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Der Dreißigjährige Krieg und seine Lehren
Historisches Vorbild für den Nahost-Konflikt?

Es ist eine der größten Katastrophen der europäischen Geschichte, ein Kampf um Macht, Religion und Wahrheit: Der Dreißigjährige Krieg, an dessen Ende der Westfälische Frieden stand. 400 Jahre später diskutieren Wissenschaftler, ob die damaligen Ereignisse ein historisches Vorbild für den Nahost-Konflikt liefern könnten.

Eine Sendung von Ingeborg Breuer und Barbara Weber |
    Diese kunstvolle Türklinke mit einer Friedenstaube aus Messing findet man an der schweren Eingangstür des Rathauses zum Westfälischen Frieden in der historischen Altstadt von Osnabrück.
    Diese kunstvolle Türklinke mit einer Friedenstaube aus Messing findet man an der schweren Eingangstür des Rathauses zum Westfälischen Frieden in der historischen Altstadt von Osnabrück. (picture-alliance / Reinhard Kaufhold)
    Beiden Konflikten liegen gemeinsame Muster zugrunde:
    Sowohl die heutigen Kriege in der islamisch-arabischen Welt als auch der Dreißigjährige sind stark konfessionell geprägt, aber zugleich von politischen Herrschaftsinteressen bestimmt. Sie werden mit Hilfe von Söldnern ausgefochten.
    Staaten und ihre Machthaber, aber auch verfeindete Stämme und frei flottierende Milizen stehen sich gegenüber. Und manche Wissenschaftler gehen sogar so weit, im Westfälischen Frieden Anregungen für einen Friedensschluss in den heutigen Kriegsgebieten zu finden.

    Es ist eine der größten Katastrophen der europäischen Geschichte, ein Kampf um Macht, Religion und Wahrheit, der vor 400 Jahren unfassbares Leid über die Menschen bringt.
    Katholiken, Protestanten und Calvinisten fechten gegeneinander im Namen Jesu Christi um die Macht im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen.
    Fürsten, Könige und der Kaiser kämpfen um die Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent.
    "Es geht hier um eine Art Führungsrolle in dieser Christianitas, wenn diese Christianitas denn noch besteht."
    sagt Heinz Duchhardt, emeritierter Professor für Neuere Geschichte und bis 2011 Leiter des Instituts für Europäische Geschichte.
    "Nach dem Weltbild bis zum frühen 17.Jahrhundert war die Christenheit aufgebaut als Pyramide mit zwei Spitzen, mit dem Papst und dem Kaiser an der Spitze dieser Pyramide. Beide sind in ihrer Bedeutung zurückgetreten und werden von einem großen Teil nicht mehr anerkannt, und jetzt entsteht ein Wettlauf um die Spitzenpositionen innerhalb dieser Staatengemeinschaft."
    Dieser Wettlauf um die Spitzenposition mündet in mehreren Kriegen, die schon die damaligen Zeitgenossen zusammengefasst haben als den Dreißigjährigen Krieg. An dessen Ende steht ein legendäres Abkommen: Der Westfälische Friede.
    Er gilt bis heute in seiner Weitsicht und Klugheit als der Prototyp eines Friedensvertrages, der selbst aktuell als Vorbild augenscheinlich unlösbarer Konflikte herangezogen wird:
    "Ich beschäftige mich notwendigerweise seit geraumer Zeit mit der Frage, wie wir unsere Arbeit zur Konfliktlösung in der Region des Mittleren Ostens verbessern können."
    Der ehemalige Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier in der Eröffnungsrede zum Deutschen Historikertag 2016
    "In einem ersten Schritt haben wir uns im Auswärtigen Amt ein paar Instrumente des Westfälischen Friedens daraufhin angeschaut, ob sie für heutige Friedensbemühungen eigentlich unverändert relevant und tauglich sind."
    Ist also der Westfälische Friede eine Blaupause für den Nah-Ost-Konflikt? Ist dieser lange vergangene Krieg ein "ferner Spiegel" heutiger Konflikte?
    Kann man beim Dreißigjährigen Krieg überhaupt von einem Religionskrieg sprechen, und welche machtpolitischen Faktoren bestimmen den Krieg?
    Der Dreißigjährige Krieg bestand aus vielen Kriegen
    "Wir befinden uns hier im Museum des Dreißigjährigen Krieges."
    Wittstock an der Dosse. Die spätmittelalterliche Bischofsburg beherbergt heute das Museum. Hier besiegten die Schweden unter Feldmarschall Johan Barnér 1636 die kaiserlich-kursächsische Armee.
    "Wenn ich das auslöse…."
    Antje Zeiger, Direktorin des Museums, steht vor einem großen Uhrwerk aus dem 17. Jahrhundert mit vielen Zahnrädern, die ineinandergreifen.
    "… das ist gewissermaßen unser akustischer Fahrstuhl und damit landen wir im Jahr 1618 mit dem Beginn des 30jährigen Krieges am 23.Mai 1618."
    Auslöser des Krieges an jenem 23.Mai ist der Prager Fenstersturz. Mit Pistolen und Degen bewaffnete protestantische böhmische Adelige stürmen die Böhmische Kanzlei in der Prager Burg. Sie können und wollen nicht akzeptieren, dass die ihnen von dem katholischen Kaiser Rudolf II. zugesicherte Religionsfreiheit von seinem Nachfolger Matthias nicht gewährt wird. Nach einem hitzigen Wortgefecht mit den kaiserlichen Stellvertretern werden diese aus dem Fenster geworfen.
    Sie überleben das Desaster – doch kommt die Tat einer Kriegserklärung gleich.
    Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf:
    Der böhmisch-pfälzische Krieg (1618 – 1623)
    Die böhmischen Rebellen – mit tatkräftiger Unterstützung der Pfälzer und dem Herzog von Savoyen – scheinen gegen die deutschen Habsburger und ihre Verbündeten zunächst unüberwindbar. Doch fünf Jahre, etliche Schlachten und Koalitionen später, siegt der katholische Kaiser.
    Der dänisch-niedersächsische Krieg (1623 – 1629)
    Ein Bündnis protestantischer Herrscher in Nordeuropa unter der Führung Dänemarks bedroht den Kaiser. Letztendlich siegt der Kaiser, der sich auf dem Höhepunkt seiner Macht befindet, aber gleichzeitig mit der Enteignung einiger protestantischer Fürsten den Grundstein für einen neuen Krieg legt.
    Der schwedische Krieg (1630 – 1635)
    Nach dem Ausscheiden von Dänemark wittert der schwedische König Gustav Adolf die Chance, seine hegemonialen Ansprüche in Nordosteuropa durchzusetzen. Doch nach seinem Tod brechen fast alle protestantischen Reichsstände aus dem Bündnis mit Schweden aus und schließen mit Kaiser Ferdinand II. den Prager Frieden.
    Der schwedisch-französische Krieg (1635 – 1648)
    Als Antwort auf den Prager Frieden verbünden sich Schweden und Frankreich. Die nun folgenden Kämpfe dauern 13 Jahre, ohne dass es einen eindeutigen Sieger gibt.
    Zwischen dem 15. Mai und dem 24. Oktober 1648 werden in Münster und Osnabrück Friedensverträge geschlossen, die den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland und den Unabhängigkeitskrieg der Niederlande beenden.
    "Dieser Krieg hat ganz zweifellos sehr viel mehr als spätere Kriege - vielleicht mit Ausnahme der beiden Weltkriege im 20.Jahrhundert - tiefe Spuren in Deutschland hinterlassen"
    sagt der Politikwissenschaftler Prof. Herfried Münkler. Zum Beispiel …
    "in der politischen Ordnung, da kann man sagen, ist er der Ansatzpunkt einer neuen Ordnung; im sozialökonomischen Bereich wirft er Deutschland um einige Jahrzehnte zurück. Ein Krieg, der ein Viertel bis ein Drittel der Menschen hinwegnimmt, der ungeheure Wüstungen hinterlässt, ist so etwas wie eine Zäsur im Bewusstsein der Menschen."
    Eine Zäsur, die über Generationen bis ins 19. und 20. Jahrhundert fortbesteht.
    " als eine traumatische Erinnerung wiederkehrend, also in dem Sinne, Deutschland darf nicht noch einmal zum Schauplatz eines solchen Krieges werden. Eine Vorstellung, die ja zweifellos durch den Blick auf die zurückliegenden napoleonischen Kriege … befeuert worden ist und die dann dazu führt, dass man in Deutschland glaubt, eigentlich aufgrund der geopolitischen Konstellation heraus, offensiv agieren zu müssen, so dass bis hin zum Schlieffen-Plan …"
    … der die Grundlage der deutschen Operation zu Beginn des Ersten Weltkriegs bildete…
    "… man die Spur der Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg in der deutschen Geschichte beobachten kann."
    Der Krieg hatte seine Vorboten
    Für Historiker unbestritten gelten der Prager Fenstersturz im Mai 1618 und seine Folgen als Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Für die Menschen damals – wie Andreas Bähr, Privatdozent für Neuere Geschichte an der FU Berlin, in seinem neuen Buch beschreibt – war es ein Komet, der im darauffolgenden November am Himmel erschien. Die Menschen sahen in ihm eine Botschaft Gottes, die Prophezeiung eines schrecklichen Krieges, der am Ende mehrerer bedrohlicher Ereignisse steht.
    "In dem Jahrzehnt vor Ausbruch des Krieges kann man die Stimmung in Europa nur als krisenhaft bezeichnen."
    … meint Heinz Duchhardt in seinem aktuellen Buch "Der Weg in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges."
    "Da haben verschiedene Komponenten eine Rolle gespielt. Zunächst das lebensweltliche: Europa wird seit 1560 von einer Klimaveränderung großen Ausmaßes heimgesucht. Wir sprechen von der Kleinen Eiszeit, die in Mitteleuropa die Konsequenz hat, dass die Winter zu hart sind, und die Sommer verregnet und verhagelt sind. Das führt zu Missernten, das führt zu Versorgungsengpässen. Das führt zu einem hohen Brotpreis, den sich viele Schichten, die bisher dem Handwerkerstand angehörten, nicht mehr leisten konnten. Diese Schichten sinken in den Status der Bettelei ab und bevölkern nun in wahren Heeren die Region in Mitteleuropa, übrigens Heere, die auch eine besondere Anfälligkeit für Krankheiten jeder Art, Seuchen, gehabt haben. Wir haben eine große Pestwelle, die damals Europa heimsucht."
    Dazu kommen Kriege in Europa wie in den Niederlanden, in den österreichischen Erblanden, im Ostseebereich, in Oberitalien und in Russland.
    All diese Momente führen dazu, dass die Bevölkerung in Mitteleuropa diese Zeit als eine Krisendekade empfindet.
    "Die Bevölkerung befürchtet, dass diese ganzen Krisenfaktoren in eine Phase übergehen, dass das Weltende sich abzeichnen könnte. Die Menschen der damaligen Zeit im 16., 17. Jahrhundert sind ja in hohem Maß von der Bibel abhängig, von der Apokalypse vor allem, und sie sehen eine ganze Reihe von Momenten, die in der Apokalypse beschrieben worden sind, die darauf hinzudeuten scheinen, dass das Weltende unmittelbar vor der Tür steht. Diese Mentalität wird unterstützt durch eine ganze Flut von Flugschriften, die genau berechnen, wann das Weltende eintreten wird, dass die verschiedenen europäischen kleinen Konflikte sich verdichten zu einem großen europäischen Krieg."
    Was dann ja auch geschah.
    Vergleiche mit heutigen Kriegen sind durchaus möglich
    "Im Heiligen Römischen Reich als der Zentralregion in Europa ist der konfessionelle Gegensatz das alles-überlagernde damals, hier die Altgläubigen, die Katholiken, dort verschiedene protestantische Gruppierungen, die Lutheraner und die Calvinisten."
    So ist es nicht verwunderlich, dass der Prager Fenstersturz in Folge einen Krieg auslöste. Der Islamwissenschaftler und Nahost-Experte der FAZ Dr. Rainer Hermann sieht Parallelen zu der heutigen Situation in Nah-Ost und möchte keinesfalls die Analogie auf den Prager Fenstersturz und den Beginn des Aufstandes gegen Assad beschränkt sehen. Vielmehr ähnelten sich auch die Grundkonflikte.
    "Der Prager Fenstersturz war ja der Aufstand des protestantischen böhmischen Standes gegen den katholischen Habsburger Kaiser und war eine nationale Angelegenheit, so wie in Syrien es eine nationale Angelegenheit war, dass die überwiegend sunnitischen Aktivisten gegen die Herrschaft von Baschar al-Assad (waren), der aus der schiitischen Glaubensgemeinschaft der Alawiten entstammt."
    Doch ebenso wenig, wie beim Nah-Ost-Konflikt kann auch beim Dreißigjährigen Krieg von einem reinen Religionskrieg gesprochen werden.
    "Nur insofern, dass jede kriegführende Partei religiöse Ziele hatte."
    … sagt Prof. Peter Wilson, Militärhistoriker an der Oxford University.
    "Man kann nicht so scharf zwischen Religion und Politik trennen, es ging in erster Linie um die verschiedenen Machtpositionen und auch um den kirchlichen Besitz."
    Oder anders ausgedrückt …
    "Es kämpften also in einem multipolaren internationalen Umfeld eine große Anzahl von Akteuren in asymmetrischen Kriegen um die zukünftige Gestaltung von schwachen failed states."
    Brendan Simms ist Professor für die Geschichte der europäischen internationalen Beziehungen in Cambridge und Leiter des Forums für Geopolitik. Unterstützt von der Hamburger Körber-Stiftung bringt er in einem Projekt Experten aus dem Nahen Osten, Europa und den USA zusammen, um auszuloten, inwiefern die Erfahrungen aus dem Großen Krieg und dem Westfälischen Frieden zu einer Lösung des Nah-Ost-Konflikts beitragen könnten. Und er sieht eindeutige Parallelen zwischen dem aktuellen und historischen Krieg:
    "Also in Böhmen ähnlich wie in Syrien und im Jemen breiten sich innerstaatliche Rebellionen aus, und der Konflikt erthält eine regionale Dimension. Und das wird dann internationalisiert durch den Kampf um die Vorherrschaft zwischen den Österreichern, den österreichischen und spanischen Habsburgern einerseits und Frankreich andererseits, so ähnlich wie das jetzt ist zwischen Saudi Arabien und Iran."
    So wie für heute gilt auch für den frühen Krieg: Ist ein Teilkonflikt beigelegt, bedeutet das noch keinen Sieg auf der ganzen Linie. Damals hatte der katholische Kaiser Ferdinand II den böhmisch pfälzischen Krieg 1623 gewonnen. Er hatte die protestantischen Fürsten besiegt und damit war seine Machtstellung im Reich immens gestiegen. Doch genau das wollte Frankreich unbedingt vermeiden.
    Verleih uns Frieden gnädiglich. Die Motette des deutschen Komponisten Heinrich Schütz entstand mitten im Dreißigjährigen Krieg. Doch die Bitte blieb noch lange unerhört. 1625 trat der dänische König Christian IV in den Krieg ein. Unterstützt von Frankreich, England, den Niederlanden und einigen protestantischen Fürsten gegen den Habsburger Kaiser.
    "Der Kaiser hat eigentlich den Krieg schon gewonnen, der Kaiser und seine Verbündeten ..."
    erläutert Peter Wilson, Historiker in Oxford, dessen Buch "Der Dreißigjährige Krieg" kürzlich in deutscher Übersetzung erschien:
    "…das war eine gefährliche Situation für Dänemark. Dänemark hatte Einfluss in Norddeutschland. Es wollte diesen Einfluss verteidigen. Und es war auch eine gute Möglichkeit gerade zu dieser Zeit ins Reich einzuspringen, weil der Hauptrivale von Dänemark, Schweden, in einem Krieg in Polen eingewickelt war. Insofern konnten die Dänen einmarschieren und haben gewusst, dass sie nicht von Schweden gleichzeitig angegriffen werden."
    Der Krieg geht weiter
    Der Krieg trat in seine zweite Phase. Und Kaiser Ferdinand II stand vor einem Problem. Er brauchte Geld. Viel Geld, um ein großes Heer aufzustellen. Denn es gab noch keine regulären Armeen im heutigen Sinne:
    "Es gibt keine Staaten, die ein stehendes Heer zur Verfügung haben, die einzigen, die tendenziell permanent Kräfte bereithalten, sind Staaten, die im Krieg sich befinden."
    … sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler von der Humboldt-Universität Berlin, dessen Buch über den Dreißigjährigen Krieg im September erschien.
    "Das Römische Reich, der Kaiser hat keine Truppen, auf die er zurück greifen kann. Man wirbt diese Truppen erst an, sobald ein Krieg begonnen hat."
    Wallenstein als einer der ersten Warlords
    Das war die Stunde für Albrecht von Wallenstein. Auch vorher hatte der böhmische Adlige schon auf der Seite des Kaisers gekämpft. Doch nun erschien er am kaiserlichen Hof und bot an, innerhalb kürzester Zeit eine gigantische Armee - wie er vorschlug - "auf eigene Kosten" aufzustellen. Als der Kaiser ihn fragte, ob er diese auch unterhalten könne, soll er geantwortet haben:
    "20.000 nicht, wohl aber 50.000. Denn eine Armee von 50000 ist leichter zu versorgen als eine von 20000. Die besetzten Gebiete werden für den Sold aufkommen. Je größer die Armee, desto mehr Geld werden wir eintreiben".
    "Wallenstein hat nun die Vorstellung, dass er nicht das Land einfach nur ausraubt.
    Wallenstein versucht so etwas wie ein Steuersystem über die Kontributionen zu entwickeln, das auf das gesamte Reich, nicht nur da, wo das Heer steht, sondern überall ausgedehnt wird. Und auf diese Weise versucht, die Kuh, die man melken will, nicht zu schlachten."
    Zu schlachten nicht, aber auszupressen, wie Dr. Wolfgang Muchitsch, Historiker und Direktor des Universalmuseums Joanneum in Graz beschreibt:
    "Wallenstein perfektioniert nicht nur die Kriegsführung, Wallenstein perfektioniert auch das Geschäft mit dem Krieg. Auf Kosten der Bauern, der Händler, der Bürger, die für Wallenstein und seine Truppen die Logis stellen müssen, die Lebensmittel stellen müssen, die sogar für den Sold aufkommen mussten, getreu dem Motto Wallensteins: ‚Der Krieg ernährt den Krieg‘."
    Aber der Krieg ernährte nicht nur den Krieg, sondern den Feldherrn noch dazu. Der Kaiser ernennt ihn zum Generalissimus und macht ihn zum mächtigsten Mann im Reich. Aus Dankbarkeit für seine militärischen Erfolge überträgt er ihm schließlich das Herzogtum Mecklenburg als Lehen. Wallenstein, so Herfried Münkler, ist einer der ersten Kriegsfürsten.
    "Diese Kriegsunternehmer, dann sind das Leute, die den Krieg nicht in einem Dienstverhältnis, sondern einem Unternehmerverhältnis auch als wirtschaftliches Projekt betreiben."
    Heute sieht Herfried Münkler eine Renaissance dieser Kriegsunternehmer, denen es nicht darum geht, den Sieg für ein Land zu erbringen, sondern um ihre eigenen Interessen.
    "Die versuchen, durch den Krieg reich zu werden oder ein Landesherr zu werden, all das was diese Gestalten der früheren Zeit ausgezeichnet hat. Die haben ein Interesse daran, bewaffnete Gefolgschaft hinter sich zu bringen, aber die müssen sie alimentieren. D.h. sie müssen Bodenschätze ausbeuten, oder wenn die nicht da sind, wie in Afghanistan, dann produziert man illegal zertifizierte Güter, in diesem Falle Opium."
    Söldner früher und heute
    "Der Krieg wird seinen Mann ernähren…"
    Auch Bertold Brechts Mutter Courage lebt von dem großen Krieg, in dem sie als Marketenderin ihre Waren verkauft. Und deshalb versucht sie sich selbst als Soldatenanwerberin:
    "Er braucht nur Pulver zu und Blei / Vom Blei allein kann er nicht leben /Vom Pulver nicht, er braucht auch Leut / / Müsst euch zum Regiment begeben / Sonst steht er um! So kommt noch heut!"
    Wenn man nicht auf stehende Heere zurückgreifen kann, dann muss man Soldaten anwerben. Das gilt heute, wenn Islamisten ihre ‚Kämpfer‘ im Internet rekrutieren. Und das galt im Dreißigjährigen Krieg. Mit Pfeifen und Trommeln zogen Werber durch die Städte ganz Europas, um Männer für den Krieg zu gewinnen.
    "Wie wurde man Soldat?"
    Antje Zeiger, Direktorin, Museum des 30jährigen Krieges in Wittstock.
    "Natürlich erhofften sich die jungen Männer irgendwo Abenteuer, Wein und Abenteuer mit Frauen. Sie erhofften sich regelmäßige Sold - Söldner - Soldat. …"
    Der Andrang war oft groß. Glücksritter, Abenteurer, aber auch Tagelöhner, Knechte, später im Krieg auch Bauern, die von Truppen ausgeplündert worden waren und von der Rolle des Gejagten in die Rolle des Jägers wechseln wollten. Es war eine buntscheckige Truppe, die sich so versammelte. Denn Uniformen gab es kaum, jeder trug das, was er sich leisten konnte oder was er auf dem Schlachtfeld erbeutet hatte.
    "Wir haben hier so mehrere sehr schöne Entwürfe für die Fähnlein und Standarten von Regimentern…."
    … mit denen die Söldner ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Regiment kenntlich machten.
    "Für den Einzug in eine Schlacht sind dann oft auch Losungen vereinbart worden, auch Kennzeichen auf der Kleidung. Aber wenn Sie sich das dann real vorstellen, sie haben den Feind vor sich, die Blankwaffe in der Hand und fragen dann erst die Losung ab und kontrollieren die Kleidung des Gegenübers, ob da irgendwas dranhängt, dann wird‘s schwierig."
    Unordentliche Kriege
    Die Sache ihres Kriegsherrn zählt für die Waffenprofis nicht unbedingt. Was lockt, sind das bei der Werbung sofort ausbezahlte Handgeld, der Sold und die Aussicht auf Beute.
    "Sicherlich ziehen auch ganz viele in den Krieg auf protestantischer und auf katholischer Seite. Und in den ersten Jahren des Krieges kann man das ganz schön beobachten an der Frage des Umgangs mit Heiligen. Also, die Truppen Tillys kämpfen im Zeichen der Muttergottes. Während die Protestanten gern, wenn sie auf Heiligenbilder stoßen, den Heiligen die Augen ausstechen. Aber dann wechseln die auch mal wieder die Fronten, dann sind sie mal hier und mal da."
    Ein Vorgang, den Herfried Münkler auch in den heutigen Kriegen beobachtet:
    "Wir sollten uns auch den Nahen Osten oder Syrien nicht zu eng vorstellen. Da wechseln auch Truppenteile mal die Fronten …."
    Rainer Hermann bestätigt diese Feststellung. Der Nahostexperte der FAZ lebte lange im Orient und weiß, dass es nicht nur politische Überzeugungen sind, weshalb Menschen dort sich den Milizen anschließen:
    "Das Leben in Syrien ist brutal schwierig geworden, das reine physische Überleben. Und jetzt kommen Milizionäre, ich gebe dir Sold, kämpfe du für mich, damit kannst du deine Familie ernähren und wenn du getötet wirst, dann übernehmen wir die Versorgung deiner Familie. Und so werden waffenfähige Männer in den Sog des Krieges hinein gezogen. Und wenn eine Schutzmacht einer Gruppe Geld, Söldner, Waffen verspricht, dann richtet sich diese Gruppe nach dieser Schutzmacht aus, zum Beispiel sagen wir mal Türkei. Kommt eine andere Gruppe, die sagt, ich biete euch den besseren Sold, modernere Waffen, geht diese Gruppe zu einem großen Teil zum islamischen Staat."
    Für Herfried Münkler ist der Dreißigjährige Krieg der Prototyp eines unordentlichen diffusen Krieges, ähnlich den Kämpfen, wie sie in der Gegenwart im subsaharischen Afrika und im Nahen Osten aufflammen. Anders als in den Staatenkriegen des 19. und 20. Jahrhunderts sei mit den heutigen "kleinen Kriegen" die Auflösung des Unterschieds zwischen regulären Truppen, Söldnerheeren, Milizen und Marodeuren zurückgekommen.
    "Manche kämpfen eher für eine Idee, also im damaligen Fall Reformation oder Gegenreformation, im heutigen Fall vielleicht wieder Richtung eines Kalifats oder anderes mehr. Andere kämpfen allein für Geld. Dann sind welche dabei, welche die anomische Situation einer Kriegssituation, in der tendenziell alles erlaubt ist, wofür man nicht bestraft wird, ausnutzen wollen, um bestimmte Vorstellungen auszuleben, Abenteuer zu suchen, das gibt’s auch."
    Und wieder eine neue Kriegsmacht
    Dem Feldherrn der katholischen Liga Graf von Tilly und dem kaiserlichen Oberbefehlshaber Albrecht von Wallenstein gelingt es, die dänisch-niedersächsische Allianz Schlacht für Schlacht zu schlagen und zurückzudrängen. Im Mai 1629 verpflichtet sich König Christian IV von Dänemark ab sofort dem Krieg fernzubleiben. Wallenstein allerdings ist den Fürsten im Reich zu mächtig geworden. Sie zwingen Kaiser Ferdinand II den Generalissimus zu entlassen. Vorerst. Denn schon droht neue Gefahr. Im Juli 1630 landet König Gustav Adolf von Schweden mit einem Heer von 14000 Mann auf Usedom – eine willkommene Hilfe für die protestantischen Reichsstände.
    "Der Kaiser hatte den Krieg 1629 gewonnen, und das war eine gefährliche Lage für Schweden,"
    sagt Peter Wilson, Professor für Militärgeschichte an der Oxford University
    "vor allem, weil der Kaiser ein Verbündeter von dem polnischen Königshaus war, und das polnische Königshaus war ein Zweig der Wasa-Dynastie, und die katholischen Wasa in Polen haben behauptet, dass sie die rechtmäßigen Könige von Schweden waren."
    Das schwedische Königshaus hatte Bedenken, dass
    "der Kaiser, weil er ja jetzt seine Feinde in Deutschland besiegt hatte, dass er eine Flotte ausbauen würde und zusammen mit seinen polnischen Verbündeten Schweden angreifen würde. Und Schweden wollte sich dann verteidigen, und sie haben das so gesagt, dass es eigentlich kein Angriffskrieg war."
    Darüber hinaus – so Peter Wilson – bot sich die verlockende Möglichkeit, den schwedischen Einfluss im Baltischen auszuweiten und auf dem Weg dorthin – en passant sozusagen - Teile der norddeutschen Küste einzukassieren.
    Von dort zogen die Schweden weiter nach Pommern, Mecklenburg und Brandenburg. Aus dem Jahr 1631 stammen folgende Verse:
    "Zeuch Tilly zeuch, zeuch Tilly zeuch
    von Magdeburg bis Hessenland
    da speist der Landsknecht Stöß zur Hand
    zeuch Tilly zeuch"
    Der Krieg wird immer grausamer
    Der Text entstammt einem Flugblatt und nimmt Bezug auf die Belagerung von Magdeburg durch den kaiserlichen Heerführer Tilly im Mai des Jahres 1631. Magdeburg stand auf Seiten der protestantischen Schweden, führte aber während der Belagerung Verhandlungen mit dem katholischen Tilly.
    "Tilly hat wiederholt die Stadt aufgefordert sich zu ergeben, und es wurde sogar noch im Rathaus diskutiert, ob man die Stadt übergeben sollte."
    meint Peter Wilson.
    "Aber der Offizier, der von den Schweden in die Stadt geschickt worden ist, hat immer behauptet, dass die schwedische Armee fast in der Nähe war, dass die Schweden kommen würden, was gar nicht stimmte. Das war eine Lüge, die schwedische Armee war immer noch in Brandenburg. Gustav Adolf, der schwedische König, wollte nicht eher zum Einsatz kommen, bevor er einen Vertrag mit Brandenburg ausgehandelt hatte."
    Mit fatalen Folgen für die Stadt: Sie wurde von den Sturmkolonnen der kaiserlichen Armee angegriffen. Diese prügelten, vergewaltigten und mordeten – eine Orgie der Gewalt.
    "Während des Angriffs ist ein Brand ausgebrochen".
    Bis heute diskutieren Wissenschaftler, wer den Brand gelegt haben könnte, der die Stadt zum größten Teil zerstört hat. Peter Wilson schätzt:
    "Vierfünftel der Bevölkerung sind ums Leben gekommen oder geflüchtet. Das war eine Katastrophe. Das ist die berüchtigtste Gräueltat des Krieges, eine Niederlage eigentlich für die gewinnende Partei der kaiserlichen Armee, die die Stadt einnehmen wollte, um sie als Stützpunkt zu nutzen."
    "Magdeburger Hochzeit" nannte das die Bevölkerung schon im Dreißigjährigen Krieg – eine Anspielung auf die erzwungene "Vermählung" zwischen dem Kaiser und der "Jungfrau" Magdeburg, denn Magdeburg war protestantisch.
    "Unser Magd ward im Stall dermaßen traktiert, daß sie nicht mehr daraus gehen konnte … den Knecht legten sie gebunden auf die Erd, stecketen ihm ein Sperrholz ins Maul, und schütteten ihm weiten Melkkübel voll garstig Mistlachenwasser in Leib, das nenneten sie einen Schwedischen Trunk."
    Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Der Abenteuerliche Simplicissimus.
    Mit dem Eintritt der Schweden in den Krieg 1630 war eine neue Eskalationsstufe erreicht worden.
    "Was die Brutalität betrifft muss man zwischen der Art von Brutalität und dem Ausmaß unterscheiden."
    … so der britische Militärhistoriker.
    "Der Krieg war von Anfang an schon schlimm. Aber in den 20er Jahren wurde der Krieg nur in ein bis drei Regionen des Reiches geführt, aber nach 1631, nach dem schwedischen Erfolg bei Breitenfeld, war der Krieg allgemein. Er wurde dann in jedem Teil des Reiches geführt mit viel mehr Soldaten."
    "Und geit er uns dann kein Gelde
    Leit und nit viel daran
    So laufen wir durch die Welde
    Kein Hunger faßt uns nit an
    Der Hühner der Gans habn wir so viel
    Das Wasser aus dem Brunnen
    Trinkt der Landsknecht wann er will"
    "Und seit langem haben keine der kriegführenden Parteien Soldaten richtig bezahlen können. Die Soldaten sollten eher Lebensmittel und Unterkunft und alles Mögliche von der Bevölkerung direkt nehmen durch dieses sogenannte Kontributionssystem. Aber das ging einfach nicht. Vor allem ging das nicht mehr nach 15 Jahren oder mehr Krieg. Und natürlich kam es dann oft zu der Situation, dass die Soldaten dann sich einfach Lebensmittel und andere Sachen gleich genommen haben."
    … sagt Peter Wilson.
    "Also man muss sich das vorstellen, man sitzt auf einem Bauernhof, man hat vielleicht Vorrat für vielleicht fünfhundert Mund-Portionen, also man hat genügend Vorrat für 500 Tage, das reicht für eine Familie für knapp ein Jahr. Da kommt dann ein Regiment von vielleicht ein-, zwei- oder sogar dreitausend Mann und die wollen unbedingt was zu essen. Wenn das sich wiederholt, wird die Lage der einfachen Leute ganz schnell ganz schlimm."
    Brendan Simms, Professor für die Geschichte der europäischen internationalen Beziehungen in Cambridge und Leiter des Forums für Geopolitik, vergleicht die Situation der betroffenen Menschen mit denen im aktuellen Nah-Ost-Konflikt.
    "Also absolut verheerend. In beiden Fällen, also heute Nah-Ost aber auch im dreißigjährigen Krieg leidet in erster Linie die Zivilbevölkerung. Die Zahlen sind umstritten, aber wir können sagen, ungefähr ein Drittel der deutschen Einwohner stirbt, meistens durch die Folgen des Krieges, also Hungersnot und Krankheit aber zum Teil auch durch Militäraktionen. Es gibt ganz schlimme Massaker wie zum Beispiel in Magdeburg 1631 und ein Jahr später in Donauwörth. Das waren sozusagen die Aleppos von damals."
    Eindrücklich hat Jacques Callot in seinen Stichen die Massaker festgehalten. Aber auch Verurteilte konnten nicht mit Gnade rechnen, sagt Antje Zeiger vom Museum Wittstock:
    "Natürlich ist man mit den Strafen wenig zimperlich. Es sind teilweise drakonische Strafen die verhängt werden, die Verurteilten, die sogenannt rechtmäßig Verurteilten, die werden vor Beginn der eigentlichen Strafe noch mal gequält, es ist eine ganz schlimme Zeit."
    Es sind Hausbücher, Tagebücher und Familienchroniken, die von Gräueltaten berichten und in den letzten zwei Jahrzehnten in Archiven wiederentdeckt und ausgewertet wurden. Sie spiegeln die Erfahrungen der einfachen Leute und ihr Alltagsleben. Sie zeigen aber vor allen Dingen…
    "Furcht und Ängste, …"
    … sagt Peter Wilson – es ist die Angst, dass der Krieg in ihre Heimat kommt und die Angst vor der Zerstörung ihres Lebens.
    Das haben sie mit den Menschen im Nahen Osten gemeinsam. Und noch eine Erfahrung teilten viele von ihnen mit den Kriegsgeplagten heute – so Brendan Simms:
    "Es gab in beiden Szenarien eine große Flüchtlingskrise. Ungefähr sieben Prozent der böhmischen und der österreichischen Bevölkerung wurde nach der Niederschlagung der Rebellion 1620 vertrieben. Und dann gab es Städte wie Ulm zum Beispiel, die nahmen also eine gewaltige Zahl Geflüchteter auf. Im Jahre 1634 zum Beispiel, waren es dort 8000 Flüchtlinge bei 15.000 Einwohnern. Das ist durchaus mit der Situation im Libanon von heute vergleichbar, und vor allem - und das ist jetzt sehr wichtig - die daraus resultierenden Verschiebungen im religiösen Gleichgewicht entfachten dann häufig Unruhen in zuvor ruhigen Gegenden. Das heißt also, es geht dann immer weiter."
    Letztendlich waren die Schweden nach ihrem Kriegseintritt 1630 so erfolgreich, dass der Kaiser Wallenstein kurzerhand rehabilitieren musste. Mit Erfolg, denn in der Schlacht bei Lützen 1632 starb der schwedische König Gustav Adolf - für die Protestanten ein schwerer Verlust, der zwei Jahre später zur verheerenden Niederlage der protestantisch schwedischen Truppe und ihrer Verbündeten führte.
    Wieder eine neue Allianz
    Als dann auch noch die protestantischen Reichsstände ein Jahr später aus dem Bündnis mit Schweden ausscherten und sich mit dem Kaiser Ferdinand II. im Prager Frieden gegen Schweden und Frankreich einigten, war der Weg frei für ein neues Bündnis – ein reines Zweckbündnis, betont Peter Wilson in seinem aktuellen Buch "Der Dreißigjährige Krieg":
    "Hauptziel der französischen Politik war, dass der Krieg im Reich noch weitergehen würde. Frankreich wollte, dass der Kaiser immer noch im Reich beschäftigt war."
    Und so kam es zu einer neuen Allianz zwischen den protestantischen Schweden und dem katholischen Frankreich.
    "Auf der schwedischen Seite wollte man französische finanzielle und militärische Hilfe. Und weil es ein Zweckbündnis war, war es den zwei Verbündeten ziemlich schwierig, eine gute militärische Zusammenarbeit zu entwickeln, und es hat circa ein Jahrzehnt gedauert, bis sie einigermaßen ihre militärischen Operationen effektiv koordinieren konnten."
    Zwar waren immer wieder Parteien aus dem Krieg ausgeschieden. Es hatte Friedenschlüsse wie den Prager oder den Lübecker Frieden gegeben. Aber immer wieder waren neue Mächte in den Krieg eingetreten und andere Fronten entstanden.
    Eine ähnlich komplizierte Gemengelage sieht Rainer Hermann, Nahost-Experte der FAZ, heute im Nahen Osten. War früher das Heilige Römische Reich Deutscher Nation die "Katastrophenzone Europas", so sind heute Syrien und der Irak die Brennpunkte, wo sich entscheidet, wer in Zukunft in der arabisch-islamischen Welt das Sagen hat.
    Heutige Kriegsgegner
    "Der große Konflikt, der zurzeit den Nahen Osten überlagert, ist der zwischen Saudi-Arabien und Iran."
    Wie dieser Konflikt entstand, erklärt Rainer Hermann in seinem im März 2018 erscheinenden Buch "Arabisches Beben":
    "Der Hintergrund für diesen saudisch iranischen Konflikt ist, dass Iran heute versucht die historisch einmalige Schwächephase der arabischen Welt zu nutzen und in die arabische Welt einzudringen. Bei den Arabern ist von den vier historischen Führungsmächten, Ägypten, Irak, Syrien nur noch der vierte, Saudi Arabien übrig, und deswegen versucht es, sich diesem iranischen Vormarsch entgegenzustellen. Und das wichtigste Mittel ist die Religion, weil man damit die Menschen mobilisieren kann."
    Auf dem Weg zum Westfälischen Frieden
    Doch während der Westfälische Frieden vor 400 Jahren endlich zu einer Lösung der europäischen Konflikte führte, liegt ein Frieden im Nahen Osten hingegen in weiter Ferne. Und doch fragen sich Politikwissenschaftler und Historiker, ob man aus den Friedensschlüssen der damaligen Zeit etwas lernen könne - etwa Brendan Simms, der am Forum für Geopolitik in Cambridge in einem sogenannten "Labor des Weltaufbaus" untersucht, wie die Konstruktionsprinzipien des Westfälischen Friedens auch heute nutzbar gemacht werden könnten.
    "Entscheidend war eigentlich, dass alle in den Krieg involvierten Akteure an den Friedensverhandlungen beteiligt wurden."
    Alle Akteure - das heißt, Vertreter des Kaisers und der deutschen Fürsten und Reichsstädte, Protestanten und Katholiken, Gesandte aus Frankreich, Schweden, den Niederlanden und Spanien. Allerdings wurden gleich zwei Verhandlungsorte ausgewählt – Münster und Osnabrück.
    "Durch diese Verhandlungen an zwei verschiedenen Orten, also Münster und Osnabrück, konnte man es vermeiden, dass sich protestantische und katholische Mächte offiziell zur Kenntnis nehmen mussten, aber sie waren trotzdem Teil eines Kongresses."
    Eigentlich sollten die Friedensverhandlungen im Jahr 1642 beginnen. Aber nur schleppend trafen die Gesandten ein, im Gefolge Wein, Diener, eigenes Küchenpersonal, goldenes Geschirr, Tapisserien, Möbel, Teppiche, aber auch Komödianten, "leichtfertiges Weibsvolk" und Quacksalber. Und dann folgten erst einmal zähes Taktieren und Feilschen um Positionen, erschwert durch ungeklärte Rang- und Zeremoniell-Fragen. Ernstlich verhandelt wurde ab 1644.
    "Wenn man genau hinguckt, dann sind die Verhandlungen in Münster und Osnabrück über 4 Jahre geführt worden… "
    Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Uni in Berlin
    "Das Erstaunliche ist, dass während der Verhandlungen kein Waffenstillstand herrscht, sondern der Krieg geht weiter und weiter. Und die Herausforderung in Münster und Osnabrück ist, die unterschiedlichen Dimensionen des Krieges - Religionskrieg, Hegemonialkrieg, Volksaufstand und Verschiebung von Grenzen - zusammenzubringen in der Weise, dass man sie zunächst einmal getrennt voneinander verhandelt. Und das dauert sehr, sehr lange."
    Zudem war keiner der Herrscher – weder der Kaiser noch Könige oder Fürsten – in den Verhandlungen zugegen, lediglich deren Gesandte, die dann über Boten immer wieder das Einverständnis ihrer Herren einholen mussten. Ebenso wenig gab es Vollversammlungen von allen Delegierten, sondern diese besuchten sich reihum in ihren Unterkünften, die zugleich als Tagungsräume dienten - ein Prozedere, das unglaublich aufwändig war.
    "Jeder mit jedem, ein bilaterales Verhandlungsmuster, was natürlich auch zu endlosen Zeitverlusten geführt hat. Und man muss sagen, es waren Verhandlungen von Boten begleitet, denn alle Ergebnisse mussten ja mit den Entscheidungsträgern vor Ort abgestimmt werden. Die Boten waren ständig unterwegs, auch zwischen den Städten Münster und Osnabrück, weil man das ja auch noch irgendwie klären musste."
    Im Jahr 1648 gelang mit dem Friedensvertrag erstmals in Europa eine Konfliktlösung durch Verhandlung. Man hatte sich geeinigt - über territoriale Neuregelungen, Gebietsabtretungen, man hatte das Verhältnis zwischen dem Kaiser und den deutschen Fürsten geklärt und das Zusammenleben der Konfessionen geregelt.
    Der Historiker Heinz Duchhardt.
    "Der Friede löst das Problem der Konfessionen dadurch, dass man erstens die Calvinisten in den Religionsfrieden aufnimmt. Zweitens dadurch, dass man nicht mehr nach der Wahrheit sucht. Das war ja das große Dilemma des frühen 17. und späten 16. Jahrhunderts, dass man bei allen Reflexionen über Glauben und Kirche die Wahrheit finden wollte. Das klammert man im Westfälischen Frieden aus. Und das Dritte, was ich erwähnen würde, dass man im Westfälischen Frieden die Lösung findet, zwei Großmächte über das System, das man gefunden hat, wachen zu lassen als Garantiemächte. Nicht dass die in Zukunft beliebig oft eingegriffen hätten in der Rechtsgeschichte. Aber das war eine Art Damoklesschwert, was über den Fürsten hing, es nicht zu weit zu treiben mit den Querelen mit den Nachbarn."
    Als am 24. Oktober 1648 die Verträge unterzeichnet wurden, die den Frieden in Deutschland besiegelten, läuteten in Münster alle Kirchenglocken. Und die Kanonen auf der Stadtmauer feuerten Salut.
    "Frew dich, spring auff du Christenheit. / Ich bring dir gute Mähre / Von Oßnabruck, wie diser zeit / Viel guts beschlossen were. / Dass ich als ein Postillion / Verkünden solt den Friden schon / Von Münster aus Westphalen"
    Ein westfälischer Frieden des 21. Jahrhunderts?
    "Meine Damen und Herren, der Westfälische Frieden bietet uns keine Blaupause für einen Frieden im Mittleren Osten. Er bietet uns, wenn wir genau genug hinschauen, Instrumente, Methoden und Ideen. Die müssen wir erkennen und dann für die aktuelle Diplomatie nutzen."
    so Frank Walter Steinmeier, der damalige Außenminister im Jahr 2016 bei den Osnabrücker Friedensgesprächen. Welche Ideen aber könnten auch für die heutigen Krisen nutzbar gemacht werden? Wie damals in Münster und Osnabrück sei es erforderlich, alle am Konflikt beteiligten Parteien zusammenzubringen. Theologische Wahrheitsdispute müssten außen vor bleiben und so, wie die europäischen Mächte damals an einem umfassenden Frieden arbeiteten, müsse auch heute an einem Frieden für die ganze Region gearbeitet werden.
    "Genauso wie damals im Westfälischen Friedenskongress, sollten auch die regionalen Akteure und auch die Großmächte im Nahen Osten nicht davor zurückschrecken, sich ein allumfassendes Vertragswerk für die gesamte Region zum Ziel zu setzen."
    Solche Verhandlungen könnten, so Brendan Simms, auch heute geführt werden, ohne dass zuvor ein Waffenstillstand ausgehandelt wurde:
    "Also man hat weitergekämpft während der Verhandlungen. Und man braucht einen Kongress, wo wirklich alle, oder fast alle Akteure präsentiert sind. Und Sie müssten versuchen, so ein System der gegenseitigen Garantien aufzubauen, wie man das im Westfälischen Frieden gemacht hat."
    Garantiert werden müsste, erläutert Rainer Hermann, dass externe Mächte über die vereinbarten Friedensverträge wachen und bei Verstößen intervenieren könnten.
    "Der Westfälische Frieden hat die externen Mächte zu Garantiemächten für Deutschland bestimmt und ihnen das Recht gegeben, in Deutschland zu intervenieren. Und die Drohung hat gereicht, dass diese Bestimmungen nicht verletzt worden sind. Und heute stellt sich die Frage, wer ist bereit, eine externe Garantiemacht für Syrien zu sein. Heute ist eben niemand bereit. Russland ist bereit, Kriegsmacht zu sein, aber nicht eine externe Garantiemacht, um einen Frieden, der inklusiv ist, zu schützen."
    Ebenso wenig ist es bislang gelungen, alle am Krieg in Syrien Beteiligten an einen Verhandlungstisch zu bekommen. Und während eine wesentliche Voraussetzung für den Westfälischen Frieden die Desillusionierung aller Parteien war, auf dem Schlachtfeld siegen zu können, sind alle Akteure im Nahen Osten davon überzeugt, von der Fortsetzung des Konflikts mehr zu profitieren als von dessen Beilegung. Zudem konnten die durch die Reformation entstandenen Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken nach gut 130 Jahren entschärft werden, dagegen streiten sich Sunniten und Schiiten bereits seit über 1000 Jahren. Hatte nicht der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel recht, als er meinte, historische Vergleiche führten prinzipiell in die Irre? Er schrieb:
    "Jede Zeit hat so eigentümliche Umstände, ist ein so individueller Zustand, dass in ihm aus ihm selbst entschieden werden muss und allein entschieden werden kann."
    Also - Skepsis ist angesagt. Natürlich gibt es erstaunliche Ähnlichkeiten in den Vorgängen damals und den heutigen kriegerischen Konflikten. Den Dreißigjährigen Krieg mit den Umbrüchen in der arabischen Welt zu vergleichen, mag durchaus beim Verständnis helfen, was dort geschieht. Dass aber die Umbrüche dort in einer Art Westfälischen Frieden des 21. Jahrhunderts münden – das ist äußerst ungewiss. Denn die Geschichte – so sieht das jedenfalls auch Heinz Duchhardt – nimmt immer wieder einen anderen Lauf:
    "Historiker sind da immer ganz zurückhaltend. Die Strukturen sind andere, die Komponenten sind andere, die Persönlichkeiten sind andere. Ich zucke da immer zusammen, wenn ich in Sonntagsreden von Politikern höre: ‚Wie die Geschichte schon lehrt‘. Die Geschichte lehrt überhaupt nichts. Die Geschichte lehrt allenfalls, dass es bestimmte Situationen gibt, die so oder so gelöst werden können. Auf unterschiedliche Weise gelöst werden können. Deswegen bin ich da ganz zurückhaltend."