das Bild kitzelt alle Sinne, und der Reporter erheischt wohl nicht zufällig eine ihm beinahe peinliche Auskunft vom großen Heisenberg:
"Reporter: Und eine für Sie sehr banale Frage: Sind Sie der Ansicht, dass der Atomkocher für die Hausfrau und das Atomauto einmal kommen werden?
Heisenberg: Ganz bestimmt nicht, also jedenfalls sieht man dazu nicht den geringsten Anlass. Man kann die Atomernergie einstweilen nur in ziemlich großen Maschinen verwenden. Man kann sich also sicher gut vorstellen, dass die Atomenergie benützt wird, um Fernheizwerke zu betreiben, um große Fabriken mit Heißwasser zu versorgen. Vielleicht auch um Turbinen zu betreiben. Aber der Betrieb von Autos oder Flugzeugen oder dergleichen oder etwa gar der Küche mit Atomenergie, das ist einstweilen reine Utopie."
In heutigen Ohren hallt bei diesem historischen Tondokument von 1951 ein Wort nach: einstweilen! Denn denkbar schien in der Aufbruchzeit der Kernenergie fast alles zu sein, stand doch das Paradiesversprechen von Wohlstand, Sättigung und Wärme im Raum - zu niedrigen Preisen und aus einer schier unerschöpflichen Quelle. Nach Fukushima fällt es uns vielleicht schwer, dieser Utopie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, doch ist es eine Frage intellektueller Redlichkeit anzuerkennen: Atomkraft, Kernspaltung, Nuklearphysik bedeuteten einst eine Verheißung. Wer wäre in dieser Angelegenheit ein besserer Zeitzeuge als der Begründer der Quantenphysik Werner Heisenberg? Er verschloss keineswegs die Augen vor den Schattenseiten der Atomrüstung - als Mitinitiator der "Göttinger Erklärung" setzte er sich vehement dagegen zur Wehr. Doch gleichzeitig forcierte er die zivile Nutzung der Kernkraft. Eine Entwicklung, die er in jungen Jahren selbst kaum vorhergesehen hätte:
"Ja vielleicht soll ich da zunächst über ein Gespräch erzählen, was ich etwa im Jahr 1935 oder Frühjahr 36 hatte. Das fand statt in Kopenhagen in dem Park von dem Bohr'schen Haus. Und da sprach Nils Bohr mit Lord Rutherford, der gerade dort zu Besuch war, also der englische "Vater der Atomphysik", wie wir ihn gern genannt haben. Und da hab ich in dem Gespräch mal dem Rutherford die Frage gestellt, etwa so: "Sie sind doch Experimentalphysiker, sehen Sie irgendeine Möglichkeit, dass diese Atomphysik mal zu technischen Anwendungen führt?" Und da lachte er und sagt: Jeder, der von technischen Anwendungen der Atomphysik faselt, der redet eben Blödsinn!"
Es ist ein fruchtbarer Zufall, dass der Münchner Quartino-Verlag seine CD/ DVD-Edition "Die Schönheit der Weltformel" mit fast zehn Stunden Ton- und Bildmaterial rund um Werner Heisenberg vor dem japanischen Nukleardesaster herausgebracht hat. Denn damit bleibt die Auswahl von ideologischem Kalkül verschont und macht uns Nachgeborenen vieles verständlich, was nur aus der Zeit heraus begreifbar erscheint. Auch wenn die Unerschrockenheit der Atomapologeten einen manchmal nach Luft schnappen lässt.
"Und was die sogenannte Gefahr eines solchen Brenners anbelangt, so besteht die tatsächlich nicht!"
Erklärt rigoros Otto Hahn, der Entdecker der Kernspaltung, im Januar 1954:
"Die Anlagen werden ja doch so gebaut, dass die damit Arbeitenden geschützt sind vor der immerhin gefährlichen Strahlung, aber die Strahlung in einem Brenner, den wir in Deutschland aufstellen können, ist natürlich nicht so groß wie bei den großen Brennern in den Vereinigten Staaten. Also durchaus nicht ist es so, dass nur in Amerika solche Sachen bestehen, sondern alle Länder, die fortschrittlich der Wissenschaft dienen wollen, für die ist das tatsächlich eine Ehrensache und eine Frage der wissenschaftlichen Notlage, solche Sachen aufzubauen. Eine Gefahr für die betreffende Bevölkerung besteht absolut nicht!"
Man täte dieser großartigen Edition freilich Unrecht, reduzierte man sie nur auf den zwar gewichtigen, doch schmalen Aspekt kernphysikalischer Anwendungen. Werner Heisenberg war einer der letzten deutschen Universalgelehrten, der sich über Schönheit in der Natur ausließ, über Kosmologie, Goethe, moderne Musik und immer wieder Religion sprach. Seine Vorträge sind gut verständlich, als Interviewpartner in diversen auf der CD dokumentierten Sendungen macht er eine ausgezeichnete Figur - nicht zuletzt bei Fragen, die seine Rolle im Dritten Reich betreffen. Und da er sich in allen Facetten dem Hörer als nachdenklicher Mann präsentiert, lässt ein Gesprächsfragment von 1968 aufhorchen:
"Reporter: Sie sind, wenn ich es mit dem banalen Wort, aber dem doch sehr verständlichen und einprägsamen Wort umschreiben darf, ein fortschrittsgläubiger Mensch?
Heisenberg: Also in dem Sinn fortschrittsgläubig, dass ich glaube, dass erstens die Welt sich immer wieder ändert. Und zweitens, dass es besser ist, zu dieser Änderung ja zu sagen als Nein zu sagen. Dass es also besser ist zu sagen: "Wollen wir ruhig aus dieser Änderung nun das Beste machen, was zu machen ist!"
Vielleicht wäre der Werner Heisenberg des Jahres 2011 damit ein überzeugter Verfechter regenerativer Energien. Denn ein Nein zur Atomkraft bedeutet zugleich ein Ja zu anderen Technologien. Der Fortschritt bleibt dabei nicht auf der Strecke, und die Fortschrittsgläubigen müssen dem Kern ihres Glaubens keineswegs abschwören.
Werner Heisenberg:
"Die Schönheit der Weltformel",
Vorträge und Gespräche mit Otto Hahn, Gero von Boehm, Ernst von Khuon, Carl-Friedrich von Weizsäcker, Hans-Peter Dürr u.v.a.
1mp3-CD, 1 DVD, Quartino, ca. 530 Minuten
"Sie sollen, ich darf hier eine Zeitungsnotiz anführen, in einem Essener Vortrag gesagt haben: Wenn man hier in Westdeutschland einen Uranbrenner aufstellen würde, dann wären wir im Augenblick aus der Kohlenkrise heraus."
Der Befragte hört auf den Namen Werner Heisenberg, und die angesprochene Kohlenkrise bewegt die Gemüter. In ihren Folgen ist sie ungleich spürbarer als das, was zwei Dekaden später wegen gedrosselter Ölfördermengen als "erste Energiekrise" in die Geschichte der Bundesrepublik eingeht. Kohlenkrise heißt: niedrige Industrieproduktion, Kälte, drohende Stromrationierungen. In dieser Lage hofft man auf Besserung, man hofft auf die Früchte des wissenschaftlichen Fortschritts, verkündet aus dem Mund eines Nobelpreisträgers:
"Wenn man sich überlegt, dass man alle Uranvorkommen, die in Deutschland sind, ausnützt ... das sind sehr bescheidene Vorkommen, aber man kann rechnen, dass im Erzgebirge etwa jährlich sagen wir fünf Tonnen Uran gefördert werden können, wenn man sich Mühe gibt. Diese fünf Tonnen Uran würden etwa dem Heizwert, also dem Energiewert von fünf Millionen Tonnen Kohle entsprechen. Und wenn fünf Millionen Tonnen Kohle mehr vorhanden wären im Jahr, dann würde das zweifellos jetzt die ganze Lage erheblich bessern, vielleicht die Lücke gerade ausfüllen oder knapp ausfüllen. Also damit wollte ich die Größenordnung dessen geben, was eben an Uranenergie in Deutschland möglicherweise gewonnen werden kann. Ich möchte aber gleich dazu sagen: Die könnte natürlich nicht in einem Brenner verbrannt werden, sondern da müsste man schon eine Reihe von Brennern aufstellen, um diese Energie wirklich in nützliche Arbeit überzuführen."
Brenner - das klingt nach einem flackernden Herdfeuer, auf dem die Suppe köchelt, während zugleich eine Gans im Ofen brutzelt und daneben die Bratäpfel schmoren. Das Bild kitzelt alle Sinne, und der Reporter erheischt wohl nicht zufällig eine ihm beinahe peinliche Auskunft vom großen Heisenberg:
"Reporter: Und eine für Sie sehr banale Frage: Sind Sie der Ansicht, dass der Atomkocher für die Hausfrau und das Atomauto einmal kommen werden?
Heisenberg: Ganz bestimmt nicht, also jedenfalls sieht man dazu nicht den geringsten Anlass. Man kann die Atomernergie einstweilen nur in ziemlich großen Maschinen verwenden. Man kann sich also sicher gut vorstellen, dass die Atomenergie benützt wird, um Fernheizwerke zu betreiben, um große Fabriken mit Heißwasser zu versorgen. Vielleicht auch um Turbinen zu betreiben. Aber der Betrieb von Autos oder Flugzeugen oder dergleichen oder etwa gar der Küche mit Atomenergie, das ist einstweilen reine Utopie."
In heutigen Ohren hallt bei diesem historischen Tondokument von 1951 ein Wort nach: einstweilen! Denn denkbar schien in der Aufbruchzeit der Kernenergie fast alles zu sein, stand doch das Paradiesversprechen von Wohlstand, Sättigung und Wärme im Raum - zu niedrigen Preisen und aus einer schier unerschöpflichen Quelle. Nach Fukushima fällt es uns vielleicht schwer, dieser Utopie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, doch ist es eine Frage intellektueller Redlichkeit anzuerkennen: Atomkraft, Kernspaltung, Nuklearphysik bedeuteten einst eine Verheißung. Wer wäre in dieser Angelegenheit ein besserer Zeitzeuge als der Begründer der Quantenphysik Werner Heisenberg? Er verschloss keineswegs die Augen vor den Schattenseiten der Atomrüstung - als Mitinitiator der "Göttinger Erklärung" setzte er sich vehement dagegen zur Wehr. Doch gleichzeitig forcierte er die zivile Nutzung der Kernkraft. Eine Entwicklung, die er in jungen Jahren selbst kaum vorhergesehen hätte:
"Ja vielleicht soll ich da zunächst über ein Gespräch erzählen, was ich etwa im Jahr 1935 oder Frühjahr 36 hatte. Das fand statt in Kopenhagen in dem Park von dem Bohr'schen Haus. Und da sprach Nils Bohr mit Lord Rutherford, der gerade dort zu Besuch war, also der englische "Vater der Atomphysik", wie wir ihn gern genannt haben. Und da hab ich in dem Gespräch mal dem Rutherford die Frage gestellt, etwa so: "Sie sind doch Experimentalphysiker, sehen Sie irgendeine Möglichkeit, dass diese Atomphysik mal zu technischen Anwendungen führt?" Und da lachte er und sagt: Jeder, der von technischen Anwendungen der Atomphysik faselt, der redet eben Blödsinn!"
Es ist ein fruchtbarer Zufall, dass der Münchner Quartino-Verlag seine CD/ DVD-Edition "Die Schönheit der Weltformel" mit fast zehn Stunden Ton- und Bildmaterial rund um Werner Heisenberg vor dem japanischen Nukleardesaster herausgebracht hat. Denn damit bleibt die Auswahl von ideologischem Kalkül verschont und macht uns Nachgeborenen vieles verständlich, was nur aus der Zeit heraus begreifbar erscheint. Auch wenn die Unerschrockenheit der Atomapologeten einen manchmal nach Luft schnappen lässt.
"Und was die sogenannte Gefahr eines solchen Brenners anbelangt, so besteht die tatsächlich nicht!"
Erklärt rigoros Otto Hahn, der Entdecker der Kernspaltung, im Januar 1954:
"Die Anlagen werden ja doch so gebaut, dass die damit Arbeitenden geschützt sind vor der immerhin gefährlichen Strahlung, aber die Strahlung in einem Brenner, den wir in Deutschland aufstellen können, ist natürlich nicht so groß wie bei den großen Brennern in den Vereinigten Staaten. Also durchaus nicht ist es so, dass nur in Amerika solche Sachen bestehen, sondern alle Länder, die fortschrittlich der Wissenschaft dienen wollen, für die ist das tatsächlich eine Ehrensache und eine Frage der wissenschaftlichen Notlage, solche Sachen aufzubauen. Eine Gefahr für die betreffende Bevölkerung besteht absolut nicht!"
Man täte dieser großartigen Edition freilich Unrecht, reduzierte man sie nur auf den zwar gewichtigen, doch schmalen Aspekt kernphysikalischer Anwendungen. Werner Heisenberg war einer der letzten deutschen Universalgelehrten, der sich über Schönheit in der Natur ausließ, über Kosmologie, Goethe, moderne Musik und immer wieder Religion sprach. Seine Vorträge sind gut verständlich, als Interviewpartner in diversen auf der CD dokumentierten Sendungen macht er eine ausgezeichnete Figur - nicht zuletzt bei Fragen, die seine Rolle im Dritten Reich betreffen. Und da er sich in allen Facetten dem Hörer als nachdenklicher Mann präsentiert, lässt ein Gesprächsfragment von 1968 aufhorchen:
"Reporter: Sie sind, wenn ich es mit dem banalen Wort, aber dem doch sehr verständlichen und einprägsamen Wort umschreiben darf, ein fortschrittsgläubiger Mensch?
Heisenberg: Also in dem Sinn fortschrittsgläubig, dass ich glaube, dass erstens die Welt sich immer wieder ändert. Und zweitens, dass es besser ist, zu dieser Änderung ja zu sagen als Nein zu sagen. Dass es also besser ist zu sagen: "Wollen wir ruhig aus dieser Änderung nun das Beste machen, was zu machen ist!"
Vielleicht wäre der Werner Heisenberg des Jahres 2011 damit ein überzeugter Verfechter regenerativer Energien. Denn ein Nein zur Atomkraft bedeutet zugleich ein Ja zu anderen Technologien. Der Fortschritt bleibt dabei nicht auf der Strecke, und die Fortschrittsgläubigen müssen dem Kern ihres Glaubens keineswegs abschwören.
Werner Heisenberg:
"Die Schönheit der Weltformel",
Vorträge und Gespräche mit Otto Hahn, Gero von Boehm, Ernst von Khuon, Carl-Friedrich von Weizsäcker, Hans-Peter Dürr u.v.a.
1mp3-CD, 1 DVD, Quartino, ca. 530 Minuten