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"Der Dschungel wird nicht abgeholzt"

Die fehlende Anerkennung von Berufsabschlüssen ist ein Hauptgrund für die Arbeitslosigkeit von qualifizierten Migranten. Das ergaben Untersuchungen eines Teams um Professor Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen. Knuth kritisiert, dass auch das neue Eckpunktepapier des Bundeskabinetts das Problem nicht löse.

Matthias Knuth im Gespräch mit Regina Brinkmann | 09.12.2009
    Regina Brinkmann: Professor Matthias Knuth und sein Team haben rund 11.000 Hartz-IV-Empfänger befragt, und da zeigte sich, dass jeder vierte Arbeitslose mit Migrationshintergrund zwar einen Abschluss hat, der aber in Deutschland nicht anerkannt wird. Herr Knuth, inwieweit können die jetzt in Berlin vorgestellten Eckpunkte die Situation dieser arbeitslosen Hochqualifizierten verbessern?

    Matthias Knuth: Zunächst mal fällt auf, dass sowohl im Eckpunktepapier als auch in dem O-Ton von Frau Schavan die Situation eigentlich viel zu günstig beschrieben wird, wenn es heißt, diese Personen seien weit unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt. Tatsache ist, dass viele gar nicht beschäftigt sind und keine Arbeit finden können. Und wir haben in unserer Studie festgestellt, dass die Nichtanerkennung eines Abschlusses für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt fast genauso schädlich ist wie das Fehlen jeglichen Abschlusses.

    Brinkmann: Und Sie haben auch in Ihrer Studie herausgearbeitet, welche Defizite es schon bei der Vermittlung von hoch qualifizierten Migranten bei den Arbeitsagenturen gibt. Da werden ja Abschlüsse und Qualifikationen gar nicht erst aufgenommen. Ist da eine gewisse Sensibilität jetzt zu spüren auch an den aktuellen Eckpunkten für diese Problematik?

    Knuth: Nein, die Eckpunkte nennen ja nicht Ross und Reiter. Man redet von einem Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren, aber man sagt ja gar nicht, gegen wen sich dieser Anspruch richten soll. Wahrscheinlich würde man dann in Konflikte geraten und könnte jetzt dieses Papier nicht verkünden, das im Übrigen überhaupt nichts Neues ist, sondern inhaltlich und bis in die Formulierung hinein das wiederholt, was es als Eckpunktepapier der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration schon im vergangenen Juni gab.

    Brinkmann: Da höre ich so einen gewissen Ärger heraus, Herr Knuth.

    Knuth: Ja, die Politik erfreut uns mal wieder mit lärmendem Stillstand und feiert das als großen Erfolg.

    Brinkmann: Und Sie haben gesagt, es fehlen die Adressaten - welche müssen denn das Ihrer Meinung nach sein?

    Knuth: Die bisherigen Zuständigkeiten sind, wie zu Recht festgestellt wird, verteilt auf teilweise den Bund, teilweise die Länder, teilweise die Hochschulen, wenn es einfach nur darum geht, einen akademischen Abschluss anzuerkennen, und teilweise die Träger der Berufsausbildung, also die Kammern. Und der Entwurf sagt nichts dazu, ob daran etwas geändert werden soll. Wenn daran nichts geändert wird, wird das Verfahren kompliziert bleiben, und wahrscheinlich kann auch daran gar nichts geändert werden, ohne die Grundfesten des Föderalismus und des Berufsbildungssystems anzutasten. Dann wird das Verfahren also kompliziert bleiben, und dann brauchen die Betroffenen eine kompetentere Beratung, um sich im Dschungel zurechtzufinden. Aber der Dschungel wird nicht abgeholzt.

    Brinkmann: Welche Anlaufstellen, welche Beratungsmöglichkeiten sollte es denn Ihrer Meinung nach geben? Auch das war oder ist auch Thema jetzt in diesem Papier.

    Knuth: Darüber wird auch nichts gesagt, es wird nur sehr undeutlich gesprochen von bereits existierenden Anlaufstellen, die irgendwie weiter gefördert werden sollen. Meines Erachtens würde Sinn machen, Anlaufstellen dort einzurichten, wo die Betroffenen sowie etwas mit zu tun haben, also einerseits mit den Ausländerämtern, andererseits mit den Arbeitsagenturen und Grundsicherungsstellen, möglicherweise Hochschulen, wobei man das dann bündeln könnte für Hochschulen einer Region. Aber es sollte irgendwie nicht zu vielfältig sein, es sollten vor allen Dingen nicht einfach nur irgendwelche geförderten Initiativen sein, sondern es sollte ein gewisses Raster erkennbar sein, an das man sich gewöhnen kann.

    Brinkmann: Warum tun sich denn Bund und Länder so schwer, Fakten und wirkliche Verbesserungen zu schaffen?

    Knuth: Ich denke, weil es immer implizit die Frage betrifft, wer soll eigentlich bezahlen. Schon die Anerkennungsverfahren selber verursachen ja einerseits Kosten bei denen, die anerkennen, aber auch Kosten bei den Betroffenen. Auch dazu wird ja nichts gesagt. Man muss zum Beispiel Zeugnisse übersetzen lassen und die Übersetzungen beglaubigen lassen. Viele der Betroffenen haben das Geld dafür nicht. Wer bezahlt also das?

    Brinkmann: Eben im Beitrag war ja auch zu hören, dass bei den Anlaufstellen und bei den Anerkennungen auch die Wirtschaft mit ins Boot geholt werden soll, und die klagt ja auch immer wieder über Fachkräftemangel. Wie hat die sich denn bislang in diesem Punkt verhalten?

    Knuth: Ganz unterschiedlich. Es gibt durchaus Kammern, die sehr gerne auch bereit sind, eine Kompetenzfeststellung durchzuführen, etwas darüber zu schreiben, wie aus ihrer Sicht eine mitgebrachte Qualifikation zu beurteilen ist. Aber auch hier gibt es natürlich eine widersprüchliche Situation insofern, als man unter Umständen den Betroffenen gar keinen Gefallen tut, nämlich dann, wenn sie das, was sie haben, auf dem Arbeitsmarkt nicht unmittelbar verwerten können, hilft man ihnen nicht, wenn man es hoch einschätzt, mit der Folge nämlich, dass sie dann nicht mehr infrage kommen für die Förderung einer beruflichen Weiterbildung durch die Arbeitsämter.