Jasper Barenberg: In elf Fällen soll ein Oberarzt an der Uniklinik in Göttingen die Daten seiner Patienten manipuliert haben, um ihnen schneller ein Spenderorgan zu verschaffen. Damit sie hinaufrutschen ein paar Plätze auf der Warteliste. Ob er damit auch den Tod anderer schwerkranker Patienten zu verantworten hat, darüber wird ab heute das Landgericht in Göttingen befinden müssen in einem Prozess, der als juristisch sehr kniffelig und schwierig gilt. Mit den Vorwürfen geriet aber auch das gesamte System Organspende unter Verdacht, in die Kritik, zumal inzwischen einiges darauf hindeutet, dass es Betrug auch an Klinken in Leipzig, Regensburg und in München gegeben hat. Die Bereitschaft, Organe zu spenden, ist seitdem dramatisch eingebrochen, der Trend nach unten ist noch immer nicht gestoppt. Um gegenzusteuern, haben Ärzte und Politik unter anderem ein ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen – reicht das aus oder brauchen wir ganz neue Regeln für die Entnahme und die Vergabe von Spenderorganen in Deutschland? Am Telefon begrüße ich Eckard Nagel, ärztlicher Direktor der Universitätsklinik in Essen und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Schönen guten Morgen, Herr Nagel!
Eckard Nagel: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Ich hab es angesprochen, das Vertrauen in die Organspende ist geschwunden, gesunken jedenfalls. Die Zahlen aus ganz Deutschland belegen das. Wie bekommen Sie das an Ihrer Klinik in Essen zu spüren, im Umgang, sagen wir, mit möglichen Spendern, mit Kranken, die dringend auf eine Transplantation angewiesen sind?
Nagel: Nun, im Umgang mit Spendern bekommt man es natürlich nur dann mit, wenn tatsächlich jemand an einem Hirntod verstirbt auf der Intensivstation und dann mit Angehörigen gesprochen wird. Das tut die Deutsche Stiftung Organtransplantation, also nicht wir. Und in diesen Gesprächen wird ja, Sie haben es gerade schon gesagt, vermehrt abgelehnt, das heißt, eine Zustimmung zur Organspende erfolgt nicht. Und das spüren wir natürlich ganz konkret für unsere Patienten, die im Klinikum liegen, weil sie so schwer krank sind, dass sie nicht mehr zu Hause sein können oder auf der Warteliste stehen und auf ein Organ, auf einen Anruf warten, dass sie transplantiert werden können. Das ist jetzt deutlich geringer als im letzten und im vorletzten Jahr. Und insofern spüren wir das täglich.
Barenberg: Und wie gehen Sie damit um?
Nagel: Das ist natürlich schwierig. Auf der einen Seite ist die Angst bei Patienten und Angehörigen, nicht transplantiert zu werden, also keine Hilfe mehr zu bekommen, deutlich größer als früher. Und der Schmerz darüber, dass Dinge passiert sind, die man ja selber nicht zu verantworten hat, insbesondere die Patienten und die Angehörigen nicht, und die jetzt dazu führen, dass man selbst keine gute medizinische Versorgung bekommt, dieser Schmerz drückt alle, aber besonders natürlich diejenigen, die an einer schweren Krankheit leiden und eben Gefahr haben, nicht mehr transplantiert zu werden. Und das müssen wir beklagen. Wir haben jetzt mehr Patienten, die in diesem Jahr auf der Warteliste versterben werden, als das im Jahr 2012 oder 2011 der Fall war.
Barenberg: Herr Nagel, seit die Vorfälle bekannt geworden sind, seit einzelne Ärzte im Verdacht stehen, ist einiges geschehen. Manipulation von Wartelisten ist inzwischen ein Straftatbestand, eine Prüfungs- und Überwachungskommission nimmt Transplantationszentren in ganz Deutschland genauer als bisher unter die Lupe. Kliniken mit Intensivstation müssen einen eigenen Beauftragten für Transplantationen ernennen. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sagt jetzt, nie war die Transplantationsmedizin sicherer als heute. Würden Sie auch so weit gehen?
Nagel: Da würde ich auch so weit gehen. Ich hätte Ihnen allerdings auch vor zwei Jahren gesagt, dass die Transplantationsmedizin zu den sichersten Bereichen gehört, die wir in Deutschland haben, einfach deshalb, weil diejenigen, die dort tätig sind, sich in aller Regel persönlich kennen. Es ist eine relativ kleine Gruppe. Und wir haben immer schon eine große Weite der Transparenz gehabt. Sie konnten immer nachlesen, jedes Jahr, welche Organe wurden gespendet und wo wurden sie transplantiert. Also unter dem Gesichtspunkt ist die Transplantation immer schon relativ klar und nachvollziehbar gewesen. Jetzt ist es deutlich noch mal besser. Aber kriminelle Energie, und um die geht es ja heute, die ist natürlich davon nicht ausgeschlossen.
Barenberg: Im Grundsatz unverändert bleibt allerdings, dass es private Organisationen sind, die die Organspende in Deutschland regeln. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation, Sie haben sie erwähnt, Eurotransplant und die Bundesärztekammer. Nun fordern Politiker der Grünen und fordert auch die Stiftung Patientenschutz die Überwachung und die Vergabe sollte gänzlich in staatliche Hände gelegt werden. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Nagel: Als ich darauf hingewiesen habe, dass wir ja schon eine große Transparenz vorher hatten, dann glaube ich nicht, dass es darum geht zu schauen, wer sind die Träger dieser Organisationen. Wichtig ist, dass sie überprüft werden, wichtig ist, dass klare Gesetze vorliegen, wie sie jetzt erst vorliegen, wenn Verfehlungen stattfinden. Wir selbst sind eine staatliche Universitätsklinik, die Göttinger Universitätsklinik ist das auch. Das heißt, in den Institutionen, Sie haben einige andere genannt, in denen etwas passiert ist, das sind ja staatliche Institutionen gewesen. Da hat man das auch nicht verhindern können. Also insofern glaube ich, der einfache Ruf nach dem Staat ist hier keine Lösung. Was wir brauchen, ist tatsächlich eine ethische Verpflichtung aller derjenigen, die hier arbeiten, dass sie wissen, mit welch sensiblen Aspekten sie umgehen. Und das gilt für die gesamte Medizin, nicht nur für die Transplantation. Wir brauchen sicherlich Anreizsysteme, die sich verändern, das heißt, wahrscheinlich wenig Transplantationszentren als die, die wir heute haben. Und wir brauchen auch eine andere Form der Finanzierung, also nicht jede Transplantation sollte finanziert werden, sondern ein Transplantationsprogramm. Wenn man das noch auf den Weg bringt, dann stimme ich Herrn Montgomery zu. Dann haben wir wahrscheinlich im Transplantationsbereich das sicherste System innerhalb der gesamten Medizin. Aber dazu braucht es keine generell staatliche Verwaltung.
Barenberg: Was die Kritiker argumentieren, ist ja beispielsweise der Verweis auf Spanien, das als vorbildlich gilt, was Transplantationsmedizin angeht. Und da handelt es sich eben um eine staatliche Organisation, die sehr zentral und straff geführt ist und, Sie haben es erwähnt, auch weniger Kliniken, sehr viel weniger, führen überhaupt, dürfen überhaupt Transplantationen ausführen. Ist es nicht doch so, dass diese Zersplitterung in Deutschland, dass die Zuständigkeit verschiedener Organisationen, staatlicher, privater, dass all das den Missbrauch und den Betrug eben gefördert hat in der Vergangenheit?
Nagel: Also im Hinblick jetzt auf die konkreten Fälle, die heute in Göttingen beziehungsweise in Braunschweig verhandelt werden, ist das sicherlich nicht der Fall, denn alles was wir wissen zumindest, ist, dass dort mit krimineller Energie Akten gefälscht worden sind. Wenn sich das bestätigen sollte, dann hätte das keine Gesetzgebungsmaßnahme verhindern können. Im Hinblick auf Spanien muss man sagen, dass dort die gesamte Einstellung auch der Bevölkerung zur Transplantation eine sehr viel positivere ist. Die Spanier sind stolz darauf, dass sie in der Transplantationsmedizin in Europa führend sind. Sie haben zum Beispiel den Vorsitz in der Europäischen Gemeinschaft dazu genutzt, das Thema Transplantation ganz nach vorne zu bringen, auch in Brüssel und Straßburg. Daran sieht man natürlich, dass eine solche positive Grundstimmung, um die es ja bei uns auch in Deutschland geht, dass die dann dazu führt, dass auch mehr transplantiert wird. Sicherlich, mit ordentlichen und guten Strukturen, aber die haben wir in Deutschland auch, insbesondere jetzt nach diesem Skandal. Denn viele Veränderungen sind jetzt noch mal durchgeführt worden. Und von denen erwarte ich auch, dass sie zu einer verbesserten Situation führen, dass sie vor allem aber auch dazu beitragen, und das wird ein langer Weg sein, Vertrauen bei der Bevölkerung wiederzugewinnen.
Barenberg: Der ärztliche Direktor der Universitätsklinik Essen heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Eckhard Nagel, für dieses Gespräch!
Nagel: Bitteschön, Herr Barenberg!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Eckard Nagel: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Ich hab es angesprochen, das Vertrauen in die Organspende ist geschwunden, gesunken jedenfalls. Die Zahlen aus ganz Deutschland belegen das. Wie bekommen Sie das an Ihrer Klinik in Essen zu spüren, im Umgang, sagen wir, mit möglichen Spendern, mit Kranken, die dringend auf eine Transplantation angewiesen sind?
Nagel: Nun, im Umgang mit Spendern bekommt man es natürlich nur dann mit, wenn tatsächlich jemand an einem Hirntod verstirbt auf der Intensivstation und dann mit Angehörigen gesprochen wird. Das tut die Deutsche Stiftung Organtransplantation, also nicht wir. Und in diesen Gesprächen wird ja, Sie haben es gerade schon gesagt, vermehrt abgelehnt, das heißt, eine Zustimmung zur Organspende erfolgt nicht. Und das spüren wir natürlich ganz konkret für unsere Patienten, die im Klinikum liegen, weil sie so schwer krank sind, dass sie nicht mehr zu Hause sein können oder auf der Warteliste stehen und auf ein Organ, auf einen Anruf warten, dass sie transplantiert werden können. Das ist jetzt deutlich geringer als im letzten und im vorletzten Jahr. Und insofern spüren wir das täglich.
Barenberg: Und wie gehen Sie damit um?
Nagel: Das ist natürlich schwierig. Auf der einen Seite ist die Angst bei Patienten und Angehörigen, nicht transplantiert zu werden, also keine Hilfe mehr zu bekommen, deutlich größer als früher. Und der Schmerz darüber, dass Dinge passiert sind, die man ja selber nicht zu verantworten hat, insbesondere die Patienten und die Angehörigen nicht, und die jetzt dazu führen, dass man selbst keine gute medizinische Versorgung bekommt, dieser Schmerz drückt alle, aber besonders natürlich diejenigen, die an einer schweren Krankheit leiden und eben Gefahr haben, nicht mehr transplantiert zu werden. Und das müssen wir beklagen. Wir haben jetzt mehr Patienten, die in diesem Jahr auf der Warteliste versterben werden, als das im Jahr 2012 oder 2011 der Fall war.
Barenberg: Herr Nagel, seit die Vorfälle bekannt geworden sind, seit einzelne Ärzte im Verdacht stehen, ist einiges geschehen. Manipulation von Wartelisten ist inzwischen ein Straftatbestand, eine Prüfungs- und Überwachungskommission nimmt Transplantationszentren in ganz Deutschland genauer als bisher unter die Lupe. Kliniken mit Intensivstation müssen einen eigenen Beauftragten für Transplantationen ernennen. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sagt jetzt, nie war die Transplantationsmedizin sicherer als heute. Würden Sie auch so weit gehen?
Nagel: Da würde ich auch so weit gehen. Ich hätte Ihnen allerdings auch vor zwei Jahren gesagt, dass die Transplantationsmedizin zu den sichersten Bereichen gehört, die wir in Deutschland haben, einfach deshalb, weil diejenigen, die dort tätig sind, sich in aller Regel persönlich kennen. Es ist eine relativ kleine Gruppe. Und wir haben immer schon eine große Weite der Transparenz gehabt. Sie konnten immer nachlesen, jedes Jahr, welche Organe wurden gespendet und wo wurden sie transplantiert. Also unter dem Gesichtspunkt ist die Transplantation immer schon relativ klar und nachvollziehbar gewesen. Jetzt ist es deutlich noch mal besser. Aber kriminelle Energie, und um die geht es ja heute, die ist natürlich davon nicht ausgeschlossen.
Barenberg: Im Grundsatz unverändert bleibt allerdings, dass es private Organisationen sind, die die Organspende in Deutschland regeln. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation, Sie haben sie erwähnt, Eurotransplant und die Bundesärztekammer. Nun fordern Politiker der Grünen und fordert auch die Stiftung Patientenschutz die Überwachung und die Vergabe sollte gänzlich in staatliche Hände gelegt werden. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Nagel: Als ich darauf hingewiesen habe, dass wir ja schon eine große Transparenz vorher hatten, dann glaube ich nicht, dass es darum geht zu schauen, wer sind die Träger dieser Organisationen. Wichtig ist, dass sie überprüft werden, wichtig ist, dass klare Gesetze vorliegen, wie sie jetzt erst vorliegen, wenn Verfehlungen stattfinden. Wir selbst sind eine staatliche Universitätsklinik, die Göttinger Universitätsklinik ist das auch. Das heißt, in den Institutionen, Sie haben einige andere genannt, in denen etwas passiert ist, das sind ja staatliche Institutionen gewesen. Da hat man das auch nicht verhindern können. Also insofern glaube ich, der einfache Ruf nach dem Staat ist hier keine Lösung. Was wir brauchen, ist tatsächlich eine ethische Verpflichtung aller derjenigen, die hier arbeiten, dass sie wissen, mit welch sensiblen Aspekten sie umgehen. Und das gilt für die gesamte Medizin, nicht nur für die Transplantation. Wir brauchen sicherlich Anreizsysteme, die sich verändern, das heißt, wahrscheinlich wenig Transplantationszentren als die, die wir heute haben. Und wir brauchen auch eine andere Form der Finanzierung, also nicht jede Transplantation sollte finanziert werden, sondern ein Transplantationsprogramm. Wenn man das noch auf den Weg bringt, dann stimme ich Herrn Montgomery zu. Dann haben wir wahrscheinlich im Transplantationsbereich das sicherste System innerhalb der gesamten Medizin. Aber dazu braucht es keine generell staatliche Verwaltung.
Barenberg: Was die Kritiker argumentieren, ist ja beispielsweise der Verweis auf Spanien, das als vorbildlich gilt, was Transplantationsmedizin angeht. Und da handelt es sich eben um eine staatliche Organisation, die sehr zentral und straff geführt ist und, Sie haben es erwähnt, auch weniger Kliniken, sehr viel weniger, führen überhaupt, dürfen überhaupt Transplantationen ausführen. Ist es nicht doch so, dass diese Zersplitterung in Deutschland, dass die Zuständigkeit verschiedener Organisationen, staatlicher, privater, dass all das den Missbrauch und den Betrug eben gefördert hat in der Vergangenheit?
Nagel: Also im Hinblick jetzt auf die konkreten Fälle, die heute in Göttingen beziehungsweise in Braunschweig verhandelt werden, ist das sicherlich nicht der Fall, denn alles was wir wissen zumindest, ist, dass dort mit krimineller Energie Akten gefälscht worden sind. Wenn sich das bestätigen sollte, dann hätte das keine Gesetzgebungsmaßnahme verhindern können. Im Hinblick auf Spanien muss man sagen, dass dort die gesamte Einstellung auch der Bevölkerung zur Transplantation eine sehr viel positivere ist. Die Spanier sind stolz darauf, dass sie in der Transplantationsmedizin in Europa führend sind. Sie haben zum Beispiel den Vorsitz in der Europäischen Gemeinschaft dazu genutzt, das Thema Transplantation ganz nach vorne zu bringen, auch in Brüssel und Straßburg. Daran sieht man natürlich, dass eine solche positive Grundstimmung, um die es ja bei uns auch in Deutschland geht, dass die dann dazu führt, dass auch mehr transplantiert wird. Sicherlich, mit ordentlichen und guten Strukturen, aber die haben wir in Deutschland auch, insbesondere jetzt nach diesem Skandal. Denn viele Veränderungen sind jetzt noch mal durchgeführt worden. Und von denen erwarte ich auch, dass sie zu einer verbesserten Situation führen, dass sie vor allem aber auch dazu beitragen, und das wird ein langer Weg sein, Vertrauen bei der Bevölkerung wiederzugewinnen.
Barenberg: Der ärztliche Direktor der Universitätsklinik Essen heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Eckhard Nagel, für dieses Gespräch!
Nagel: Bitteschön, Herr Barenberg!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.